Schindler - ein glaubwürdiges Vorbild
Berliner Schule gab sich den Namen eines Mannes, der 1200 Juden rettete Von Andreas Fritsche
Die 6. Oberschule gilt als die «Raucherschule» des Berliner Bezirkes Hohenschönhausen, verrät deren Schülerin Jeanine Beyer (17). Seit Donnerstag trägt die Schule in der Darßer Straße ganz offiziell einen anderen, ehrenvollen Namen. Am zentralen Gedenk tag für die Opfer des Nationalsozialismus erhielt die Gesamtschule den Namen «Oskar Schindler-Oberschule». Bis dahin war es ein weiter Weg. Es begann im Schuljahr 1995/96. In der Lehrerschaft meinte man, nun müsse ein Name gefunden werden, ehe behördlicherseits einer zugewiesen werde. In jener Zeit, als Steven Spielbergs Film «Schindlers Liste» Furore machte, bot Geschichtslehrer Axel Gebauer erstmals eine Projektwoche zu Oskar Schindler an. Die Schule mietete ein Kino, und obwohl der Besuch freiwillig war, erschien fast die gesamte Sekundarstufe. Das über raschte Gebauer, weil der Termin in der Freizeit der Jugendlichen gelegen habe.
Dann fanden beide Projekte zusammen: Schindler und der gewünschte Name, der die Identifikation von Schülern und Lehrern mit ihrer Bildungseinrichtung beför dem sollte. Als erste nannte damals vor fünf Jahren ein Mädchen aus der 13. Klasse Oskar Schindler. Andere schlugen beispielsweise den amerikanische Schaupieler James Dean oder den Berliner Juden und Förderer des Bode-Museums James Henry Simon vor. Aber Schindlers Taten seien so bemerkenswert, dass man ihn einfach wählen musste, sagt Schüler
Sprecher Alexander Kopf. Nach fünf Jahren Diskussion sei es nun endlich soweit. So lange gedauert hat es, weil es nun einmal ein demokratischer Prozess war, er klärt seine 18-jährige Schulkameradin Cindy Gäde. Dabei waren sich zuletzt im Gremium Schulkonferenz fast alle einig. Bei den Lernenden noch mehr als bei den Lehrern, bei denen einige ihren eigenen Vorschlag förderten. Die Eltern stellten sich zu 100 Prozent hinter den Wunsch ihrer Kinder.
Ein Zeichen gegen die Verbrechen der deutschen Faschisten hätte auch die Benennung nach Simon gesetzt. Den Ausschlag gab gewiss die Popularität der Figur Schindlers durch den Film, findet Jeanine Beyer. Sie gehört zu den zehn bis 15 Wissbegierigen, die in jedem Jahr seit 1995 am Schindler-Projekt teilnahmen und deshalb weit mehr über dessen Per son wissen, als der Film zeigt. Eine ver schwindende Minderheit gegenüber 1100 Heranwachsenden, die in der Gesamtschule einen Haupt- oder Realschulabschluss oder das Abitur anstreben. Das Projekt strahle jedoch aus und den Film sahen fast alle, viele lasen das Buch, ist sich Beyer sicher.
Und das sind noch lange nicht alle Möglichkeiten, sich mit dem Retter von 1200 Juden auseinanderzusetzen. So hängen vor der Bibliothek Radierungen dazu aus dem Kunstunterricht aus. In der Bibliothek selbst gibt es umfangreiche Literatur zu Holocaust und Faschismus. «Schindlers Liste» fehlt noch. Das wird sich aber ändern, verspricht Gebauer. Auch Biographien will er auftreiben. Das sei im deutschsprachigen Raum nicht leicht, da man sich mit der Ehrung Schindlers hier sehr lange sehr schwer getan habe. Außer jetzt der Schule, trägt nur noch eine kleine Straße in Frankfurt am Main seinen Namen. Doch so bescheiden sich der Vorstoß der Schule ausnimmt, so wertvoll ist er.
«Ich finde, das ist genau die richtige Form des Gedenkens. Vor Ort in den Schulen, in den Bezirken», erklärte der zur Namensverleihung gekommene Andreas Nachama, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Für Bezirksbürgermeisterin Bärbel Grygier (für PDS) hilft die Namensgebung, öffentliche Räume antifaschistisch zu besetzen, sie damit den Rechtsextremisten zu entziehen. Zugleich widerspricht sie der Ansicht, der Schule wäre sonst womöglich ein Name statt der Nummer aufgezwungen worden. Es sei üblich, dass die Bezirksverordnetenversammlung dem Antrag der jeweilgen Schule zustimmt.
