Mächtige Metropole Mesopotamiens

Spektakuläre Ausstellung in Berlin: »Uruk - 5000 Jahre Megacity«

  • Ronald Sprafke
  • Lesedauer: 5 Min.

»Die Mauer um Uruk-Gart ließ er bauen, um das heilige Eanna, den strahlenden Hort.« So steht es im Gilgamesch-Epos geschrieben, die große Erzählung über den König von Uruk, der zu zwei Dritteln Gott und ein Drittel Mensch gewesen sei, Herrscher über eine mächtige und reiche Stadt. Doch wie entstand diese legendäre Metropole am Euphrat und wie lebten die Menschen dort? Darauf gibt eine Ausstellung des Vorderasiatischen Museums Berlin und der Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim Antworten: »Uruk - 5000 Jahre Megacity«.

Schon im Altertum war die Stadt berühmt. Die riesige Statue eines Löwen bezwingenden »Sechslockigen Helden« empfängt den Besucher. Sah man hierin eine Darstellung von Gilgamesch, so wird sie heute als Schutzpatron gedeutet. Gilgamesch erscheint erstmals Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr auf einer Tontafel. In das Ende dieses Milleniums fällt die Entstehung der ältesten Fassung des ihn lobpreisenden Epos. Terrakottareliefs und Rollsiegel illustrieren sein Leben und seine Heldentaten, darunter seinen Kampf gegen den Dämonen Humbaba, den Wächter des Zedernwaldes. Gilgamesch und sein Freund Enkidu töteten Humbaba, fällten die Zedern und brachten das wertvolle Holz nach Uruk. Dies ist die erste Schilderung eines Waffengangs um Rohstoffe.

Berühmt ist vor allem die 11. Texttafel des Epos: Auf der Suche nach Unsterblichkeit wanderte der König bis ans Ende der Welt und traf dort Utnapischtim. Dieser erzählte die Geschichte der großen Flut, die Jahrhunderte später im Alten Testament mit Noah als Star wieder auftaucht.

Über die Frühzeit von Uruk ist nur wenig bekannt. Eine kleine Sondage 1932 und Bohrungen des Deutschen Archäologischen Instituts 2002 vor Ort brachten Reste von Schilfbauten und Keramik vom Ende des 5. Jahrtausend v. Chr. ans Tageslicht. Eine filmische Flugreise zeigt die weitere Siedlungsgeschichte bis zum 3. Jahrhundert n. Chr. Uruk war zunächst eine von mehreren dörflichen Siedlungen in der Euphratebene. Eine Klimaveränderung - Mitte des 4. Jahrtausends wurde es kühler und trockener - machte eine Neuorganisation der Landwirtschaft und der Wasserversorgung notwendig. Uruk übernahm dabei eine zentrale Rolle und wuchs um 3500 v. Chr. zu einer geschlossenen Stadt an. Die folgende Zunahme von Wirtschaft, Handel und Bevölkerung bedingte eine gezielte und komplexe Verwaltungsorganisation. Pompöse Bauwerke (Stadtmauer, Heiligtümer) und ein weit verzweigtes Kanalsystem entstanden. Und die Kaste der Bürokraten wurde geboren.

Arbeitsleistungen und Warenmengen mussten berechnet und gespeichert werden. Zunächst nutzte man Zählmarken, »tokens«, kleine geometrische Objekte aus Ton oder Stein, die die Ware und deren Menge symbolisierten und in hohlen Tonkugeln, »bullae«, aufbewahrt wurden - frühe Frachtbriefe also. Doch bald genügte dieses einfache Medium nicht mehr. Mit Hilfe eines Griffels wurden nun keilförmige Symbole in feuchten Ton gedrückt. Die Schrift war erfunden.

Die Tafeln trugen zunächst nur Verwaltungstexte. Um 3000 v. Chr. gab es aber auch schon »lexikalische Listen«, in denen Berufe und Orte kategorisiert wurden. Im Laufe des Jahrtausends entwickelte sich daraus ein abstrahierendes Schriftsystem, das in allen Lebensbereichen, in Wissenschaft, Kultur und Diplomatie Anwendung fand. Literarische Texte wie das Gilgamesch-Epos und Wörterbücher entstanden. Die Entwicklung der Schrift wird in der Ausstellung durch viele Beispiele anschaulich.

