Im Selbst-Strangulierungs-Wettbewerb

Ulrike Winkelmann über das Saarland als Maßeinheit, die Schuldenbremse und die große Haushaltsnot

  • Ulrike Winkelmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Wochenzeitungs-Journalist regte sich einmal darüber auf, dass andauernd etwas »so groß wie das Saarland« ist. Ob Einsatzgebiete der Bundeswehr oder verseuchte Meeresflächen: Stets sind sie doppelt oder dreimal »so groß wie das Saarland«.

Der Kollege witterte hier Diskriminierung. Denn damit werde unterstellt, das Saarland tauge nicht als Land, sondern bloß als Vergleichsgröße für Flächen, die groß, aber nicht so groß wie ein Land sind. Inzwischen hat sich die Gesellschaft für deutsche Sprache der Angelegenheit angenommen: Eine Diskriminierung wird nicht entdeckt, wohl aber ein Hinweis auf »die allgemein menschliche Faulheit«. »Saarland« spricht sich halt leichter als »Mecklenburg-Vorpommern«.

Wer aber einmal einen Vormittag auf der Besuchertribüne des saarländischen Landtags verbringt, kommt zu dem Schluss, dass die Maßeinheit Saarland sowieso nichts taugt. Zweifellos ist das Saarland zu klein für seine Größe. Nichts passt hier ineinander und nebeneinander. Oskar Lafontaine zum Beispiel sitzt ganz außen in der ersten Reihe, so nah am Fenster, dass man ihn wegen des Gegenlichts kaum sieht. Neben ihm ein junger Mann mit Talibanbart, das ist einer von zwei Piraten im Landtag, und daneben Hubert Ulrich, einer von zwei Grünen.

Ulrich ist als grüner »Mafioso« (Dany Cohn-Bendit) bekannt. Er ließ 2009 die SPD und die Linkspartei sitzen, um mit CDU und FDP die »Jamaika«-Koalition zu machen. Ohne hier in die Details einzusteigen: Der Hass, der deshalb immer noch über den Köpfen hängt, ist auch viel zu groß für den ausgesprochen bescheidenen Saal des Landtags.

Das gilt übrigens auch für die zwei Grünen: Die andere ist Simone Peter. Sie bekämpft Ulrich seit den 1990er Jahren, weil er den Ruf der Saar-Grünen ruiniert. Nun wechselt sie die Größe des Gefechtsorts, glaubt aber, jedem Format politischer Zwietracht gewachsen zu sein - dieses Wochenende lässt sich Peter in Berlin zur grünen Bundesparteichefin wählen.

Es gibt allerdings genau einen Punkt, in dem sich alle Saar-Parteien einig sind: Das Land ist zu klein für seine Schulden, und darum muss der Bund zuschießen. Die Saar-Politiker reden hier von »Altschulden«.

Darin klingt an, dass dies alt-westdeutsche Schulden sind. Und die neu-ostdeutschen Länder hätten nur deshalb kaum Schulden, weil sie ihre eigene Wiedervereinigung nicht finanzieren mussten, und darum wollen die Saarländer nun den Solidaritätszuschlag haben.

Das ist eine etwas durchsichtige Argumentation, doch die Lage ist verzweifelt. Jeder vierte staatliche Saar-Euro geht direkt in den Schuldendienst. Im Jahr 2014 werden im Saarland nur noch 28,5 Millionen Euro in Krankenhäuser investiert, das verbauen hessische Bischöfe an zwei Wochenenden. Was auch immer im Saarland staatlich gebaut wird, führt zwar meist zu Vorwürfen des Rechnungshofs oder gar einer Anklageerhebung. Die Enge im Land scheint die Korruptionsanfälligkeit zu erweitern. Aber dafür kann die saarländische Bürgerin nichts, die sich sorgt, wenn die Krankenhäuser auseinanderfallen.

Wer nun meint, dies alles sei doch immer so gewesen, hat noch nicht beherzigt, was das Jahr 2020 bedeutet. Dann greift die Schuldenbremse in den Ländern, sie dürfen dann keine Kredite mehr aufnehmen. Seit der Schaffung der Schuldenbremse durch die Große Koalition 2009 befinden sich die Länder deshalb in einem Selbst-Strangulierungs-Wettbewerb: Wer kann noch mehr kürzen? Saarland - und Bremen auch - schaffen es wohl nicht, weshalb es kaum jämmerlichere politische Veranstaltungen gibt als eine Haushaltsdebatte im Saarland.

Jedoch wirft solch ein mitleiderregendes Erlebnis im Landtag ein neues Licht darauf, wie sich die nächste Große Koalition im Bund gestalten könnte. Ihr wird im Bundesrat kein Durchmarsch mehr vergönnt sein. Kein Bundesland wird irgendeinem Gesetz mehr zustimmen, ohne Geld aus dem Bund herausgeleiert zu haben. Das macht Politik dann natürlich nicht unbedingt gerechter, ökologischer oder sinnvoller. Es könnte aber zur Folge haben, dass ein paar berechtigte Zweifel am deutschen Föderalismus wieder öffentlich bestärkt werden dürfen.

Das wäre doch eine wenigstens kleine Ironie angesichts einer großen Haushaltsnot: Die kommende Große Koalition muss politisch für die Schuldenbremse der Großen Koalition 2005 bis 2009 büßen.

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