Der Tod des Generalsekretärs

Ein Geheimnis, bei dessen Aufklärung sich die NSA nützlich machen könnte

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer sich zum UN-Generalsekretär wählen lässt, muss wissen, dass er - so er sein Amt gewissenhaft ausübt - früher oder später in Konflikt gerät mit den wirklich Mächtigen dieser Welt. Ist es da nicht erstaunlich, dass in unseren rauen, völkerrechtsarmen Zeiten bislang nur ein einziger Amtsinhaber inmitten seiner Arbeit das Leben lassen musste? Dag Hjalmar Agne Carl Hammarskjöld heißt er. Der schwedische Diplomat war 1953 zum UN-Chef gewählt worden.

Die Weltorganisation hat dem postum mit dem Friedensnobelpreis Ausgezeichneten eine Website gewidmet. Die ist - was seinen Tod betrifft - mehr als nur vage. Faktenkenntnis vorausgesetzt, kann man ahnen, wie brodelnd die Situation Anfang der 1960er Jahre im damaligen Afrika war. Junge Nationalstaaten begehrten auf, alte Mächte wollten ihre Positionen nicht kampflos räumen, schließlich ging es um gigantische Bodenschatzvorkommen. Zwischen dem 18. Dezember 1959 und dem 31. Januar 1960 besuchte der UN-Generalsekretär 21 Länder in der Region. Vor allem spitzte sich die Lage in der Republik Kongo zu. Das rohstoffreiche Land war 1960 in die Unabhängigkeit entlassen worden. Präsident Joseph Kasa-Vubu und Premier Patrice Lumumba erbaten die Entsendung von Blauhelmen, um Söldnerheere aus der ehemaligen belgischen Kolonie zu vertreiben.

Die vierte Kongo-Reise »begann am 12. September und endete mit dem tödlichen Flugzeugunglück«, heißt es auf der UN-Website. Wertfreier kann man das, was alle Welt als zumindest seltsamen Vorfall betrachtete, kaum schildern. Hammarskjöld war auf dem Weg zu einem Treffen mit dem Putschpräsidenten Katangas Moïse Tschombé, um in der Kongokrise zu vermitteln. Mit an Bord des Flugzeuges waren die Besatzung, Sicherheitsleute und UN-Beamte wie der Berater für Afrikafragen, der (west-)deutsche Ethnologe Heinrich Albert Wieschhoff.

In Leopoldville (heute Kinshasa) machten sie Station. Von dort aus startete am Nachmittag des 17. September ein Flugzeug mit dem Vorauskommando nach Ndola, einer Stadt an der Grenze zwischen der abtrünnigen kongolesischen Provinz Katanga und Nordrhodesien, dem heutigen Sambia. Knapp eine Stunde später folgte die viermotorige DC 6 mit Hammarskjöld. Um befürchteten Anschlägen auszuweichen, nahm sie einen weiten Umweg. Nachdem das Vorauskommando wohlbehalten am Zielort angekommen war, meldete sich kurz nach Mitternacht der Pilot der zweiten Maschine zur Landung an. Dann riss der Funkkontakt ab. In den Mittagsstunden des nächsten Tages wurde das zerschellte und ausgebrannte Flugzeugwrack rund sechs Kilometer vom Flughafen Ndola entfernt gefunden.

Nun, 42 Jahre danach, hat eine von der Hammarskjöld-Stiftung eingesetzte Juristenkommission Fakten neu untersucht und Zeugen befragt. Ergebnis: Es wird angeregt, dass in dem Fall neu ermittelt wird, um eines der größten Geheimnisse des Kalten Krieges zu enträtseln.

Bereits 1998 hatte die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission beziehungsreiche, einst geheime Dokumente vorgelegt. Sie lassen vermuten, dass Hammarskjöld einem Mordkomplott von Geheimdiensten aus Südafrika, der USA und Großbritanniens zum Opfer gefallen ist. Washington wie London bestreiten die Echtheit der Dokumente. Vor zwei Jahren hatte der britische »Guardian« recherchiert und zahlreiche Zeugen aufgetan. Einige hatten ein zweites, kleines Flugzeug gesehen, das auf Hamerskjölds Maschine geschossen habe. Bewohner am westlichen Stadtrand berichteten, dass sie nicht an das Wrack vorgelassen wurden. Nordrhodesische Sicherheitskräfte schirmten alles weiträumig ab. Ein Arzt beklagte sich, dass der einzige Überlebende - ein US-Sicherheitsmann namens Harold Julian - noch am Leben sein könnte, wenn man ihn in ein anderes Krankenhaus gebracht hätte.

Vermutungen und Indizien gibt es zuhauf. Die Kommission regt zum Erstaunen vieler an, die NSA einzubeziehen. Der US-Geheimdienst, der mit seiner globalen Datenschnüffelei gerade in Negativschlagzeilen steht, könnte sein Image aufbessern, wenn er noch immer als geheim eingestufte Dokumente freigeben würde. Der Dienst verfüge mit großer Sicherheit über Funkmitschnitte des Flugplatzes, vor dem die Maschine abgestürzt ist, glaubt Kommissionsvorsitzender Stephen Sedley. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki Moon neigt zu einer Neuaufnahme der Hammerskjöld-Untersuchung. »Die Vereinten Nationen sind natürlich mit am meisten daran interessiert, die ganze Wahrheit über die Umstände aufzuklären, die zu seinem Tod geführt haben.«

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