Umkehr der Beweislast: Arzt muss Beweis antreten, aber ...

Das neue Patientenrechtegesetz - die Vor- und Nachteile (Teil 2)

  • Lesedauer: 5 Min.
Seit dem 26. Februar 2013 ist das neue Patientenrechtegesetz in Kraft. In einer vierteiligen Serie geben die Autoren, Rechtsanwältin Anke Plener und Rechtsanwalt Volker Loeschner aus Berlin, die vor dem Ausschuss für Gesundheit und Recht des Deutschen Bundestages als Einzelsachverständige zu diesem Gesetz gehört worden waren, ihre Erfahrungen mit dem neuen Gesetz wieder und zeigen die Probleme in der Praxis auf. Im heutigen Teil 2 geht es um die Umkehr der Beweislast, was jedoch nur bei groben Behandlungsfehlern in Betracht kommt. Was also kann der Patient im Falle eines Behandlungsfehlers tun?

Die Straßenverkehrsordnung regelt als Gefahrenabwehrrecht den Verkehr in Deutschland, damit niemand verletzt wird oder zu Tode kommt. Beim Patientenrechtegesetz soll es genauso sein: Es soll den Behandlungsverkehr in Deutschland regeln. Nach Angaben von Patientenorganisationen verletzen Ärzte eine Millionen Menschen pro Jahr; das sind etwa dreimal so viele wie im Straßenverkehr!

Die Beweislastverteilung in der Praxis

Im Arzthaftungsrecht kommt der Beweislastverteilung zwischen Arzt und Patient die Bedeutung über Gewinnen und Verlieren zu. Der Kläger - meist der Patient - muss beweisen, dass er zu Recht Ansprüche erhebt. Behauptet ein Patient zum Beispiel, ein Arzt habe einen Bruch übersehen, daher sei dieser falsch zusammengewachsen, muss der Patient diesen Beweis mit der Dokumentation des Arztes führen. Unterlässt jetzt der Arzt das notwendige Röntgen, enthält seine Dokumentation keine Röntgenaufnahmen vom Unfalltag, sondern nur spätere Aufnahmen, die zeigen, dass der Knochen falsch zusammengewachsen ist.

Eigentlich müsste der Patient den Prozess verlieren, da er eine nicht angefertigte Röntgenaufnahme vom Unfalltag gar nicht vorlegen kann. Diese Aufnahme hätte gezeigt, dass ein Bruch vorhanden ist und sich die Knochenteile entgegen der natürlichen Lage verschoben haben. Hätte der Arzt also ein Röntgenbild am Unfalltag erstellt, hätte er die Verschiebung und den Bruch erkannt und zu einem chirurgischen Richten geraten.

Natürlich kann der Behandelnde nicht jeden Patienten röntgen, aber er muss im Rahmen seiner Therapiefreiheit entscheiden, wann dies sinnvoll ist. Erkennt er eine Halsregion mit blauen Flecken und berichtete der Patient den Sturz von einer Leiter, wäre es grob fahrlässig, wenn der Behandelnde kein Röntgen vornähme.

Das neue Patientenrechtegesetz regelt nun folgendes: Es kehrt die Beweislast um. Der Arzt und nicht der Patient hat zu beweisen, dass sich aus den unterlassenen Röntgenaufnahmen am Unfalltag keine zwingende Therapie ergeben hätte. Dies wird ihm nicht gelingen, da er von diesem Tag keine Röntgenaufnahmen hat. Die späteren Röntgenaufnahmen zeigen aber, dass chirurgisches Richten indiziert war. Hätte der Arzt geröntgt, hätte er den Bruch erkannt, operiert, und der Knochen wäre nicht falsch zusammengewachsen. Dieser optimale Behandlungsverlauf wird daher zu Gunsten des Patienten unterstellt. Durch die nicht angefertigte Röntgenaufnahme am Unfalltag kehrt sich die Beweislast um, und der Arzt verliert den Prozess.