Beeindruckend damals wie noch heute ist die neun Kilometer lange, acht Meter hohe und fünf Meter starke Stadtmauer von Uruk, errichtet Anfang des 3. Jahrtausends aus geschätzten 306 Millionen Lehmziegeln, die von tausend Arbeitern innerhalb von 13 Jahren verbaut wurden.

Der Stadtstaat demonstrierte Macht und Stärke. Um 3000 v. Chr. war Uruk mit 5,5 Quadratkilometern Fläche die größte Stadt der Alten Welt, das politische, wirtschaftliche und religiöse Machtzentrum in Südmesopotamien. Erst im 6. Jahrhundert v. Chr. wird Uruk von Babylon in den Schatten gestellt.

Urnammu, König von Ur um 2100 v. Chr., ließ auf hohen, übereinander liegenden Terrassen einen Tempel für die Göttin Inanna/Ischtar bauen. Bis zum Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr immer wieder erweitert, beherrschte die Zikkurat die Stadtsilhouette. Der Tempel war nicht nur religiöses Zentrum, sondern auch wissenschaftliche Forschungseinrichtung. Tafeltexte bezeugen, dass Astronomie und Astrologie betrieben wurden. Auch der von König Sin-kaschid (1865-1833 v. Chr.) erbaute riesige Palast war multifunktional, diente als Regierungssitz wie auch Domizil der Wirtschafts- und Verwaltungsbehörde. Hier fand auch die Ausbildung der Schreiber statt, wie Tafeln mit Übungstexten belegen.

Eine letzte Blütephase erlebte die Stadt unter den Seleukidenherrschern. Zwei riesige Tempelbezirke entstanden um 200 v. Chr.: das Resch-Heiligtum für den Himmelsgott Anu, das auch Archiv, Steuerbehörde und Bibliothek beherbergte, und Eschgal für die Göttin Ischtar. Nach der Eroberung Mesopotamiens durch die Parther Anfang des 1. Jahrhunderts v. Chr. gingen die großen Tempel in Flammen auf. Nach mehr als drei Jahrtausenden verebbte jetzt auch die Schriftgelehrsamkeit. Die letzte Keilschrifturkunde aus Uruk, eine Klageverzichtsurkunde, stammt aus dem Jahr 108 v. Chr. Münzen des Perserkönigs Hormizd II. (302-309 n. Chr) sind die letzten Relikte, die auf Uruk verweisen.

Unser Wissen über diese antike Metropole verdanken wir hundert Jahren intensiver Forschung. Von 1912 bist heute gab es 40 Grabungskampagnen, zunächst unter der Leitung der Deutschen Orient-Gesellschaft, seit 1954 in Verantwortung des Deutschen Archäologischen Instituts. Fast 50 000 Fundobjekte wurden inventarisiert, darunter 13 800 Tontafeln. Das Vorderasiatische Museum Berlin und die Uruk-Warka-Sammlung der Universität Heidelberg zeigen viele nun zum ersten Mal, ergänzt durch kostbare Leihgaben aus Paris, London und Oxford. Komplizierte Entscheidungswege in Bagdad ließen Leihgaben aus Irak nicht zu. Und wegen der heiklen politischen Situation dort ist auch an eine Fortsetzung der Grabung momentan nicht zu denken. Wie gefährdet das sich dort befindende kulturelle Welterbe ist, wird am Ende der Ausstellung verdeutlicht, die in Berlin bereits über eine Viertelmillion Besucher sahen. Nach den Golfkriegen kam es auf vielen mesopotamischen Fundstätten zu verheerenden Plünderungen. Uruk blieb dieses Schicksal erspart dank der Wachsamkeit einer seit Generationen vor Ort ihren Dienst verrichtenden Wächterfamilie und der Antikenverwaltung.

Übrigens: In 100 Jahren Forschung sind gerade erst einmal knapp fünf Prozent der Stadtfläche untersucht. Bleibt die Hoffnung, dass die Grabungen in naher Zukunft wieder fortgesetzt werden können.

»Uruk - 5000 Jahre Megacity«, noch bis 8. September im Vorderasiatischen Museum Berlin; ab 20. Oktober in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim; Katalog (Imhof-Verlag, 400 S., 24,95 €)

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