Die Magie der Bundesstraße 88

Nazis in der Nachbarschaft? Eine Recherche in Thüringen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 7 Min.
Mancherorts kann man die verblassende Losung noch lesen: »Nazis rauf auf den Mond - dahin wo keiner wohnt!« Der Wunsch erfüllt sich nicht - sie sind unter uns, als Nachbarn. Siehe Kahla.

Wer mit dem Auto von Jena Richtung Saalfeld fährt und ein paar Baustellenumleitungen gemeistert hat, kommt nach Kahla. Hohe Schlote, die schon lange keinen Qualm mehr ausgestoßen haben, erinnern an traditionelle Arten der Porzellanerzeugung. Kahla - Zwiebelmuster, klar!

Kahla ist eigentlich ein netter Ort an der Saale. Das Laub färbt sich gerade bunt, Wanderer fühlen sich angezogen. Auch von dem kleinen, netten und sauber geführten Hotel am Stadttor. Schräg gegenüber toben Kinder auf einem Pausenhof, Kirchengeläut verebbt, eine Autotür klappt, der Fahrer verschwindet in einer Haustür. Burg 19 lautet die Adresse.

Das Haus ist alt, aber groß. 600 Quadratmeter, vier Wohnungen, sagen die Nachbarn. Im Februar 2011 kam das Gebäude unter den Hammer. Für 11 000 Euro ging es weg. Ein Schnäppchen. Ersteigert haben es Neonazis. Kameraden aus der Region rückten an, setzten das Nötige instand. Schon im Herbst zogen erste Bewohner ein. Junge Leute wie die aus dem Rheinland stammende Lisa, sie studiere Kunst, hörte man. Mit ihr kam Sebastian. Der stamme wohl ursprünglich aus Brandenburg.

Doch alsbald flüsterte es durch die Gassen: Das sind Nazis! Sebastian sei schon verurteilt worden, weil er Brandflaschen geschleudert habe. Na und, flüsterte es zurück: Auch die brauchen ein Dach überm Kopf! So lange sie sich ruhig verhalten ...

Das tun sie. Nach außen. Denn sie wollen offensichtlich keine weitere Razzia riskieren. Im März 2012 hatten Polizisten eine Leiter an ein Fenster gestellt und waren ins Haus gestürmt. Sie suchten unter anderem nach Waffen und ermittelten wegen Mitgliedschaft in einer »Kriminellen Vereinigung«. Die Aktion war wohl als Achtungszeichen an die Bewohner gedacht und keineswegs unbegründet, denn in einer unweit gelegenen Nazi-Immobilie war man gerade fündig geworden.

Zudem hatte man Sorge, dass in Kahla ein neues »Braunes Haus« entstehen soll. Dieser Treffpunkt in Jena, in dem Kameradschaften Unterschlupf fanden, Nazibands übten, die NPD zeitweise ihren Sitz hatte und sich Burschenschaftler tummelten, war 2009 baupolizeilich gesperrt worden. Eine Weile behalfen sich die rechtsextremen Siedler mit Freiluftveranstaltungen im Garten. Immer auf der Suche nach einem neuen Stützpunkt.

Einer der Männer, die das Haus in Kahla ersteigerten, ist Mitglied in der Burschenschaft »Normannia«. Man hat neben Rick W. auch andere Elite-Rechte schon in der Burg 19 gesehen. Wenn die sich mit ihren Säbeln im Innern schlagen, so ist das ihr Privatvergnügen, meint das rechtsbemühte Ordnungsamt. Und bei den für Gewerbe zuständigen Kollegen störte man sich nicht an einem Onlineshop mit der Adresse Burg 19. Der »Leuchtenburg Versand«, so war im Internet recherchierbar, bot Titel wie diese: »100 Hitler-Anekdoten«, »Der Reichsarbeitsdienst - Männer und Maiden«, »Rudolf Hess - Der letzte von Spandau«, »Grundriss der Rassenkunde« (1934), »Sieg Heil! Eine deutsche Bildgeschichte von Bismarck zu Hitler« oder »Panzerjäger brechen durch!«

Hausherr W. war - als der »Thüringer Heimatschutz« (aus dem das NSU-Mördertrio hervorgegangen ist) grassierte - gleichfalls »szeneaktiv«. Nachdem der nun im Münchner NSU-Prozess angeklagte Ralf Wohlleben 2010 den NPD-Kreisvorsitz abgab, rückte W. nach. Zusammen mit ihm saß eine Nicole Schäfer im Jenaer NPD-Kreisvorstand. Sie heißt heute Schneiders, ist Anwältin und vertritt Wohlleben als Anwältin in München. Schon vor rund zehn Jahren bekamen Antifaschisten eine Telefonliste mit Nummern aus der Burschenschafter- und Neonazi-Szene in die Hände. Verzeichnet war neben W., Schäfer und Wohlleben auch der aktuelle NPD-Landeschef, Patrick Wieschke, der wegen eines fremdenfeindlichen Anschlages auf einen Dönerimbiss in Eisenach zu einer mehrjährige Haftstrafe verurteilt worden war. Gerade ist er als Spitzenkandidat für die Thüringer Landtagswahl nominiert worden.

Als Wohlleben 2012 im Zusammenhang mit dem NSU-Netzwerk verhaftet wurde, tauchten in Kahla Transparente auf: »Freiheit für Wolle!« Männer und Frauen der »Kameradschaft Kahla« und vom »Freien Netz Saalfeld« liefen in T-Shirts mit demselben Aufdruck herum. Sie sammelten Geld für den Weggesperrten.

