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Zwei Augen für die Konjunktur

Wirtschaftsexperten warnen vor zu großer Exportabhängigkeit

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.
Nicht die Agenda 2010, sondern die Konjunkturpakete in der Krise waren gut für Deutschland - sagen Ökonomen. Denn letztere hätten die Nachfrage stabilisiert.

Unter drei Millionen Arbeitslose, sprudelnde Steuereinnahmen und eine Wirtschaft, die nicht in den Sog der Eurokrise geraten ist - das hört sich nach einer Erfolgsstory an. Doch der deutschen Wirtschaft könnte es besser gehen. »Das Deutschland im Moment relativ gut dasteht, ist kein Verdienst der angebotsfixierten Strategie seit Ende der 1990er Jahre«, erklärt der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn. Seine Forscher errechneten, dass es heute ohne die Sparmaßnahmen und den Abbau der Arbeitnehmerrechte durch die Agenda 2010 bis zu 1,5 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geben könnte.

Für die Berechnungen verglich das IMK drei Konjunkturzyklen seit der Gründung der Währungsunion im Jahr 1999. Der erste reicht bis 2005, der zweite von 2005 bis 2009, der dritte Zyklus endete Anfang 2013. Danach simulierten die Ökonomen, wie sich die Wirtschaft entwickelt hätte, wenn die Löhne jährlich um drei Prozent gestiegen wären und der Bund seine Ausgaben nicht zurück gefahren hätte.

Das Ergebnis ist im internationalen Vergleich eindeutig: »Erst seit der Finanzmarktkrise ist unsere Entwicklung überdurchschnittlich«, so Horn. Während zwischen 2000 und 2008 die Wirtschaftsleistung im Euroraum um rund 15 Prozent zulegte, waren es in der Bundesrepublik nur 11,5 Prozent. Auch die Zahl der Erwerbstätigen stieg mit 2,5 Prozent im Vergleich zum Euroraum-Mittel von neun Prozent lediglich mäßig an.

Die Ursache für die Entwicklung ist für die gewerkschaftsnahen Wirtschaftswissenschaftler eindeutig. »Zwei Augen sehen mehr als eins«, sagt Horn und meint damit, dass sich die Bundesregierungen vor dem Ausbruch der Finanzkrise zu sehr auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und die Senkung der Arbeitskosten konzentriert hat. Diese Politik nennt er angebotsfixiert. Denn Löhne und Sozialausgaben haben zwei Seiten: Zum einem sind sie Kosten für Unternehmen und den Staat. Zum anderen schaffen sie aber Nachfrage, weil die Menschen das Geld, das sie verdienen, ausgeben können.

So liegt den IMK-Forschern zufolge der Grund für das gute Abschneiden Deutschlands nach dem Ausbruch der Finanzkrise auch nicht in den Reformen der Agenda 2010, sondern in den Konjunkturpakten und den Lohnzuwächsen der letzten Jahre. »Diese Kurskorrektur sollte man weiterverfolgen«, fordert Horn.

Deutschland ist für ihn zu sehr vom Außenhandel abhängig. »Dies spekuliert darauf, dass das Ausland immer wieder bereit ist, sich weiter zu verschulden«, führt Horn weiter aus. Und das könne schief gehen. Die Berechnungen ergaben: Hätten Deutschlands Handelspartner nur so viele Waren abgenommen, wie sie selber an die Bundesrepublik liefern konnten, wären über fünf Millionen Jobs bedroht gewesen.

Dabei muss man gar nicht Modelle aufstellen, um die Gefahren der übermäßigen Exportorientierung aufzuzeigen. Ende 2012 waren die deutschen Nettogeldvermögen im Ausland nach IMK-Berechnungen um 409 Milliarden Euro niedriger als die Leistungsbilanzüberschüsse der Jahre 2000 bis 2012. Dies ist eine Folge der Finanzkrise, als diese Forderungen entwertet worden waren.

Eine »Strategie des Weiter so« wäre für die IMK-Ökonomenen deswegen ein Fehler, zumal sie das prognostizierte Wirtschaftswachstum von 0,8 Prozent nicht so euphorisch sehen wie ihre Kollegen. »Ich würde das keinen Boom nennen«, so Horn. Er spricht sich deswegen für ein »signifikantes Investitionsprogramm« in Deutschland und Europa aus. Dafür aber müssten die Steuern wieder angehoben werden.

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