»In der Geiselhaft der Konzerne«

Attac-Mitgründer José Bové begrüßt neuere Protestbewegungen wie Occupy

  • Lesedauer: 4 Min.
José Bové ist ein Initiator des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac, das vor 15 Jahren in Frankreich gegründet wurde. Bové wurde zudem durch seinen öffentlichkeitswirksamen Widerstand gegen die Handels- und Agrarpolitik der EU zu einer der bekanntesten Figuren der Globalisierungskritik. Mit ihm sprach für »nd« Susanne Götze.

nd: Vor 15 Jahren haben Sie Attac Frankreich mitgegründet: Wieso hört man in Zeiten der Krise nichts mehr von den einstigen Propheten des Finanzcrashs?
Bové: Als Attac 1998 gegründet wurde, hat niemand über die Probleme der internationalen Finanzmärkte gesprochen - das war einfach nicht auf der Politikagenda. Mit der Gründung haben wir die Rolle der multinationalen Konzerne denunziert und eine Steuer für internationale Finanzströme gefordert - das war etwas komplett Neues. Attac war eine Art Bildungseinrichtung für viele politisch Engagierte - von Gewerkschaften bis zu gemeinnützigen Vereinen. Heute ist Attac etwas unscheinbarer und hat auch weniger Anhänger. Aber das Netzwerk nimmt immer noch seine Rolle als Kompetenzzentrum und Ideengeber wahr.

Aber ist es nicht paradox, dass Attac gerade heute kaum wahrgenommen wird?
Ja, aber so funktioniert Geschichte: Die Propheten schlagen Alarm, dann kommt die Katastrophe, alle reden darüber und sie geraten in Vergessenheit. Attac ist weder ein politischer noch eine gewerkschaftlicher Akteur, sondern war immer eine Austausch- und Begegnungsplattform. Die Diskussion um die Finanztransaktionssteuer zeigt, dass die Ideen von Attac in Politik und Gesellschaft aufgegriffen werden.

Was halten Sie von neuen Bewegungen wie »Occupy« oder den Indignados, die in den USA und Europa vor allem politisch motivierte Besetzungen vornehmen?
Jede Epoche hat ihre ganz eigenen Aktionsformen. Es stimmt, dass die Indignados wirklich ein ganz neues Phänomen sind. Sie gehen nicht mehr wie Attac von der Analyse der internationalen Finanzmärkte aus, sondern von den konkreten Auswirkungen dieses Wirtschaftssystems auf den Alltag. Diese neuen Bewegungen beschäftigten sich also erst einmal mit Problemen wie der Wohnungsnot oder Arbeitslosigkeit und nehmen dann die Analysen und Lösungsansätze von Attac auf. Wenn es Attac nicht gegeben hätte, wären vielleicht auch Occupy und die Indignados nicht da.

Wie haben sich die sozialen Kämpfe denn in den letzten 15 Jahren verändert?
Attac war immer mehr in die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren wie den Gewerkschaften eingebunden. In diesem Sinne war diese Bewegung sehr organisiert aber hatte nie den Anspruch, die Gruppen zu vertreten. Es gibt eine Kontinuität der sozialen Bewegungen von Attac bis zu Occupy. Doch Occupy- Wall Street ist ganz klar eine spontaneistische Bewegung, die sich an den konkreten Alltagsproblemen der Menschen ausrichtet, daher der Slogan: »Wir sind 99 Prozent.« Diese Bewegungen sind auch viel größer. Stéphane Hessel, der Buchautor von »Empört euch!«, hätte niemals gedacht, dass so viele Menschen seinem Aufruf folgen und in die Öffentlichkeit treten.

Sie waren schon in den 1970er Jahren mit der spektakulären Besetzung von Larzac - gegen den Ausbau eines Militärübungsgeländes - in Protestbewegungen aktiv. Was ist heute anders, und können Sie mit den neuen Aktionsformen etwas anfangen?
Ich kann mich sehr gut mit den neuen Bewegungen und ihren Aktionen identifizieren. Wir haben uns damals im Larzac ganz konkret gegen die Enteignungen durch das Militär gewehrt, das aus unserer Region einen Kampfübungsplatz machen wollte. Wir mussten ein Stück Erde gegen die Regierung verteidigen - das war zuerst ein praktischer und erst in der Folge ein intellektueller Kampf. Und auch in der Folge war mein Widerstand gegen die Gentechnik und gegen das »mal-bouffe« (schlechtes Essen) immer sehr praktisch orientiert. Deshalb ist mir die Art und Weise der Bewegungen wie den Indignados sehr nahe: Auch sie gehen von konkreten Problemen aus. Da gibt es noch mehr Beispiele wie den Protest gegen den Flughafenbau in der Bretagne oder die Antiatomproteste in Deutschland.

Woran sollten die sozialen Bewegungen von Attac bis zu den Indignados in den nächsten 15 Jahren arbeiten?
Da gibt es für mich zwei wichtige Punkte: einmal der Widerstand gegen die Organisation der multinationalen Konzerne und die damit zusammenhängenden Freihandelsverträge. Ein Beispiel sind die derzeitigen Verhandlungen zwischen Europa und den USA. Denn mit diesen Abkommen steigen die Möglichkeiten der Konzerne, sich über die gewählten Regierungen und Parlamente hinwegzusetzen. Die Demokratie ist von diesen Unternehmen massiv bedroht.

Die ganze Gesellschaft wird von diesen Konzernen in Geiselhaft genommen. Die zweite Herausforderung ist für mich der Klimawandel. Das Klimathema vereint alle Probleme auf eine beängstigende Weise: Von der Verschwendung der Rohstoffe über die Verschmutzung der Umwelt bis hin zu konkreten Alltagsproblemen durch die erforderliche Anpassung der Landwirtschaft an die neuen Wetterverhältnisse. Da gibt es noch sehr viel zu tun.

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