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Das unbekannte KZ im Südharz

Im Lager Ellrich-Juliushütte kamen tausende Häftlinge zu Tode

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Anfang April wurde der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora vor 80 Jahren gedacht.
Anfang April wurde der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau-Dora vor 80 Jahren gedacht.

Mehrere Wanderwege führen über das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Ellrich-Juliushütte. Große Teile des Areals an der Grenze von Thüringen und Niedersachsen sind bewaldet und als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Gegenüber, hinter den Gleisen, liegt der kleine Bahnhof Ellrich – dort halten stündlich die Züge der Südharzstrecke.

Auf dem Gelände selbst haben nur wenige Bauwerke die vergangenen Jahrzehnte überdauert. Eines der wenigen verbliebenen markanten Objekte ist die Ruine des ehemaligen Küchentraktes. Auch weil weitere sichtbare Relikte fehlen, war die Existenz des heutzutage weitgehend zerstörten Konzentrationslagers, eines Außenlagers des KZ Mittelbau-Dora, bis vor Kurzem in der Öffentlichkeit kaum bekannt.

Jetzt hat ein Forschungsteam erstmals einen Lageplan der Anlage erstellt und die Ergebnisse in einem Buch festgehalten. Die Arbeit erfolgte im Auftrag der Landesdenkmalämter von Thüringen und Niedersachsen, die Wissenschaftler werteten historische Quellen aus, untersuchten den Boden und nahmen vereinzelt auch selbst Grabungen vor.

Der Plan dokumentiert den baulichen Stand des KZ kurz vor der Räumung im April 1945. So konnten erstmals der genaue Verlauf des Lagerzauns und die Position der Wachtürme nachvollzogen werden. Ebenfalls identifizierten die Wissenschaftler seit 2019 neben den exakten Standorten der meisten Gebäude auch zwei Areale, in denen die sterblichen Überreste der Opfer abgelegt wurden. Im letzten Monat des Lagerbetriebs hatte die SS im Krematorium und auf Scheiterhaufen bis zu 1000 Leichen von Häftlingen verbrannt. Vom Krematorium waren bisher nur noch alte Fotos vorhanden.

Das Konzentrationslager Ellich-Juliushütte hatte den Decknamen »Erich« und bestand nur ein Jahr. Die ersten entkräfteten und aus Mittelbau-Dora abgeschobenen Häftlinge, das geht aus Quellen hervor, wurden in die Gebäude einer aufgegebenen Gipsfabrik getrieben und mussten auf dem nackten Betonboden schlafen. Und sich tagsüber bei kräftezehrenden Arbeiten etwa beim Gipsabbau im dem Harz vorgelagerten Kohnstein buchstäblich zu Tode schuften.

Durch den scheinbar unbegrenzten Nachschub an diesen »Bauhäftlingen« sah sich die SS nicht genötigt, die Verhältnisse im KZ wenigstens kosmetisch zu verbessern. So war die Versorgung mit Nahrung und Kleidung absolut unzureichend. Im Winter 1944/45 gab es zeitweise kein Brot, 2000 Häftlinge waren wochenlang unbekleidet.

Not, Tod und Elend auf engstem Raum: Hunger, Kälte und Krankheiten ließen die Sterbeziffer in dem fast durchgängig mit 8000 Häftlingen überbelegten Lager dramatisch ansteigen. Lagerkommandant in Ellrich-Juliushütte war SS-Hauptsturmführer Karl Fritzsch. Er hatte sich gerühmt, zuvor in Auschwitz Tausende Häftlinge eigenhändig umgebracht zu haben. Bei den Neuankömmlingen im KZ kursierte der Spruch: »Kamerad, überall hast du eine Chance zum Überleben. Aber kommst du nach Ellrich, so gibt es kein Entrinnen.«

Nach dem Zweiten Weltkrieg überlagerten die deutsche Teilung sowie wechselseitige Schuldvorwürfe von Ost und West eine Auseinandersetzung mit der Lagergeschichte. Das ehemalige KZ-Gelände in den Gipsfabriken wurde von der deutsch-deutschen Grenze durchschnitten. Auf östlicher Seite begannen DDR-Grenzer schon 1952, ehemalige Lagergebäude abzutragen. Die auf westlicher Seite erhaltenen Bauten, darunter das Krematorium, sprengte der Bundesgrenzschutz 1964.

Angestoßen wurde das thüringisch-niedersächsische Forschungsprojekt durch die Entdeckung eines lange Zeit unbekannten Massengrabs auf dem Gelände. Engagierte Bürgerinnen und Bürger drangen darauf, den Ort zu einem Gedenk- und Lernort zu entwickeln. Dafür habe er jedoch zunächst wissenschaftlich erforscht werden müssen, sagt Ellrichs Bürgermeister Henry Pasenow (CDU). Inzwischen sei die archäologische Suche nach den Gebäuderesten abgeschlossen. Darauf aufbauend könne der Einstieg in die Konzeption eines Gedenkortes beginnen.

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