Dann muss es eben ohne Beine gehen

Stefan Deuschl durchlebt als Soldat einen lebensverändernden Schock - als Kanute will er nun zu den Paralympics

  • Michael Brehme, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.

2005 hat Stefan Deuschl nach einem Anschlag in Afghanistan beide Beine verloren. Seine Söhne brauchten ihn, also kämpfte er sich zurück ins Leben - und versucht sich jetzt im Paddeln. Bei der Parakanu-WM scheitert er im Halbfinale. Sein Ziel ist Rio 2016.

Frustriert sitzt Stefan Deuschl im Rollstuhl, selbst die innige Umarmung seines Trainers kann den Missmut nicht vertreiben. »Du hättest den WM-Finaleinzug wirklich verdient gehabt«, flüstert Horst Schlisio seinem Parakanu-Schützling ins Ohr. Um die Winzigkeit einer Zehntelsekunde hat Deuschl den Endlauf verpasst. Schlisios Worte aber trösten den 46-Jährigen nicht. Deuschl will nur noch weg, allein sein mit seinen Gedanken nach dem Aus im 200-Meter-Halbfinale der Parakanu-WM, die in Duisburg ins Programm der Spitzenathleten ohne Handicap integriert worden ist.

Dabei wirkt der sportliche Rückschlag banal im Vergleich zu dem, was Stefan Deuschl schon durchlebt hat. Bei einem Bundeswehreinsatz in Afghanistan verliert der Hauptfeldwebel im November 2005 beide Beine, als er Opfer eines Selbstmordattentats wird. Ein Kamerad verliert den Unterschenkel, ein dritter stirbt.

Fast acht Jahre liegt diese verhängnisvolle Sekunde inzwischen zurück. Er behielt sein Leben, immerhin. Aber leben ohne Beine? Schwer vorstellbar für einen, der sich auch über seine Athletik und Ausdauer definiert hatte. 18 Jahre lang war er mit »Leib und Seele« bei der Bundeswehr, nie hatte er Zweifel an seinem Job.

Gut eine Woche nach dem Attentat erfährt Deuschl im Krankenhaus die bittere Wahrheit. Er spürt ein furchtbares Brennen an den Füßen, »wie nach einem langen Marsch«, sagt er. Deuschl bittet die Krankenschwester, ihm die Stiefel auszuziehen. Doch stattdessen offenbart ihm der Arzt, dass er seine Beine verloren hat, dass er Phantomschmerzen verspüre, dass es »nichts zum Ausziehen gibt«.

Der Weg in ein neues Leben ist schwer. Zwei Söhne hat Stefan Deuschl, »die haben mir praktisch das Leben gerettet«, meint er. »Ansonsten hätte ich meiner Frau gesagt: Es war eine schöne Zeit, belaste dich nicht mit mir, fang’ ein neues Leben an.« Seine Kinder aber, damals erst sieben und neun Jahre alt, brauchen ihn. Also kämpft er gegen die vermeintliche Ausweglosigkeit an.

Fast ein Jahr verbringt der Mann aus Garmisch-Partenkirchen in der Reha, muss unzählige Nachoperationen über sich ergehen lassen. Bald wiegt er kaum noch 50 Kilogramm. »Dann habe ich mir gesagt: Jetzt muss es eben ohne Beine weitergehen«, erinnert er sich. 2006 kauft sich Deuschl ein Handbike, ein Jahr später wird er Para-Skifahrer. 2012 steigt er erstmals ins Rennkanu. Er merkt schnell, dass er mithalten kann. »Er kam aus dem Nichts und war sofort ganz vorne dabei«, sagt Bundestrainer Schlisio.

So wird Deuschl in diesem Jahr deutscher Meister und qualifiziert sich souverän für Duisburg, wo der Quereinsteiger nur um ein Minimum den Endlauf verpasst. Sein kurzfristiges Ziel hat er verfehlt, sein langfristiges ist aber ohnehin ein anderes: Bei den Paralympics 2016 will er in Rio starten. Dann ist Kanu erstmals paralympisch.

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