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»Marx is muss«: Strategien gegen die Aufrüstung
Linke-Politikerinnen diskutieren auf Marxismus-Kongress Parteierneuerung und antimilitaristische Profilierung. Marx 21 plant revolutionären Neustart
Das »nd«-Gebäude verwandelte sich am Wochenende zu einem linken Lern- und Begegnungsort. Der Marxismus-Kongress hatte für vier Tage in Berlin-Friedrichshain residiert. Kleine und große Gruppen setzten sich auf die Wiese vor dem Haus, diskutierten, tauschten sich aus. Mittags und abends bildete sich vor der Essensausgabe eine lange Schlange. Mehr als 1200 Menschen nahmen an dem Kongress teil, das hat alle Erwartungen übertroffen. »Wir mussten sogar die Anmeldeliste schließen, weil der Andrang so stark war«, sagte eine Mitorganisatorin. Sie sieht es als besonders erfreulich, dass viele der jungen Menschen, die in den vergangenen Monaten Haustürwahlkampf für Die Linke gemacht haben oder in die Partei eingetreten sind, in diesem Jahr die Veranstaltungen besucht haben.
Der Kongress hat eine inzwischen lange Tradition: Vor 18 Jahren löste sich die Gruppe Linksruck auf. Viele ihrer Mitglieder wurden anschließend im neu gegründeten Netzwerk Marx 21 aktiv, das seither jährlich die Veranstaltung organisiert. Marx 21 plant aktuell einen Neustart als revolutionäres Netzwerk, wie es in einem Eckpunktepapier heißt, das auf dem Kongress zirkulierte.
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Die Schrift wirbt für eine Klassenpolitik, die Kämpfe gegen Ausbeutung und Unterdrückung verbindet. Das machen die Autor*innen am Beispiel der Arbeitskämpfe in Krankenhäusern und Kitas deutlich. Dort arbeiteten überwiegend Frauen, viele kommen nicht aus Deutschland. Hier greifen verschiedene Stoßrichtungen der linken Bewegung ineinander, und der Zusammenhang von Antikapitalismus, Antirassismus und Feminismus wird praktisch.
Mehrere Arbeitsgruppen beschäftigten sich mit der gewerkschaftlichen Erneuerung. »Können Logistikarbeiter*innen bei Amazon und Co. gewinnen?« lautete der Titel einer Runde. Ein anderes Panel beschäftigte sich mit Zukunftsstrategien der Beschäftigten in der Automobilindustrie. Dabei ging es auch um die Frage, wie eine Verkehrswende gelingen und statt umweltschädlicher Autos der öffentliche Nahverkehr ausgebaut werden kann, ob es tatsächlich machbar ist, dass die kriselnden Autokonzerne künftig Bahnen und Busse bauen können.
Dennoch befürchteten viele Teilnehmende, dass zwar viele produktive Diskussionen begonnen hätten, diese aber durch den einsetzenden Rüstungskeynesianismus wieder zurückgedrängt werden könnten. Gleich an mehreren Industriestandorten soll die zivile in militärische Produktion umgewandelt werden. Beispielhaft steht dafür Görlitz, wo eine Fabrik mit langer Tradition im Waggonbau, die einst Alstom gehörte, zu einer Panzerfabrik umgerüstet werden soll. Auch in Osnabrück soll ein ehemaliges VW-Werk zu einer Rüstungsschmiede werden. Mehrere Redner*innen betonten, dass an diesen Orten antimilitaristische Interventionen nötig sind.
Ines Schwerdtner warnte vor der Illusion, die Partei könne das hohe Aktivitätsniveau des Wahlkampfs dauerhaft aufrechterhalten.
Das könnte auch eine Aufgabe für eine erneuerte Linkspartei sein. In dem Positionspapier hebt Marx 21 ihren Beitrag bei der Erneuerung der Linken hervor. Viele ihrer Genoss*innen beteiligten sich an dem Haustürwahlkampf und sorgten so für den Wahlerfolg der Partei. In mehreren Gesprächen erklärten Genoss*innen, sie wären erst nach dem Abgang des sozialkonservativen Flügels Sahra Wagenknecht in die Partei eingetreten.
Lesen Sie auch: Wie stellt sich die neue Linke gegen den politischen Rechtsruck? Wie setzt sie sich mit neuen gesellschaftlichen Konflikten auseinander? Fragen, denen wir in der nd.Serie »Wohin geht die neue Linke?« nachgehen.
Thema auf dem Kongress war auch die Entwicklung der Partei. Auf dem Podium diskutierten die drei Linke-Politikerinnen Ines Schwerdtner, Kerstin Wolter und Marlen Borchardt die Situation der Partei nach dem unerwartet guten Abschneiden bei der Bundestagswahl. Schwerdtner warnte vor der Illusion, die Partei könne das hohe Aktivitätsniveau des Wahlkampfs dauerhaft aufrechterhalten. »Einen solchen Daueraktivismus können die meisten Mitglieder gar nicht leisten«, gab die Parteivorsitzende zu bedenken. Sie schlug daher vor, dass Mitglieder vor allem mit selbstgewählten Aufgaben betraut werden. Das könne in einem Fall das Verteilen von Informationszeitungen sein, andere beteiligen sich an Informationsveranstaltungen für Mieter*innen. Die Ausführungen der drei Genossinnen wurden immer wieder von Applaus unterbrochen.
Doch es gab auch kritische Töne auf den Veranstaltungen. So beklagte eine ehemalige Kreisvorsitzende der Linken aus Hessen, dass junge Genoss*innen nicht in die Arbeit einbezogen und sogar regelrecht gemobbt würden. Sie fragte, wie ein solches Verhalten verhindern werden könnte. Öffentlich erhielt sie darauf keine Antwort. Auch auf der Veranstaltung der Linke-Europaabgeordneten Özlem Demirel waren kritische Nachfragen zum Zustand der Partei zu hören. Demirel hielt ein leidenschaftliches Plädoyer für eine stärkere antimilitaristisches Profilierung der Linken. »Militarisierung nach außen und Repression nach innen gehören zusammen«, betonte sie mit Verweis auf zunehmend autoritäre Tendenzen in Deutschland.
Sie räumte allerdings ein, dass die antimilitaristische Profilierung nicht leichter werde, wenn sich prominente Parteimitglieder – nicht selten mit Abgeordnetenmandat – positiv zur Nato oder zu Waffenlieferungen in unterschiedliche Länder äußern. Aus dem Publikum wurde die Frage gestellt, ob es überhaupt sinnvoll sei, sich als Antimilitarist*innen in einer Partei mit Rüstungsbefürworter*innen zu organisieren. Demirel erwiderte darauf, dass eine gesellschaftliche Linke nur verlieren könne, wenn sie sich zu stark abgrenze.
Auch zahlreiche theoretische Diskussionen gab es auf dem Kongress. Ingar Solty und Birgit Mahnkopf bestritten gleich mehrere Veranstaltungen. Solty thematisierte dabei auch, wie der neue Militarismus auf Akzeptanzprobleme stößt. So trage die ukrainische Arbeiter*innenklasse durch ihre massenhafte Verweigerung dazu bei, dass dem Land die Soldat*innen ausgehen. In Russland ist eine solche Entwicklung derzeit nicht zu beobachten, hielten die Teilnehmenden fest.
Viele Themen wurden in einer Breite diskutiert. Aber der Fokus auf dem Kongress lag dennoch auf den gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland. Eine zentrale Frage war, wie hierzulande eine Bewegung aufgebaut werden könne, die sich effektiv militärischen Tendenzen widersetzt.
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