Falken und Traumjäger machen sich fit

Private Raumfahrtunternehmen zielen längst nicht mehr bloß auf Touristenflüge an die Grenze der Erdatmosphäre

  • Eugen Reichl
  • Lesedauer: 4 Min.

Der einstige Stolz der NASA, die Space Shuttles »Atlantis«, »Discovery« und »Endeavour«, stehen längst im Museum. Die ehemals vollen Parkplätze am Kennedy Space Center sind leer und verwaist, die Startanlagen 39A und 39B, von denen die Raumfähren in den Orbit aufbrachen, demontiert. Zehntausende von Mitarbeitern der NASA und ihrer Vertragspartner bekamen in den letzten Jahren ihre Entlassungspapiere.

Doch das Bild der Tristesse trügt. Am Cape und bei den Raumfahrtfirmen überall in den Vereinigten Staaten haben die meisten der einstigen Shuttle-Techniker und Ingenieure inzwischen einen neuen Job gefunden. Und das liegt zu einem guten Teil an den Neulingen in der Raumfahrt. An Firmen wie SpaceX, Orbital Sciences, Sierra Nevada, Blue Origin, Virgin Galactic und vielen anderen. Sie alle suchen händeringend qualifiziertes Personal.

Fachwerk aus dem Baukasten

Flugzeuge und Raumsonden sollen möglichst leicht sein und zugleich starken mechanischen Beanspruchungen standhalten. Tragflügel etwa werden schon seit den Anfängen der Fliegerei aus der geringstmöglichen Zahl von Spanten und Holmen gebaut, die mit einer relativ dünnen Beplankung ihre endgültige Form erhalten.

Sandwiches aus Blechen und einer dünnen Wabenstruktur werden ebenso eingesetzt wie faserverstärkte Verbundwerkstoffe aus Kunststoff, Metall oder Keramik. Der Nachteil dieser Konstruktionen: Die einzelnen Komponenten müssen meist fest verklebt oder verlötet werden. Das ist arbeitsaufwendig und ziemlich unflexibel.

Zwei Wissenschaftler vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (USA) wollen die Herstellung von Leichtbaukomponenten mit einer Art Baukastensystem aus kreuz- und stäbchenförmigen Elementen revolutionieren. Diese Elemente bestehen aus Faserverbundwerkstoffen und werden einfach als dünne Scheiben von einem entsprechenden Rohling abgeschnitten. Anschließend können sie zu Gitterstrukturen in der Größe des geplanten Endprodukts verbunden werden. Diese räumlichen Gitter sind - gemessen am Gewicht - zehnmal steifer als bisherige ultraleichte Materialien. Im Bild wird eine einfache Struktur gerade auf ihre Belastbarkeit getestet. Derzeit entwickeln Kenneth C. Cheung und Neil Gershenfeld einen Montageroboter, der wie ein Insekt an der wachsenden Struktur entlangklettern und weitere Bauelemente anfügen kann. Ihr Verfahren stellten sie kürzlich im Wissenschaftsjournal »Science« (Bd. 341, S. 1219) vor.

 

Die private Raumfahrt boomt. Wo noch vor wenigen Jahren Powerpoint-Präsentation, Youtube-Trickfilmchen und lebensgroße Sperrholz- und Plastikmodelle vorherrschten, entsteht jetzt überall »richtige« Weltraum-Hardware. Die New-Space-Szene hat einen Gang höher geschaltet.

Hoffnungsträger der Raumfahrtgemeinde

So ist in Wallops Island an der Ostküste der USA gerade der von Orbital Sciences entwickelte »Cygnus« zu seiner ersten Mission gestartet. »Cygnus« ist ein Frachtschiff für die Versorgung der Internationalen Raumstation ISS. Für seine Trägerrakete, die ebenfalls privat entwickelte »Antares«, ist das schon der zweite Start. Der erfolgreiche Erstflug, damals noch ohne Nutzlast, fand im April statt.

