Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

»Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr!«

  • Lesedauer: 3 Min.

Der mit den Namen Kapp und Lüttwitz verbundene Militärputsch vom März 1920 offenbarte, wie sich die innenpolitischen Machtverhältnisse in den eineinhalb Jahren seit der Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann am 9 November 1918 entwickelt hatten. Nun musste Deutschland erleben, dass ein militärischer Verband, nämlich die Marinebrigade Ehrhardt, die republikanische Regierung aus Berlin verjagte und der damals ranghöchste preußische Offizier, General Freiherr v. Lüttwitz, zusammen mit einem rechtsradikalen Beamten namens Wolfgang Kapp den Versuch machte, eine so genannte nationale Regierung zu bilden, die über keinerlei demokratische Legitimation verfügte. Im Hintergrund wartete der populäre Weltkriegsgeneral Ludendorff, wie sich die Machtverhältnisse entwickeln würden, um gegebenenfalls zur Verfügung zu stehen.

Die unter der politischen Verantwor tung von Gustav Noske aus den Resten des »kaiserlichen« Heeres aufgebaute Reichswehr zeigte jetzt ihr wahres Gesicht. Sie machte keine Anstalten, die rechtmäßige Regierung Gustav Bauer (SPD) zu schützen, sondern erklärte sich gleichsam für neutral. Vom Chef des Truppenamtes, General Hans von Seeckt, ist das viel sagende Wort überliefert: »Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr!« Mit anderen Worten: Die Reichswehr der Republik, die zuvor keinerlei Hemmungen gehabt hatte, auf revolutionäre Arbeiter zu schießen, mochte gegen putschende Truppen nicht vorgehen. Bestanden diese doch aus Angehörigen der eigenen gesellschaftlichen Schicht, denen sie sich durch den militärischen Korpsgeist verbunden fühlten.

So wurde der Militärputsch gegen die Republik nicht durch die Reichswehr beendet, sondern durch einen Generalstreik, den die Regierung zusammen mit der SPD der USPD den Gewerkschaften und der KPD ausgerufen hatte. Die erfolgreiche gemeinsame Aktion zur Abwehr des ersten Versuches der Rechtsradikalen, sich die Macht im Deutschen Reich gewaltsam anzueignen, führte aber nicht zu einer dauerhaften Stärkung der Republik. In den nächsten Wahlen verlor die Weimarer Koalition - SPD, Zentrum und DDP - ihre bis dahin gehaltene Mehrheit zu Gunsten einer Koalition der Rechten.

Unverständlicherweise wurde Seeckt nach dem Zusammenbrechen des Putschs nicht aus seinem Amt entfernt, sondern ais Nachfolger des loyalen württembergischen Generals Walther Reinhardt zum Chef der Heeresleitung ernannt. Diese folgenschwere personalpolitische Fehlentscheidung hat Reichspräsident Ebert nicht verhindert. Seeckt ging nun daran, die etwa 5000 Köpfe zählende Putschbrigade Ehrhardt sowie die Marinebrigade Loewenfeld zu »neutralisieren«. Darunter verstand er jedoch nicht etwa ein strafrechtliches Vorgehen gegen die Hochver räter, sondern eine neuerliche Indienststellung dieser Verbände und ihren Einsatz gegen die unter kommunistischer Führung kämpfende »Rote Ruhrarmee«, die sich aus dem Generalstreik zur Abwehr des Putsches heraus gebildet hatte.

Ein erheblicher Teil der Angehörigen der Putschbrigaden wurde in die Reichswehr der Republik übernommen. Andere, wie der rechtsradikale Hauptmann Waldemar Papst, der im Januar 1919 die Befehle zur Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gegeben und her nach bei allen Putschvorbereitungen die Hand mit im Spiel hatte, gingen ins Ausland. Wieder andere schlössen sich der »Organisation Consul« des ehemaligen Marineoffiziers Ehrhardt an, einer der gefährlichsten rechtsradikalen Terror gruppen der Weimarer Zeit, die durch spektakuläre politische Morde hervortrat.

Der Militärputsch offenbarte sowohl die tiefe Kluft zwischen Reichswehr und Republik als auch die Machtlosigkeit der Regierung gegenüber einer Reichswehr, die sich nicht als ein Parlamentsheer ver stand, sondern als die Verkörperung des

Staates selbst. Wenn ihre Repräsentanten von der Einheit des Staates sprachen, meinten sie die Einheit der Reichswehr.

- Anzeige -

Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.

Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen

Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.