Sonnenglanz aus Mumienbäuchen
Eine Objektkunst-Ausstellung transponiert untergegangene Indianerkultur ins moderne Leben
Es glänzt, es wallt, es bordet über. Maiskolben, Weinflaschen, Skeletthände, Goldgeschirr, Perlenketten - eine barocke Flut von Gegenständen quillt aus Mumienbäuchen. Masken, Federschmuck und Stofffetzen treiben ihr frivoles Spiel zwischen Leben und Tod.
»Mumienglanz. Künstlerische Autopsien einer südamerikanischen Indianerkultur«. So der Titel einer üppigen Objektkunstausstellung im Maria-Reiche-Saal der peruanischen Botschaft in Berlin. Die Bühnenbildnerin Nancy Torres, erfahren durch eine große Anzahl von Arbeiten an Opern- und Theaterhäusern, zeigt plastische Leinwandarbeiten, Stoffskulpturen und Puppen in den Farben und Formen der untergegangenen Mumienkultur des südamerikanischen Inkareiches, umgesetzt in eine sehr subjektive Komposition von Malerei und Objektkunst. Ein Besucher notiert: »Das ist eine dreidimensionale Botschaft an die kunstsinnige Öffentlichkeit, von der eine Wirkung ausgehen könnte vergleichbar derjenigen der Fresken von Diego Rivera an den Gebäuden der Universität von Mexiko. Nur dass die Kunstwerke von Nancy Torres stärker die Seele ansprechen; sie sind wärmer, intimer, anrührender.« Der peruanische Botschafter, José Meier, spricht von einem signifikanten Beispiel zeitgenössischer lateinamerikanischer Kunst.
Die Gestalterin ist in Kuba geboren. Sie kommt aus einer Welt, wo jedes Stück Draht, jeder Nagel, jedes Fetzchen Stoff einen Wiederverwendungswert haben. Gegenstände umzufunktionieren und in neue Nutzungszusammenhänge einzufügen, das hat ihr Leben früh geprägt. Ihre Objektcollagen erheben dieses Alltagsverhalten zur Kunst. Jeder Gegenstand, auch der trivialste, ist kunstwürdig. Das weiß man, seit Picasso begann, Realitätsfragmente in seine Malerei aufzunehmen. Kurt Schwitters, der Dadaist und Surrealist, sprach vom »Entformen« der Gegenstände zum Zwecke der Komposition auf der Leinwand, vom Gegeneinander in Farbe, Form und Linie, vom Spiel Material gegen Material. Werden die Dinge aus dem gewohnten Zusammenhang herausgerissen, entwickeln sie ein neues magisches Eigenleben.
Mit ihrer Ausstellung »Mumienglanz« erinnert Nancy Torres an einen Weltkulturschatz, dessen Überbleibsel heute von Archäologen gehoben werden. Einst, als Pizarros Eroberer in Südamerika einfielen, erbeuteten sie alle greifbaren Goldschätze der Indianerkulturen von Kolumbien bis Chile. Um dem Sohn des Sonnengottes, dem Inkakönig Atahulapa, das Christentum aufzuzwingen - die zu dieser Zeit übliche Besiegelung der Unterwerfung -, bedrohten sie ihn mit dem Scheiterhaufen, dem Schändlichsten, was dem Inka widerfahren konnte. Denn in seiner Welt waltete der Glaube an ein Weiterleben des Körpers im Totenreich. Als Lösegeld bot der Inka ihnen an, mit Goldschätzen sein Verließ zu füllen, so hoch sein Arm reichte. Die Eroberer schmolzen die Kunstgüter, zusammengetragen aus seinem ganzen Reich, zu handlichen Barren ein, um sie besser verteilen zu können: unter sich, an den Königshof und an die Kirche. Sie schichteten dem 32-jährigen Inkaherrscher keinen Scheiterhaufen, sondern erdrosselten ihn auf der Garotte. Geschehen am 29. August 1533.
Nunmehr, 480 Jahre nach diesem grausigen Tod, setzt Nancy Torres dem Inkakönig eine posthume künstlerische Würdigung. Unter ihrer Künstlerhand erwacht gleichsam eine indianische Geistergesellschaft und zwingt die heute Lebenden zum Nachdenken. Autopsie - das ist »Sehen mit eigenen Augen«. Der Begriff entstammt der Gerichtsmedizin. Bezeichnet wird damit die Leichenöffnung zur Ermittlung einer Todesursache. Hier wird der Vorgang übertragen in die Kunst. Präsentiert werden künstlerische Autopsien, gefertigt aus Textilien, Glas, Holz und Metall des heutigen Alltagsgebrauchs, jedoch in den Farben der Inkakultur. Angebote zur Reflexion. Nicht nur darüber, was das barbarische Verhalten der einst vom Gold geblendeten Eroberer Südamerikas betrifft, die in ihrer Beutegier nicht ahnten, welchen Frevel sie anrichteten, als sie den Mumien in den Tempelnischen die Bäuche aufschlitzten auf der Suche nach Goldbeigaben. Nicht nur über einstige europäische Abenteurer, deren krudes Seelenleben ihnen nicht erlaubte, die große Kultur zu erkennen, die ihnen zu Füßen lag. Nein, auch über Besitzgier und weitverbreitetes Ignorantentum unter uns Heutigen.
»Mumienglanz«. Botschaft der Republik Peru, Berlin, Mohrenstraße 42, nahe Gendarmenmarkt
Mo-Fr, 10-13 / 15-18 Uhr. Bis Ende Oktober. Eintritt frei.
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