Das kalifornische Unternehmen SpaceX, repräsentiert durch seinen Eigentümer und Ideengeber Elon Musk, ist in dieser Szene eindeutig der Popstar. Er hat Fan-Blogs und auf seinen verschiedenen Twitter-Accounts über eine Million Follower. Er ist der Hoffnungsträger der Raumfahrtgemeinde, denen die staatliche Raumfahrt zu verzagt und zu risikoscheu ist. Bei seinen Trägerraketen heißt das Mantra »Wiederverwendbarkeit«. Das bisherige Verfahren ist es, ausgebrannte Raketenstufen im Meer zu versenken oder über Land abstürzen zu lassen. Das war auch bei den ersten fünf Flügen der SpaceX-Rakete »Falcon 9« so, bei denen unter anderem die rückkehrfähige »Dragon«-Kapsel an die ISS andockte.

Künftige »Falcon«-Raketen (dt. Falke) sollen jedoch nach jedem Einsatz wieder zum Startort zurückkommen, neu betankt werden und zum nächsten Einsatz starten. Um das technisch extrem schwierige Rückkehr-Verfahren zu testen, hat SpaceX einen Erprobungsträger für die neue Technologie geschaffen: den »Grasshopper«. Dieses Testvehikel - von immensen Ausmaßen übrigens, 50 Tonnen schwer und 32 Meter hoch - hat bereits ein halbes Dutzend Flüge hinter sich.

Die private Raumfahrt ist in permanenter Bewegung

Ebenfalls mit dem Flugbetrieb beginnt in diesen Tagen der »Dream Chaser« (dt. Traumjäger) der Sierra Nevada Corporation. Noch nicht mit richtigen Orbitaleinsätzen, aber immerhin mit Testflügen in der Atmosphäre. Der »Dream Chaser« ist bei den Amerikanern besonders beliebt, denn er sieht so aus, als hätten die großen Shuttles auf ihre alten Tage noch Nachwuchs bekommen.

Die private Raumfahrt ist in permanenter Bewegung. Fast im Wochenabstand tauchen Newcomer auf. In diesen Tagen machen gerade die ShipinSpace Ltd., die Swiss Space Systems und die B612-Foundation von sich reden. Der Geschäftszweck der ersten beiden ist der suborbitale Weltraum-Tourismus, während die B612 Foundation kein geringeres Ziel hat als die Rettung der Erde. Sie will sich um die Abwehr todbringender Asteroiden kümmern.

Das Geschäftsfeld von Planetary Space soll die bergmännische Ausbeutung von Asteroiden sein. Dazu haben sich eine Reihe milliardenschwerer Investoren zusammengetan. Spannend ist auch das Projekt »Mission America« von Dennis Tito. Tito, mancher erinnert sich noch daran, ist ein vermögender Unternehmer und der erste Weltraumtourist, der zur Internationalen Raumstation flog. Sein Plan: Schon 2018 soll eine kleine Crew, bevorzugt ein Ehepaar, auf eine interplanetare Reise zum Mars aufbrechen. Das Raumschiff wird weder dort landen noch auf eine Umlaufbahn um den Roten Planeten gehen, sondern auf einer freien Rückkehrbahn bleiben und nach 437 Tagen wieder auf der Erde zurückerwartet. Technisch wäre das gut machbar.

Für immer im All

Etwas fragwürdiger ist dagegen »Mars One«. Bei diesem Projekt sollen bis zum Jahr 2023 Menschen auf dem Mars landen und dort eine Basis errichten. Die Idee des holländischen Unternehmers Bas Landsorp hat allerdings einen Haken: Seine Astronauten können nicht wieder zur Erde zurückkehren. Sie müssen ihr restliches Leben auf dem Mars verbringen. Das macht die Mission technisch einfacher und billiger. Landsdorps verweist auf die Siedler, die im 16. Jahrhundert nach Amerika aufbrachen. Die hätten ja schließlich auch keine Rückfahrkarte gehabt.

Mancher Unternehmer in der privaten Raumfahrt denkt noch weiter. Firmen wie Golden Spike, Excalibur Almaz und natürlich wieder SpaceX planen schon jetzt, wie sie die Erdumlaufbahn verlassen und tiefer in den Weltraum vordringen können. So wie einst die Apollo-Raumschiffe, die von Florida aus ihre Reise zum Erdtrabanten antraten. In dem Zusammenhang kommen wir wieder auf die verwaisten Startanlagen in Cape Canaveral zurück. Um die ist nämlich dieser Tage ein veritabler Streit zwischen SpaceX und Blue Origin ausgebrochen. Jeder von den beiden möchte sie gerne haben. Das ist ein gutes Zeichen, denn dann werden die dazugehörigen Parkplätze auch bald wieder voll sein.

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