Dialogangebot an den SPD-Senat

»Lampedusa in Hamburg« schlägt Kommission zur Klärung des Aufenthaltsstatus der Geflüchteten vor

  • Folke Havekost, Hamburg
  • Lesedauer: 4 Min.
Die aus Libyen Geflüchteten erfahren in Hamburg seit Monaten gelebte Solidarität - außer von den alleinregierenden Sozialdemokraten.

Die Flüchtlingsgruppe »Lampedusa in Hamburg« hat dem Hamburger SPD-Senat vorgeschlagen, eine Kommission zur weiteren Klärung ihres Status einzurichten. »Dort sollte darüber gesprochen werden, wie die Akteure im gegenwärtigen Flüchtlings- und Asylsystem eine Lösung finden können«, sagte Lampedusa-Sprecher Asuquo Udo. In der Kommission sollten auch die »zahlreichen zivilgesellschaftlichen Gruppen und Institutionen« einbezogen werden, »die uns seit sechs Monaten in unserer Notlage helfen«.

Die etwa 300 Menschen umfassende Gruppe fordert eine kollektive Anerkennung nach Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes. »Wir brauchen eine Grundlage, um unsere Existenz sichern zu können«, erklärte Kofi Anane Mark, ein weiterer Sprecher der Gruppe, deren Mitglieder aus verschiedenen afrikanischen Ländern stammen. Allesamt arbeiteten sie in Libyen, ehe Bürgerkrieg und NATO-Intervention sie nach Europa fliehen ließen - zunächst auf die italienische Insel Lampedusa, dann aufgrund der dortigen katastrophalen Bedingungen nach Hamburg.

Der Senat bot ihnen bisher nur an, bei Einzelfallprüfungen eine Duldung bis zum Abschluss des Verfahrens zu erteilen. Dazu sei die Identitätsfeststellung der Antragsteller zwingend nötig; ein Schritt, bei dem die Flüchtlinge ihre italienischen Aufenthaltstitel bei der Ausländerbehörde abgeben müssten. »Würde die Bereitschaft signalisiert, dass uns geholfen werden soll, wären wir sofort bereit, unsere Identität zu zeigen«, fordert Sprecher Mark »Dialogbereitschaft« vonseiten der Behörden. Das vorgeschlagene Duldungsverfahren sei, so heißt es in einem Antwortbrief der Gruppe an den Senat, »kein Vorschlag, der als fair bezeichnet werden kann«, sondern »vielmehr eine Bedrohung für unser Leben«.

Inzwischen ausgesetzte Polizeikontrollen, bei denen Gruppenmitglieder bis zu 24 Stunden festgesetzt und gezwungen wurden, ihre Fingerabdrücke abzugeben, haben das Vertrauen in ein offenes Anerkennungsverfahren aufseiten der Flüchtlinge nicht gerade gestärkt. »Eine Duldung ist ein Wartezustand, der die Integration von Menschen verhindert und das Problem nur auf ungewisse Zeit verschiebt«, kritisierte Anwältin Daniela Göbel. In bisherigen Gesprächen hätten die Behörden signalisiert, dass sie eher keinen Grund sähen, Aufenthaltserlaubnisse zu erteilen. »Das hier ist eine politische Frage«, bekräftigte Göbel, »es kann nicht sein, dass die Politik dies auf die Gerichte abschiebt.«

»Unsere Gruppe ist ein Beweis dafür, dass die europäische Flüchtlingspolitik nicht funktioniert und rasch geändert werden muss«, sagte Udo, »es könnte ein positives Signal von Hamburg ausgehen.« In ihrem Brief an den Senat zeigen sich die Flüchtlinge verwundert, »dass uns immer wieder bei Treffen mit Politikern und Parteienvertretern wie zuletzt auch von Mitgliedern der Hamburger SPD-Fraktion gesagt wird, dass es dringend Veränderungen in der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik braucht, und dennoch werden wir weiterhin abgelehnt«.

Hamburger LINKE, Grüne und Flüchtlingsrat forderten eine politische Lösung für die gesamte Gruppe. »Das Angebot war gar kein Angebot«, kritisiert Christiane Schneider, flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion in der Bürgerschaft. Innensenator Michael Neumann habe den Eindruck vermittelt, dass am Ende der Verfahren doch die Abschiebung der Afrikaner drohe. Ein Senatssprecher konnte gegenüber dem »nd« die Befürchtungen der Flüchtlinge nicht ausräumen, sich auf einen Pfad zur Abschiebung zu begeben: »Es ist offen, ob am Ende der individuellen Verfahren ein dauerhaftes Bleiberecht steht.«

»Was angeboten wurde, ist das Übliche«, kommentiert Conni Gunßer vom Flüchtlingsrat. Ihrer Einschätzung nach drohen bei Duldungen immer auch Abschiebungen; Aufenthaltserlaubnisse kämen vor Gericht selten durch. Die zwischenzeitlich wieder eingestellten Polizeikontrollen und einige Festnahmen wenige Tage nachdem erneut Menschen auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken waren, findet Gunßer ungeheuerlich. Dass Senat und Innenbehörde immer wieder betonten, die Flüchtlinge müssten ihre Personalien feststellen lassen, bevor es eine Lösung gäbe, sei irreführend. »Auch eine Gruppenlösung geschieht nicht anonym«, erläutert sie.

Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen, Antje Möller, hält den entstandenen Zeitdruck für völlig unnötig. Auf die in den Gesprächen entstandenen Fragen müsse es Antworten geben, »zum Beispiel zu den Arbeitserlaubnissen oder zur tatsächlichen Zuständigkeit der Ausländerbehörde für das gesamte Verfahren«.

Ein internationaler Appell an den Hamburger Senat »Lampedusa in Hamburg - Recht zu bleiben!« wurde inzwischen unter anderem von Wissenschaftlern wie Judith Butler und Stuart Hall, der Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek sowie zahlreichen Politikern der LINKEN, etwa der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke, unterzeichnet.

Am Sonnabend findet um 14 Uhr eine Demonstration für die Lampedusa-Gruppe in der Hamburger Innenstadt statt.

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