Warschauer Theaterdonner

Premier Donald Tusk gewann Urabstimmung - in seiner Partei

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 2 Min.
Am Freitag vergangener Woche ging in Warschau ein seltsames demokratisches Theaterspiel zu Ende: Offiziell wurde das Ergebnis der Urwahlen für den Posten des Parteivorsitzenden der regierenden Bürgerplattform (PO) bekannt gegeben.

Sieger der Abstimmung wurde erwartungsgemäß Regierungschef Donald Tusk. Dessen Herausforderer, der konservativ-katholische ehemalige Justizminister Jaroslaw Gowin, erhielt nur 20 Prozent der per Internet und Briefwahl abgegebenen Stimmen.

Was hat das eigentlich zu bedeuten? Zur Charakterisierung der polnischen Ausgabe der freiheitlich-demokratischen Grundordnung lohnt es sich, das Resultat genau zu lesen. Bei einer - wie es immerfort heißt - fast 40 Millionen Menschen zählenden Bevölkerung gibt es laut Parteiführung 40 000 eingeschriebene PO-Mitglieder. Obwohl diese Angabe seit vielen Jahren nicht überprüft wurde, sei sie für diese Übung akzeptiert. An dem Urwahlakt, der das »demokratische Antlitz der Partei unterstreicht« (Donald Tusk), nahm die Hälfte der Abstimmungsberechtigten teil. Leicht zu berechnen, dass dies genau 0,05 Prozent der Einwohnerzahl waren. Für Tuskt stimmten 16 208 Parteimitglieder, also 0,04 Prozent der Bevölkerung. Für den »Erneuerer der PO«, wie sich Gowin nennt, votierten 4114 Leute, also 0,01 Prozent der Einwohnerschaft. Ein »Sturm im Wasserglas« also? Mitnichten, denn auch diese Formulierung wäre eine grobe Übertreibung.

Die beiden Rivalen gratulierten einander derweil zu ihren »guten Ergebnissen« und bedankten sich »bei den Polen« für das ihnen entgegengebrachte Vertrauen. Donald Tusk appellierte großmütig an jene PO-Kreise, die den glatten Rausschmiss des »Schädlings Gowin« gefordert hatten, ihre Anträge zurückzuziehen. Jaroslaw Gowin seinerseits kündigte an, er werde seine Aktivitäten, durch die er die Partei zu ihren »Wurzeln« zurückführen wolle, nicht aufgeben. Die Regierungspolitik müsse gründlich geändert werden, sagte er ganz im Sinne der oppositionellen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) des nationalkonservativen Jaroslaw Kaczynski.

Dreimal stimmte Gowin bisher im Parlament bereits gegen Regierungsvorlagen. Und er wird es nach eigenen Worten, falls ihm und seinen Anhängern in der PO-Sejmfraktion die Regierungspolitik aus weltanschaulichen Gründen nicht gefällt, auch künftig so halten. In der PO will er aber bleiben. Und Demokrat Tusk will ihn halten, wegen der Demokratie.

Am selben Tag, als dieses Theaterstück sein vorläufiges Finale erlebte, unterzeichnete Polens Staatspräsident Bronislaw Komorowski ein Gesetz über »elastische Arbeitszeiten«, die künftig »jahresmäßig« verrechnet werden können. Den Arbeitgebern werden damit Zahlungen für Überstunden und Nachtarbeit erlassen, ihre Beschäftigten sind verpflichtet, auch an Sonntagen zu malochen. Im »Dreiseitigen Ausschuss« wollten weder die Vertreter der Regierung noch die der Unternehmerverbände die ablehnenden Argumente der Gewerkschaften zur Kenntnis nehmen. Für September haben die »Wühler« - wie die Gewerkschaftsverbände oft bezeichnet werden - Protestaktionen angesagt.

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