LINKE hält Türen offen

Parteivorstand gab am Montag Grünes Licht für mögliche Koalitionsgespräche

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 5 Min.

Eigentlich hatte Fraktionschef Gregor Gysi an diesem Montag frei nehmen wollen. Zumindest hatte er gewettet, dass er am 23. September mal richtig ausschlafen werde. »Jetzt sitze ich hier vor ihnen. Das ärgert mich maßlos«, sagte er mit einem Augenzwinkern auf der Pressekonferenz der Parteivorstandes am Montagmittag. Die vorhergehende Sitzung des Führungsgremiums hatte Gysi allerdings geschwänzt. Der smarte Vermittler war aber offenbar nicht vonnöten. Mit großer Mehrheit hatte der Vorstand am Montag beschlossen, Koalitionsgespräche mit SPD und Grünen nicht von vorn herein auszuschließen.

»Die LINKE ist zu Gesprächen bereit«, betonte Parteichef Bernd Riexinger. Eine große Koalition von Union und SPD bedeute »weitere Stagnation von vier Jahren«, so der Vorsitzende. Rein rechnerisch ist Rot-Rot-Grün möglich. Doch sowohl SPD als auch Grüne hatten ein Zusammengehen mit der LINKEN vor der Wahl kategorisch ausgeschlossen. Doch die Kampagne der SPD zur Ausschlusspolitik sei gescheitert, urteilte Riexinger. »Sie hat eher dazu geführt, dass Merkel so ein gutes Ergebnis einfahren konnte«. Gregor Gysi sekundierte: »Ich bin sicher, dass es dieses Türenzumachen in dieser Form zum letzten Mal vor dieser Bundestagswahl gegeben hat«. Allerdings musste Gysi auf die Frage eines Journalisten, ob der Zug nicht längst abgefahren sei, eingestehen: »Sie haben wahrscheinlich Recht«.

So unwahrscheinlich Koalitionsverhandlungen derzeit auch scheinen mögen: Für die LINKE ist es besser, wenn sie die innerparteilichen Diskussionen um eine Regierungsbeteiligung nicht führen muss. Um ernsthaft in Verhandlungen treten zu können, müsste die Partei einige ihrer Positionen neu überdenken. Insbesondere die strikte Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist für SPD und Grüne Ausweis der Regierungsunfähigkeit. Erste Versuche, diesbezügliche Debatten anzustoßen, gibt es bereits.

Disziplinierte Ruhe

Momentan befindet sich die LINKE in einem Zustand disziplinierter Ruhe, den am Montag auch einige Genossen aus dem Westen nicht gefährden konnten. Aus dem linken Flügel der Partei wurden Stimmen laut, die für die Bundestagsfraktion eine Doppelspitze fordern. So sagte der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko dem »Kölner Stadtanzeiger«, dass neben Gysi auch Sahra Wagenknecht einen hervorragenden Wahlkampf gemacht habe. »Eigentlich müssten die beiden eine Doppelspitze bilden«, so Hunko. Derzeit führt Gysi die Fraktion allein und hatte bislang alle Versuche, dies zu ändern, brüsk zurückgewiesen. Unterstützung bekam Hunko von Diether Dehm, seines Zeichens Musikproduzent und Bundestagsabgeordneter aus Niedersachsen. »Die Statuten sehen eine Doppelspitze vor«, so Dehm gegenüber dem Stadtanzeiger.

Derweil meldete sich Oskar Lafontaine zu Wort. Der ehemalige Parteichef sprach sich für mehr Führungspersonal aus dem Westen in der LINKEN aus. Die Partei habe bei der Bundestagswahl »im Westen wieder mehr Stimmen erhalten als im Osten«, sagte der Fraktionsvorsitzende der saarländischen LINKEN. Daraus sei zu schließen, dass das Gesicht der Partei westlicher werden müsse.

In der neuen Bundestagsfraktion ist das Ost-West-Verhältnis jedenfalls ausgeglichen: 32 Abgeordnete kommen aus den alten Ländern und 32 aus den neuen. »Das ist eine wunderbare und extrem gerechte Mischung«, freute sich Gysi am Montag. »Die LINKE ist aus der deutschen Politik nicht mehr wegzudenken und erst recht nicht mehr wegzukriegen.«

Abwärtstrend gestoppt

Tatsächlich konnte die Partei ihren Abwärtstrend in den alten Ländern stoppen. »Auch im Westen kam sie wieder über fünf Prozent, was ihre Rolle als bundespolitische Partei unterstreicht«, urteilte Horst Kahrs in einer Wahlanalyse für die Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Doch ein Blick auf Zahlen dürfte die Freude bei manchem Genossen gehörig trüben: Die LINKE hat im Vergleich zu 2009 rund 3,3 Prozent verloren. Auch wenn Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn am Montag betonte, dass man mit den nun erreichten 8,6 Prozent »das Ergebnis von 2005 wiedergeholt« habe. Damals hatte die Linkspartei.PDS mit ihren Spitzenkandidaten Gysi und Lafontaine 8,7 Prozent eingefahren. Die 11,9 Prozent vom September 2009 hat man diesmal deutlich verfehlt.

Das Ergebnis vom Sonntag ist sicher ein Erfolg, den der zerstrittenen LINKEN nach ihrem Göttinger Parteitag im Juni 2012 keiner zugetraut hätte. Trotzdem sind die Verluste schmerzhaft. Nur noch 64 Linksparlamentarier werden dem neuen Bundestag angehören. Damit büßt die Fraktion 12 Sitze ein. Außerhalb Berlins verlor die LINKE zudem alle 2009 erkämpften Direktmandate, in Thüringen ebenso wie in Mecklenburg-Vorpommern. Besonders bitter: In Brandenburg gelang es keinem der vier direkt Gewählten, seinen Wahlkreis zu verteidigen.

1,4 Millionen Wähler kehren der LINKEN den Rücken

Insgesamt kehrten mehr als 1,4 Millionen Wähler der LINKEN den Rücken. Das hat auch finanzielle Folgen: Knapp eine Million Euro an staatlicher Teilfinanzierung gehen durch den Zweitstimmenverlust flöten.

Ebenso traurig: Rund 360 000 Menschen, die 2009 die LINKE wählten, machten ihr Kreuz nun bei der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD). Nur die FDP verlor mehr Stimmen an die Eurokritiker um Parteigründer Bernd Lucke. »Bei uns im Wahlkreis habe ich von vielen Menschen gehört, dass sie zwar die Erststimme der LINKEN, die Zweitstimme aber der AfD geben«, so ein Fraktionsmitarbeiter gegenüber »nd«.

Auch der Parteichefin ist diese Wählerwanderung der unheimlichen Art nicht verborgen geblieben. Auf Nachfrage meinte Katja Kipping am Montag, dass die LINKE hier Aufklärungsarbeit leisten müsse. Viele wüssten nicht, dass die Alternative von Professoren gegründet worden sei, die sich seit Jahren für Lohnkürzungen einsetzten. Auch die »herrschenden Deutungsmuster der Finanzkrise«, wonach diese eine Schulden- und keine Spekulationskrise sei, spielten der antidemokratischen »Blut und Stahl«-Partei in die Karten. Der Trend ist unheimlich und zeigt, dass die LINKE bei vielen Wählern den Status als Protestpartei offenbar vorerst eingebüßt hat.

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