- Politik
- Zum 80. Geburtstag der Schriftstellerin Ruth Kraft
Ihr oberstes Gebot: Verantwortung
Von Horst H. Lehmann
Die Landung auf dem Mond ließ noch ein Jahrzehnt auf sich warten, als deren Spiritus Rector, Wernher von Braun, in einem Roman bei seiner frühen Verfehlung gestellt wurde: dem Bau der V- Raketen, einer der Goebbelsschen «Wunderwaffen», die den Endsieg Deutschlands im Zweiten Weltkrieg doch noch herbeiführen sollten. Eine Autorin aus der DDR war die Verfasserin, und das Buch hieß «Insel ohne Leuchtfeuer»; es er schien 1959 im Verlag der Nation Berlin. Der «Doktor», wie von Braun darin genannt ist, wurde hier entschieden sachlicher und kritischer betrachtet als etwa in jenem Film, der damals über bundesdeutsche Kinoleinwände flimmerte. Deutlich wurde seine Verantwortung für dieses den Krieg verlängernde Projekt, für den Tod vieler Menschen in England und noch mehr Deutscher, die als neuerliche Ver geltung für die in London und Umgebung niedergehenden Raketen-Bomben in brennenden deutschen Städten starben. Im Handlungsablauf ihres Romans hat Ruth Kraft diesen Zusammenhang künstlerisch zur Geltung gebracht.
Neben dem «Doktor» sind es andere, individuell schärfer gezeichnete Wissenschaftler-Figuren, die in diesem Roman vor die Frage nach ihrer Verantwortung gestellt sind. Und in ihrem zweiten Buch, «Menschen im Gegenwind» (1965), wird dieser Grundgedanke vor dem Hinter grund der westdeutschen Rüstungsproduktion entwickelt, bekanntlich ein bis heute sehr brisantes Thema. Das Janus- Gesicht der Naturwissenschaft also als ein zentraler Gegenstand in den Romanen der Ruth Kraft. Ein Jahrhundert-Problem.
Doch darin erschöpfte sich die Frage der Verantwortung für die Autorin nicht. Sie ist vielmehr an jene überwiegende Mehrheit der Deutschen gerichtet, die das faschistische System und seinen Krieg gestützt hatten. Und hier spielten autobiographische Erfahrungen hinein. War Ruth Kraft als junge Frau doch selbst in der Raketenversuchsstation Peenemünde tätig gewesen und schilderte in «Insel ohne Leuchtfeuer» aus dieser Sicht den Alltag des Krieges und, intensiver als die der Wissenschaftler, die Schicksale der Mädchen und Frauen, die dort als «Kriegshilfsdienstmaiden» und «Stabshelferinnen» tätig waren. Es gibt kaum ein anderes Werk in der deutschen Belletristik, das diesen Erfahrungsbereich so prägnant dargestellt hätte. Desgleichen die BfrinSii-› Struktur der mittleren militärischen ujid^ politischen Führungsebene. Auch Wider stand und Rassismus-Problematik wer den nicht nur tangiert. Weltanschauliche Debatten kreisen um den Punkt: «Man wird uns fragen, was wir getan haben, wenn der Krieg aus ist.» Die Antwort darauf zielt auf den Bruch, der das Leben der Ruth Kraft im Weiteren bestimmte und sie in der DDR zur Verfasserin solcher kritisch-aufarbeitender Bücher werden ließ. Auch in ihrem Roman «Gestundete Liebe» (1970) klingt diese Thematik noch an. So blieb Verantwortung ihr oberstes Gebot. Und die Suche nach einem «ordnenden Prinzip», das sie in der neuen Gesellschaft gefunden zu haben glaubte und das sich leider auch nicht als dauerhaft haltbar erwies.
Bemerkenswert in allen ihren Büchern die differenzierten Frauengestalten, die in der späteren Prosa auch in komplizierte Ehe- und Generationskonflikte verwickelt sind. Fern jedem plakativen Feminismus hat Ruth Kraft darin eines ihrer wichtigsten Anliegen gesehen. Nicht zuletzt deshalb wohl erreichten ihre Romane und Erzählungen, ungeachtet manch deklarativer Momente, in der DDR eine große Leserschaft.
Geboren wurde Ruth Kraft in Schildau bei Torgau. Das sächsische Städtchen war ihr vertraute Heimat, in der Erzählung «Haus am Markt» findet das einen schö-
„nen und geschichtlich tief schürfenden Ausdruck. Mehrfach jedoch berichtet sie,
^ie sie sich als Kind und Jugendliche dem spöttischen Bezug auf die dort bekanntlich lokalisierten Schildbürger zu entziehen suchte. Sie hat sich aber auch zu dieser Tradition bekannt: als Herausgeberin und Bearbeiterin des berühmten Schildbür gerbuches von 1598, auch, schon 1951, als Verfasserin des Librettos einer Kinderoper. Und ihre frühen Kinderbücher und Märchenspiele, Sammlungen von Kinderreimen und Kinderfilme bewegten sich in diesem Umkreis. Eine Erfahrung, die sie im Nachwort zur Ausgabe des Schildbürgerbuches 1985 mitteilte, bewahrheitet sich indessen immer mehr- «Es ist nicht mehr nur hinter den Wäldern zu Haus - das Weltnarrentum.» Mit der Weisheit des Alters blickt Ruth Kraft heute auf diese allzu närrische Welt.
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