Der Beweis des »ersten Anscheins« fehlt im Gesetz

Das juristische Problem ist aber, dass diese Beweislastumkehr nur bei groben Behandlungsfehlern in Betracht kommt und nicht bei einfachen. Wann aber das eine und wann das andere vorliegt, ist eine Einzelfallentscheidung, die durch einen Sachverständigen und letztlich durch den Richter als Wertung erfolgen muss. Diese Regelung wurde jetzt im Gesetz gefasst. Transparenz entsteht so jedoch nicht, weil sich die Rechtsfolge erst mittelbar ergibt und nicht aus dem Gesetz.

Die Fraktion DIE LINKEN unterbreitete den weitreichendsten Vorschlag zur Beweiserleichterung, die der Gesetzgeber jedoch nicht berücksichtigte. Zugrunde lag dem Vorschlag der Gedanke eines Anscheinsbeweises: Wenn zum Beispiel der eine Autofahrer dem anderen auffährt, gibt es vorne Geld, wenn es hinten rummst. Es gibt einen Anscheinsbeweis dafür, dass der Hintere den Sicherheitsabstand nicht einhielt.

Die stärkste Beweiserleichterung für den Patienten wäre ein Beweis des ersten Anscheins, dass, liegt ein Gesundheitsschaden vor, der Arzt einen Fehler gemacht hat. Das ist jedoch in der Regel nicht der Fall, sondern oftmals schicksalhaft.

Dennoch wäre eine derartige Regelung nicht völlig abwegig, wenn dem Arzt eine Widerlegung des ersten Anscheins durch seine Mitwirkung ermöglicht ist. Seinen Sicherheitsabstand sieht der hintere Fahrer besser als der vordere. Der Arzt ist eben der Experte in Sachen medizinischer Standards, es besteht eine sogenannte Wissensasymmetrie. Führt ein Behandlungsfehler typischerweise zu einem Schaden, wäre es für den Patienten einfacher, wenn der Arzt beweisen müsste, dass seine Behandlung für den Gesundheitsschaden nicht kausal war.

Der Arzt sollte zur Aufklärung verpflichtet werden

Es kann nicht verlangt werden, dass der Patient seinen Mangel an Fachkenntnissen aufholt, sondern es wird von Patientenvertretern umgekehrt vom Fachmann, also vom Arzt verlangt, dass er sein Wissen preisgibt, um auf diese Weise zur Waffengleichheit zu gelangen. Der Arzt sollte zum Interesse an Aufklärung verpflichtet werden.

In der Praxis passiert dies selten, da der Arzt fürchtet, bei der Aufklärung des Behandlungsfehlers mitzuwirken, da er sich selbst belasten könnte. Der Patient erhält häufig keine oder nur sehr lückenhafte Informationen vom Behandelnden, steht ein Behandlungsfehler im Raum.

Der Beweislastumkehr bei der Produzentenhaftung liegt ein ähnlicher Gedanke zugrunde, nämlich der Gedanke des Bundesgerichtshofs, dass der Schädiger »näher dran« ist (BGH, NJW 1996, 2507).

Genau diese Ausgangslage besteht auch im Fall eines narkotisierten Kniepatienten, der anschließend nicht mehr gehen kann. Der Patient kann nicht die Unterschreitung professioneller Standards beweisen, die er nicht kennt, deren Beweise er nicht sichern kann und die er auch während der Behandlung in Narkose nicht gesehen hat.

Nach Ansicht der Befürworter einer generellen Beweislastumkehr ist allein die Behandlungsseite im Haftpflichtprozess zu hinreichend detaillierten Ausführungen in der Lage. Ein derartiges Modell lehnte der Gesetzgeber ab. Im neuen Patientenrechtegesetz gibt es also nur manchmal eine Beweislastumkehr und nicht immer.

Dies führt zu Unsicherheiten auf beiden Seiten. Patienten können das Prozessrisiko kaum einschätzen. Die Behandelnden befürchteten, dass eine Art Defensivmedizin entsteht, weil keine risikobehafteten Behandlungen mehr durchgeführt werden. Der Arzt soll auch nicht durch ständige Regressansprüche von seiner Kernaufgabe abgehalten werden. Zu mehr Vertrauen zwischen Arzt und Patient führt dies nicht.

Teil 3 im nächsten nd-ratgeber am 6. November 2013; Teil 1 war am 23. Oktober erschienen.

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