Freiheit, Ehre, Vaterland

Bei Tübinger Studentenverbindungen sind noch Zimmer frei

  • Philipp Eins
  • Lesedauer: 4 Min.
Vor einen mannsgroßen Holzpfahl steht Felix Berger (Name von der Redaktion geändert), den Degen in der Rechten, die freie Hand in der Taille. Mit metallenem Scheppern rast die Klinge auf das Holz, Späne fallen zu Boden. Wenige Sekunden später ist die Demonstration vorbei, der Holzpfahl um einige Kerben reicher. »I bin etwas aus der Übung«, entschuldigt er sich und fuchtelt mit dem Degen vor meiner Brust herum. Eigentlich suche ich nur ein günstiges Zimmer in Tübingen, mit Gefechten wie diesem habe ich nicht gerechnet. Dabei wäre der Name doch Warnung genug: »Straßburger Burschenschaft Arminia zu Tübingen«, eine herrschaftliche Villa direkt am Neckar. Ich hätte es wissen müssen. Nachdem er Degen und Handschuh beiseite gelegt hat, erklärt mir Felix das Prinzip der Mensur. In dem streng reglementierten Gefecht kämpfen Burschenschafter gegeneinander. »Gemeinschaft und Persönlichkeit werden herangebildet«, sagt er. Verletzt wird in der Regel niemand, alle sind gut gepanzert. »Normalerweise kämpfen wir bei uns im Garten. Das ist dann ein richtig geiles Gefühl.« Felix Berger spricht mit gedämpfter Stimme. Er ist klein und zierlich, seine kurzen Haare sind ordentlich gescheitelt. Wir stehen im Speisesaal, der gleichzeitig als Übungsraum für die Gefechte dient. Der Fußboden knarrt unter den Füßen. Vor einem schweren Eichentisch stehen drei mit geschwungenen Ornamenten versehene Stühle, die Lehne des mittleren ist leicht erhöht. »Dort sitzt der Senior Charge«, sagt Felix Berger. Er meint den Vorsitzenden der Burschenschaft. Für jeden Posten, jede Versammlung gibt es einen Fachbegriff. Die Einrichtung ist aus einer anderen Zeit, obgleich sie in tadellosem Zustand ist. So auch die mit Eichenholz verkleideten Wände, die mittelalterlichen Motive an den Fensterscheiben und der präparierte Fuchs auf dem Wandschrank. »Die meisten von uns studieren Jura«, sagt Berger auf dem Weg zum Lesezimmer. Vor eineinhalb Jahren ist er zu Studienbeginn bei der Burschenschaft eingetreten. Ich spreche ihn auf seine Schwarz-Rot-Gold gefärbte Schärpe an, die um seinen Körper liegt. »Unsere Vereinsfarben«, erwidert er. »Dieselben Farben wie beim Freiheitskampf von 1848, die Grundlage unserer Nationalflagge.« Ein Symbol der Kameradschaft. »Die Bänder tragen wir aber nur im Haus«, ergänzt er. »In der Uni wird das nicht besonders gern gesehen.« An den Wänden des Lesezimmers hängen vergilbte Fotos, die noch aus der Weimarer Zeit stammen müssen. »Das sind alles Mitglieder der Arminia, die so genannten Alten Herren«, erklärt er. Einer Studentenverbindung verpflichtet man sich auf Lebenszeit, Austritte gibt es nicht. Die Bundesbrüder, die ihr Studium abgeschlossen haben, finanzieren Clubhaus, Küchenhilfe und Bibliothek für die nachfolgende Generation. »Ein gelebter Generationenvertrag«, sagt Felix. Er geht zum Kaffeetisch, auf dem einige Zeitungen übereinander liegen. Die »Frankfurter Allgemeine«, der »Spiegel« und die »Burschenschaftlichen Blätter«. Mit wenigen Handgriffen sind die Hefte sortiert und das Lesezimmer wirkt ebenso geordnet wie der Speisesaal. Die Schlafräume liegen in der ersten Etage. Einfach ausgestattete Zimmer mit IKEA-Betten, keine verschnörkelten Möbel wie in den Gemeinschaftsräumen. Der Preis ist günstig, rund 130 Euro kostet das Zimmer. Dabei teilen sich gerade mal ein Dutzend Bundesbrüder die Villa. »Viele von uns gehen nach dem Jurastudium in die Wirtschaft, einige in den Staatsdienst«, sagt Felix Berger. Er studiert Politikwissenschaften und Geschichte. »Obwohl der Fachbereich ziemlich links ist.« Zwar sei die Arminia überparteilich. Doch ein Großteil der Mitglieder engagiert sich in der Jungen Union. Interessieren sich Burschenschaftler auch für rechte Parteien? Felix Berger verneint. »Die DVU ist eher ein privates Münchner Wirtschaftsunternehmen als eine Partei, die NPD passt uns nicht in den Kram. Die Arminia ist doch ein demokratischer Verein.« Die Frage gefällt ihm nicht. Ich folge Felix in den Eingangssaal, in dem er mich zuvor empfangen hat. Wieder dunkle Möbel, dunkle Wände. Lediglich ein großes Plakat mit dem Wappen der Verbindung fällt auf. »Arminia sei's Panier! Freiheit, Ehre, Vaterland!«, steht darüber in altdeutschen Lettern. Was bedeutet ihm Patriotismus? Berger überlegt nur kurz und beginnt zu erzählen, als wenn er diese Frage andauernd beantworten muss. »Das Vaterland ist uns wichtig, man darf die deutsche Geschichte nicht auf zwölf Jahre Nationalsozialismus reduzieren. Dabei sind wir keinesfalls geschichtsrevisionistisch. Der Zweite Weltkrieg war doch ohnehin die größte Fehlentscheidung des 20. Jahrhunderts.« Alles soll politisch korrekt klingen. Zitate wie aus einem Bausatz. Ich verabschiede mich artig und höre, wie die Tür ins Schloss fällt. Der Geschmack nach nationalkonservativer Ideologie verflüchtigt sich in der kalten Winterluft. Wohnen möchte ich hier nicht.

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