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Gescheiterte Spitzenkandidaten wollen sondieren

Die Grünen-Führung muss neu gewählt werden / Parteiflügel fordern zudem eine inhaltliche Neuausrichtung

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 3 Min.
Sollte die Union Sondierungsgespräche mit den Grünen führen wollen, wäre die Führung der Öko-Partei dazu bereit. Der Realo-Flügel drängt darauf, diese Verhandlungen auch ernst zu nehmen.

In der Grünen-Führung ist noch niemand bereit, persönliche Konsequenzen aus dem schlechten Ergebnis bei der Bundestagswahl zu ziehen. Am gestrigen Montag kündigte die Parteichefin Claudia Roth an, dass beim nächsten Bundesparteitag im Oktober ein neuer Vorstand gewählt werde. Eine »Reaktion auf die Wahlniederlage«, wie Roth behauptete, ist dieser Schritt jedoch nicht. Die Neuwahl ist aufgrund der Parteisatzung zwingend erforderlich. Denn von den sechs Mitgliedern der Parteispitze dürfen nur zwei auch Bundestags- oder Landtagsabgeordnete sein. Neu in den Bundestag eingezogen sind nun Parteichef Cem Özdemir und Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke. Bisher waren im Vorstand nur Claudia Roth und Astrid Rothe-Beinlich Mitglied des Bundestags bzw. des thüringischen Landtags. Nun haben also vier der sechs Vorstandsmitglieder einen Abgeordnetenposten. Özdemir ließ durchblicken, dass er erneut für das Amt des Parteivorsitzenden kandidieren wolle. Roth hielt sich bedeckt. Neben dem Vorstand soll beim Bundesparteitag auch der Parteirat, der den Vorstand berät und über Strategien entscheidet, neu gewählt werden.

In den kommenden Tagen dürfte neben anderen Grünen auch Steffi Lemke unter Druck geraten. Sie wurde von Parteikollegen indirekt für das mit 8,4 Prozent enttäuschende Wahlergebnis verantwortlich gemacht. Im Wahlkampf seien die Inhalte »falsch vermittelt« worden. Lemke war Wahlkampfmanagerin. Auch die Zukunft von Spitzenkandidat Jürgen Trittin ist unsicher. Ihm wird vorgeworfen, die Steuerpolitik zu stark betont zu haben. Andere Grüne hätten sich lieber auf die Energiewende konzentriert.

Ebenso wie Trittin ließ auch Ko-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt offen, ob sie künftig die Bundestagsfraktion anführen will. Die neu gewählte Fraktion wird heute erstmals zusammentreten. Sicher ist bereits, dass der langjährige Parlamentsgeschäftsführer Volker Beck auf seinen Posten im neuen Bundestag verzichtet. »Ich sehe meine Perspektiven in der Fachpolitik«, sagte Beck. Zudem verlange das Wahlergebnis nach Veränderung. Beck war während der Pädophilendebatte in die Kritik geraten. Er hatte einst für eine Entkriminalisierung von sexuellen Kontakten zwischen Erwachsenen und Kindern plädiert. Allerdings hat Beck sich schon vor Jahren von seinen früheren Thesen distanziert.

Oberwasser könnte nun der Realo-Flügel der Partei bekommen. Deren Vertreter hatten die vor allem von Trittin durchgesetzten Forderungen nach Steuererhöhungen für Vermögende und Besserverdienende als unternehmerfeindlich kritisiert. Auch die Fixierung auf ein Bündnis mit der SPD war ihnen ein Dorn im Auge. Nun nutzen die Realos den Wahlausgang, um ihre Forderungen zu erneuern. Der bayerische Landeschef Dieter Janecek, der erstmals der Bundestagsfraktion angehören wird, verlangte eine personelle Neuaufstellung und ernsthafte Gespräche mit der Union, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel den Grünen diese Verhandlungen anbieten sollte. Claudia Roth bestätigte, dass die Parteispitze für mögliche Sondierungsgespräche, an denen auch Trittin und Göring-Eckardt teilnehmen wollen, offen sei. Dies solle bei einem kleinen Parteitag der Grünen am Samstag debattiert werden. Allerdings wird in der grünen Führungsmannschaft betont, dass man wegen vieler inhaltlicher Differenzen bei Energie und Bürgerrechten Schwarz-Grün für unwahrscheinlich halte.

Grüne, die dem linken Flügel zugerechnet werden, monierten hingegen die fehlende Offenheit für ein Mitte-Links-Bündnis. Sie sehen die Verantwortung hierfür alleine bei der SPD, obwohl auch führende Grüne die LINKE immer wieder als »nicht regierungsfähig« bezeichnet hatten. »Es ist falsch, dass die SPD Sondierungsgespräche und damit Rot-Rot-Grün von Anfang an kategorisch ausschließt«, sagte die nordrhein-westfälische Landesparteichefin Monika Düker. Die bisherigen Oppositionsparteien hätten zumindest rechnerisch zusammen eine Mehrheit.

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