Gestartet hat die Aktion ein mehrfach wegen Körperverletzung verurteilter Ringo K. aus Kahla, der in diesem Jahr auch als Anmelder des inzwischen traditionellen »Thüringentages« der Neonazis auftrat. Er zog neben viel Fußvolk Hardcore-Neonazis aus dem ganzen Bundesgebiet nach Kahla. Mit dabei: Martin Wiese. Der »freie Aktivist« war zuletzt zu einer siebenjährigen Haftstrafe wegen mehrerer Waffen- und Sprengstoffdelikte sowie der Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden. Er führte die Bande an, die 2003 ein Sprengstoffattentat auf die Grundsteinlegung für das Jüdische Zentrum in München plante.

Gewiss, es gab Protest gegen das rechte Nazifest. Die Gegner des Aufmarsches hatten zu einer Kundgebung und einer Meile der Demokratie aufgerufen. Das Ziel von 1000 antifaschistischen Demonstranten wurde um die Hälfte verfehlt. Nur allzu wenige Kahlaer wollten gegen die Nazis antreten oder trauten sich. Wozu gibt es schließlich Behörden?!

Punktuell machen die schon was. Im Januar 2012 führte die Bundesanwaltschaft unweit von Kahla eine Durchsuchung bei Frank L. und Andreas Sch. durch. Die beiden betrieben einst in Jena den Szeneladen »Madley«. Dahin hatte Wohlleben den ebenfalls angeklagten NSU-Helfer Carsten Schulze geschickt, um für die untergetauchten Terroristen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe eine Waffe zu besorgen. Es handelt sich um jene Ceska 83 samt Schalldämpfer, mit der neun Migranten umgebracht worden sind.

Wer sich fragt, wo Neonazis das Schießen übten, ist auf der Bundesstraße 88 auf dem richtigen Weg. Unterhalb der Leuchtenburg, dieser »Königin des Saaletals«, befand sich ein Übungsgarten. Das über 2000 Quadratmeter große Areal gehörte dem rechten Publizisten Peter Dehoust aus Coburg. Der verpachtete es an seinen einstigen Mitarbeiter, den Anführer des »Thüringer Heimatschutzes« und Verfassungsschutz-V-Mann Tino Brandt. Nachbarn wollen auf dem Gelände Uwe Böhnhardt, einen der späteren NSU-Mörder, gesehen haben.

Manches hat Claudia Nissen schon mal gehört, anderes war vor ihrer politisch aktiven Zeit. Die studierte Juristin ist noch nicht so lange Bürgermeisterin von Kahla. Ja, es stimme, dass ein Herr vom Verfassungsschutz bei ihr war, wegen der »Burg 19«. Der sei sehr nett gewesen und habe gemeint, es wäre gut, ein Auge auf das zu haben, was da in der rechten Ecke passiert. Doch da ist es ruhig, glaubt Nissen. Und denkt lieber nicht daran, was wäre wenn ... Nur dienstags und donnerstags ist Polizei in der Stadt. Tagsüber. Wenn die Staatsmacht außerhalb dieser Zeiten gerufen wird, brauchen die Beamten selbst mit Blaulicht eine halbe Stunde bis zum Ort des Geschehens.

Nissen beruhigt sich, die Wählerstimmen für die NPD haben sich nicht vermehrt. Es bleibt bei rund 200. Die Bürgermeisterin, die auf dem Ticket der Linkspartei ins Amt kam, ohne Mitglied zu sein, meint: Eine Gesellschaft, die die Jugend alleine lässt, solle nicht klagen, wenn einige abdriften. Hier in der Stadt versuche man jedenfalls viel, um Jugendliche fern zu halten von rechten Schleppern.

Was ist viel? Es gibt gerade einen Jugendklub, den die AWO betreibt. Und zehn Vereine - von Angeln bis Seesport, zählt die Bürgermeisterin auf. Wer da Mitglied ist, ist immun gegen Nazi-Musik?

Es gebe auch einen Demokratieladen, erwidert Nissen. Dorthin hatte sie neulich Schülersprecher eingeladen. Zur Zukunftskonferenz. Man ahnt, die jungen Leute müssen viel Fantasie aufgebracht haben, denn zumindest im Stadtzentrum sticht jedes Haus ins Auge, das saniert ist und in dem unten noch ein Laden offen hält. Der Rest - oh je!

Die Bürgermeisterin wird ungehalten. Man sei dabei, ein Stadtentwicklungskonzept zu erarbeiten, versuche, Häuser wieder bewohnbar zu machen und überlege, wie man die vielen leerstehenden Läden nutzen kann. Denn in solchen Dingern will keiner mehr kaufen und verkaufen.

Sicher, die Stadt würde gern mehr tun, hört man auch außerhalb des Rathauses. Fördermittel gibt es, doch am notwendigen Eigenbeitrag mangelt es. Die Stadtkassen sind offenbar so leer, dass man nicht einmal Naziparolen überstreichen kann. Die prangen überall. Gedacht wird der Opfer des alliierten »Bombenholocaust«, gewarnt wird vor dem »Volkstod«. Hetze gegen den Davidstern findet sich am Bahnhof.

Aber man muss ja nicht hinschauen. Der Herbst bietet so viel Schönes entlang der 88.

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