In Österreich bahnt sich eine Regierungsbeteiligung mit Rechtsaußen FPÖ an, in Berlin-Hohenschönhausen erhält eine Schule den Namen eines Mannes, der etwas gegen den Mord an den Juden getan hat. Zwei Tendenzen. Welche wird sich durchsetzen? «Natürlich diese hier», meint Nachama: «Schule ist Zukunft, Haider ist die Vergangenheit.»
Wie sauber jedoch ist die Schule, die seit 1991 besteht, 1997 in ein schönes, neues, fast klinisch reines Schulgebäude umzog? 100 Meter entfernt ist eine Veranda in einer Grünanlage mit Hakenkreuzschmierereien übersät. Seit den letzten Wahlen gibt› es mit Tnomas Kay einen Rep-BezirksyerordneteÄ;ujvJiQhepschönba^sen. ‹Kay, der zudem Länäesvorsitzender “der Jugendorganisation der Republikaner ist,
erschien auch noch ungeniert zur Festveranstaltung am Donnerstag und suchte dort relativ offen Nachwuchs für seine Partei.
In die Schule jedoch gehen keine Skinheads und die ausländischen Klassenkameraden sind gut integriert, berichten alle. Rechte gibt es schon, die sind aber friedlich. «Wir schauen uns nur böse an, aber wir tun uns nichts», erzählt Jule (14), angetan mit einem T Shirt «Fuck off Nazi Skins». Im Schindler-Projekt saß auch mal ein Rechter, der aus seiner Fremdenfeindlichkeit keinen Hehl machte. Mit dem sei diskutiert worden, so Geschichtslehrer Gebauer. Mit dem Ergebnis, dass er sich in der Diskussion um die Namensgebung etwas zurücknahm. Vielleicht habe sich seine Einstellung durch die Beschäftigung mit Schindler etwas verbessert. Ein messbarer erzieherischer Erfolg sei allerdings nur «mit viel Geduld und Spucke» zu er reichen. Der Schülersprecher hat von rechten Mitschülern gehört, dass sie den Namen jetzt nicht mehr so gut finden: «Aber die haben ihr Wahlrecht nicht genutzt, jetzt ist es zu spät.»
Dass es nie zu spät sei, Unrecht zu er kennen und etwas dagegen zu tun, daran erinnerte Michel Friedman. Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland kannte persönlich den Retter seiner Großmutter und seiner Eltern. Denn die standen auch auf Schind-lers Liste, durch die er unter Preisgabe seines Vermögens 1200 Juden von der Vergasung in Auschwitz freikaufte. Schindler sei der Beweis, dass der Satz «man konnte doch nichts tun» nicht stimme. Sichtlich bewegt gratulierte Friedman der Schule zu ihrer Entscheidung. Schindler sei ein «glaubwürdiges Vorbild», weil er ein kantiger Mensch voller Schwächen gewesen sei, dessen moralisches Handeln nicht vorhersehbar war.
Der Verfehlungen Schindlers sind sich die Schüler bewusst. Er war Mitglied der NSDAP und trug das Goldene Parteiabzeichen. Er war ein Frauenheld, ein Säufer und ein profitgieriger Fabrikant, der kriegswichtige Waren herstellte, schreiben sie an einer Wandzeitung. Aber sie meinen auch: «Es ist egal, wer Oskar Schindler war, wichtig ist, was er getan hat. Ein altes jüdisches Sprichwort sagt: Wer auch nur ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt.»
Gerade die Zwiespältigkeit Schindlers reizt zur Auseinandersetzung. Ein Grund, warum es laut Gebauer jetzt viel spannender sei, über Faschismus zu unterrichten. In der DDR bekam eine Schule den Namen eines Antifaschisten einfach zugewiesen, so der seit 1977 tätige Lehrer. Der war dann gut und sauber, an dem habe es nichts zu diskutieren gegeben. Die Gefahr einer Unterbelichtung kommunistischen Widerstandes sieht er nicht direkt. Das hänge vom Lehrer ab. An der Schule soll die Auseinandersetzung weitergehen. Ein Logo gilt es zu entwerfen, eine Schindler Ecke einzurichten und schließlich muss das Wissen über ihn an künftigen Schülergenerationen weiter vermittelt werden.
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