Vom Teilen des Mantels

Will die Linkspartei den St. Martinstag abschaffen? Eine skurrile Debatte um eine Interviewäußerung aus Nordrhein-Westfalen

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 4 Min.
Seit der LINKE-Politiker Rüdiger Sagel forderte, das Sankt-Martins-Fest zu entchristlichen, entbrannte ein neuer Kulturkampf. Ist der Heilige nun Katholik, ein Stück weit Muslim oder ein veritabler Linker?

Eigentlich interessieren Journalisten am nordrhein-westfälischen Landesverband der Linkspartei nur drei Phänomene. Erstens: die Wagenknecht. Zweitens Personalia. Und drittens Personalia, die die Wagenknecht betreffen. Es wurde nicht besser, seit die LINKE vor anderthalb Jahren aus dem dortigen Landtag flog.

Doch seit vorgestern Abend rockt tatsächlich eine inhaltliche Forderung des Landesvorsitzenden Rüdiger Sagel die Republik, erzeugt überregionale Schlagzeilen, lässt die Telefone in der Landesgeschäftsstelle heiß laufen, erzwingt Stellungnahmen religiöser Interessenvertretungen ...

Sagel will das Sankt-Martins-Fest gleichsam entchristlichen und so für nicht christliche Kinder genießbarer machen. Schließlich gebe es in den Kitas und Schulen viele muslimische Knaben und Mädchen. »Ihnen sollte man die christliche Tradition nicht aufdrängen«, forderte der 58-Jährige ausgerechnet in der »Rheinischen Post«, einer »Zeitung für Politik und christliche Kultur«.

Deshalb, so fuhr Sagel fort, sollte Sankt Martin nicht im Mittelpunkt der bisherigen Sankt-Martins-Umzüge stehen respektive reiten. Besser wäre es aus Sagels Sicht, »Sonne, Mond und Sterne«-Feste zu begehen, auf denen dem Gedanken des Teilens gehuldigt würde. Ohne Martin.

Für diese Idee stand indes nicht jenes legendäre Sektlaunestatement der Grünen Claudia Roth Pate, der zufolge die Türkei »Sonne, Mond und Sterne« sei. Vielmehr ließ Sagel sich von einer gleichnamigen Feierlichkeit in einem Bad Homburger Kindergarten inspirieren. Die wiederum lehnt sich an eine Liedzeile an: »Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne«, so singen Zehntausende Kinder anlässlich der um den 11. November herum stattfindenden Martinszüge.

Sankt Martin ohne Sankt Martin? Schnell kam die Empörungswelle ins Rollen: »Debatte um traditionelles Fest: Linkspartei fordert aus für Sankt Martin«, titelte die »Rheinische Post« selbst. Springers »Welt« ließ die »Debatte« flugs zum »Streit« mutieren. »Schulen und Kindergärten sollen, wenn es nach der Linken in NRW geht, nicht das Sankt-Martins-Fest feiern«, behauptete das Blatt, und sollte nicht das einzige bleiben.

Von einer »Schnapsidee« sprach bald der kulturpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion und warf Sagel »Kultur- und Geschichtsvergessenheit« vor, derweil ein Piratenpolitiker die angebliche Forderung Sagels als »übertrieben« geißelte. Auch katholische Kindergärtnerinnen zeigten sich empört über »die Linken«. Einige Bottroper Grundschüler sollen schon spekuliert haben, was Sagel als nächstes ausbrüte: »Nikolaus raus«, »Zahnfee ade« oder »Verbann‘ den Weihnachtsmann«?

Gestern ließ der Zentralrat der Muslime die Öffentlichkeit wissen, Sankt Martin sei zwar ein katholischer Heiliger, aber auch ein Vorbild. Selbst für Muslime. Die deswegen keine Probleme hätten, an Sankt-Martins-Umzügen teilzunehmen.

Schließlich sollte der durchaus kampfgestählte Sagel Medien- und Selbstkritik üben. Einige seiner Aussagen seien »offensichtlich oder absichtlich« missinterpretiert worden, betonte der LINKE-Chef. Wenn sich davon jemand betroffen fühlen sollte, tue ihm dies leid. Weder wolle er die Sankt-Martins-Umzüge noch »den katholischen Heiligen« selbst abgeschafft sehen, stellte er klar.

Sagel zeigte sich vielmehr ausgesprochen heiligennah: »Die Botschaft des katholischen Heiligen Martin, den Mantel zu teilen und den Armen zu helfen, ist auch ein zentraler Bestandteil unserer Politik«. Sankt Martin »wäre heute ein Linker«.

Das sieht Sahra Wagenknecht, zuletzt eher als Ludwig-Erhard-Verehrerin aufgefallen, ganz ähnlich. Ohne die Vermögen von Reichen und die Banken anzutasten, ließen sich keine Verbesserungen für die Menschen in diesem Land erreichen, analysierte Wagenknecht mit Blick auf die schwarz-roten Koalitionsverhandlungen im Bund. »Es würde der Politik in diesem Lande gut tun, wenn die Botschaft von St. Martin ernst genommen würde.« Ganz so, als hätte Martin Banken und Reiche erleichtert und nicht sich selbst. Doch würde ein Linker jemals wie Martin den Mythos nähren, die Allzu-Reichen gäben von sich aus ab, weswegen man ihnen nichts nehmen muss? Almosen statt Umverteilung: Vielleicht bliebe der 397 verstorbene Martin, dritter Bischof von Tours, doch besser Katholik (oder Muslim), statt als Kryptosozialist wiedergeboren zu werden.

Von Unbescheidenheit zeugt die linke Bezugnahme auf Sankt Martin immerhin nicht: Ein halber Mantel, das entspricht 50 Prozent. Und das ist drei Prozentpunkte niedriger als der Spitzensteuersatz in Kohls Kanzlerjahren.

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