Tödliche Verbeugung vor Giglio

Navigator der »Costa Concordia« hatte keine genauen Karten von der italienischen Insel an Bord

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 3 Min.
Kreuzfahrtkapitän Schettino ordnete eine »Verbeugung« vor der Insel Giglio an und ließ unverantwortlich dicht ans Ufer fahren. Das ergab der Prozess um das gekenterte Schiff. In zwischen ist eine der beiden vermissten Leichen im Wrack gefunden worden.

Im Wrack des vor der Insel Giglio gekenterten Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia fanden Taucher die menschlichen Überreste eines der beiden noch Vermissten. Nach der Kleidung zu urteilen, handelte es sich um den Leichnam des indischen Stewarts Russel Rebello. Bei der noch nicht entdeckten zweiten Vermissten handelt es sich um eine italienische Passagierin, wie die Sprecherin des Zivilschutzes, Francesca Maffini, sagte.

Im toskanischen Grosseto wurde währenddessen das Verfahren gegen den Kapitän der »Costa Concordia, Francesco Schettino fortgesetzt. Ein Urteil gegen Schettino wird erst im kommenden Jahr erwartet. Der 52-Jährige ist der einzige Angeklagte. Er muss sich unter anderem wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung verantworten. 32 der mehr als 4200 Menschen an Bord des Unglücksschiffes waren bei der Katastrophe ums Leben gekommen.

Die bei der Untersuchung der Concordia eingesetzten Taucher der Küstenwache fanden die menschlichen Überreste im Deck 3, nahe der Kabine des indischen Stewarts Russel Rebello. Die Taucher stellten Kleidungsstücke sicher, die Rebello am Tage des Unglücks getragen hatte. Der aufgefundene Leichnam wurde noch nicht geborgen, die Staatsanwaltschaft von Grosseto, die die Ermittlungen leitet, will zunächst noch Spezialuntersuchungen vor Ort durchführen. Ob es sich bei den menschlichen Überresten wirklich um die Russel Rebellos handelt, muss erst die DNA-Analyse ergeben.

Auf der Insel beobachtet der Bruder des Stewarts, der in Mailand lebende Kevin Rebello, die Bergungsarbeiten seit dem Aufrichten des Schiffs. Er wolle seinen Bruder würdig bestatten, erklärte er. Im August hatte der Kapitän der Concordia, Francesco Schettino, Rebello aufgesucht und erklärt, der Tod Russels «bereite ihm große Schmerzen». Der Stewart hinterlässt eine Ehefrau und einen kleinen Sohn.

An einem weiteren Prozesstag in Grosseto wurden Tonaufzeichnungen, die am Unglückstag auf der Brücke der Concordia gemacht wurden, vorgespielt. Deutlich ist eine Anweisung des Kapitäns an den zweiten Offizier Simone Caressa zu hören, in der Schettino eine Kursänderung befahl. «Machen wir Giglio die Aufwartung». Caressa, der als Navigationsoffizier für die Einhaltung des Reisekurses der Concordia zuständig war, erklärte vor Gericht, dass die normale Passage vor der Insel eine halbe Seemeile außerhalb der Uferzone vonstatten ginge. Dort habe man 100 Meter Wassertiefe unter dem Kiel, so dass keine Gefährdung für das Schiff bestehe. Es habe vorher keine Anweisung für ein Annähern an die Insel gegeben. Caressa erklärte ferner, dass Schettino die Kursänderung befahl, um einen Mitarbeiter an Bord, der auf Giglio beheimatet ist, einen Gefallen zu erweisen.

Staatsanwalt Alessandro Leopizzi warf dem Navigator vor, keine genauen Karten von der Insel Giglio an Bord gehabt zu haben. Er präsentierte dem Gericht eine spezielle Seekarte mit den Untiefen vor der Insel, die sich nicht im Arsenal des Kreuzfahrtschiffes befunden hatte. Dass das Manöver dennoch so befohlen und ausgeführt worden ist, sei ein schwerer und unverantwortlicher Verstoß gegen die Sicherheit von Schiff und Passagieren.

Caressa belastete den Kapitän schwer, als er im Zeugenstand erklärte, er habe den Eindruck gehabt, dass Schettino seinen Fehler frühzeitig erkannt habe: «Auf der Brücke trug der Kapitän noch Uniform. Während des Unglücks verschwand er und ich habe ihn auch bei den Rettungsarbeiten nicht sehen können. Erst viel später sah ich ihn auf der Insel, dann jedoch in Zivil gekleidet, er trug eine blaue Jacke, ein Geburtstagsgeschenk.»

Die Aussage des Navigationsoffiziers bestätigt den Vorwurf des Hafenkommandanten von Livorno, Schettino habe sich unrechtmäßig von Bord entfernt. Dem Ex-Kapitän drohen bis zu 20 Jahre Haft und immense Schadensersatzforderungen. Der Prozess in Grosseto wird mit weiteren Zeugenaufrufen fortgesetzt.

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