Der Neonazi und das Hereromädchen

13 Jahre lang war Nick W. Greger bekennender Rassist und Rechtsradikaler. Fünf Wochen in Namibia haben ihn geläutert

  • Thomas Nitz
  • Lesedauer: 7 Min.
Es klingt wie ein modernes Märchen, was Nick W. Greger in seinem Buch »Verschenkte Jahre« erzählt: Ein militanter Neonazi aus Deutschland reist nach Südafrika, um sich dort rassistischen Paramilitärs anzuschließen. Aber es kommt ganz anders. Er verliebt sich in ein Hereromädchen und muss feststellen, dass seine rassistische Ideologie völliger Unfug ist.
Die Liste der Straftaten des heute 28-jährigen Nick W. Greger würde beinahe ausreichen, ein eigenes Buch zu füllen: Mehrfache gefährliche Körperverletzung, Verwendung von Symbolen verfassungsfeindlicher Organisationen, Volksverhetzung sowie Vorbereitung einer Sprengstoffexplosion sind die Bilanz einer 13-jährigen internationalen Nazikarriere. Als Greger im August 2003 vor erneuter Strafverfolgung nach Südafrika flüchtet, hat er bereits eine viereinhalbjähriger Haft in verschieden sächsischen Justizvollzugsanstalten hinter sich. Was er jedoch in den folgenden Wochen in Südafrika und Namibia erlebt, lässt ihn sein bisheriges Leben und seine Nazikarriere als einen einzigen, langen Albtraum erscheinen.

Vom Mitläufer zum Drahtzieher
Angefangen hat alles im Alter von zwölf Jahren. Im fränkischen Wunsiedel schließt sich Nick W. Greger einer Skinheadgruppe an. Die Kleinstadt ist durch die dort regelmäßig zelebrierten Rudolf-Heß-Gedenkmärsche zu unschönem Ruhm gelangt. Was als pubertäre Rebellion beginnt, setzt sich als steile Karriere in der deutschen und internationalen Neonaziszene fort.
Anfang der 90er Jahre gilt Dresden als eine Hochburg der Neonaziszene. Greger möchte an der »nationalistischen Aufbruchstimmung« im Osten teilnehmen und siedelt nach Dresden über. Bereits nach anderthalb Jahren führt er eine Gruppe von Nazischlägern an, die den Dresdner Plattenbaubezirk Reick mit Baseballschlägern, Gaspistolen, Stahlketten und »Hausbesuchen« bei Ausländern und Linken zur »National Befreiten Zone« prügeln will. Die Gruppe finanziert sich durch organisierte Kriminalität. Dazu gehören Schutzgelderpressung, Autodiebstahl und der Verkauf von unversteuerten Zigaretten, die zuvor vietnamesischen Händlern abgenommen worden sind. Wer verhaftet wird, gilt als Märtyrer und nutzt die Zeit im Gefängnis zur Kontaktpflege mit Gleichgesinnten.
Greger selbst wird erstmalig 1997 zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Für ihn ist die Justizvollzugsanstalt ein »rechtsradikaler Durchlauferhitzer«. Im Gefängnis bildet er sich ideologisch weiter und organisiert die Kameradschaft »National Aktivistische Vereinigung Mitteldeutschlands« (NAVM). Neue Leute mit dem nötigen Gewaltpotenzial und mit offenen Ohren für die Naziideologie findet er im Knast genug.
Während seiner Haft beginnt er sich für die Aktivitäten weißer Rassistenorganisationen in Südafrika zu interessieren. Vom Gefängnis aus gelingt es ihm, Kontakt zu einer Gruppe mit dem Namen »Deutsche Büchergilde Kapstadt« herzustellen, einer ultrarechten Vereinigung aus alten SS-Mitgliedern und Gestapo-Angehörigen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, junge Buren nach SS-Tradition ideologisch und militärisch auszubilden.
Als Greger 1999 frühzeitig entlassen wird, ist er politisch hoch motiviert und mit besten nationalen und internationalen Nazi-Kontakten ausgestattet. Seine NAVM agiert inzwischen im gesamten Osten, veranstaltet Konzerte von Nazibands, lädt zu Schulungen und Vorträgen ein und organisiert in enger Zusammenarbeit mit dem weltweit größten Vertreiber von NS-Propagandamaterial, der NSDAP/AO (USA), einen Versandhandel.

Ein »rassistischer Volksstaat«
Ein Jahr später wird Greger Mitglied einer Wehrsportgruppe in Berlin-Treptow, übt sich an Waffen, erlernt die Herstellung von Sprengmitteln und trainierte den Bau von Rohrbomben und Landminen. Allerdings werden ihm erste Widersprüche innerhalb der Szene bewusst. Der Leiter und Initiator dieser militanten Gruppe entpuppt sich als verdeckter Ermittler des Verfassungsschutzes mit dem Decknamen »Piato«. Während Greger wieder ins Gefängnis muss, kommt dieser Mann unmittelbar nach der Verhaftung frei.
Nach zwei Jahren wird Greger aus der Haft entlassen und arbeitet sich zum Stützpunktleiter der Organisation »Kampfbund Deutscher Sozialisten« hoch, eine militante Organisation, die rechts- und linksextremistische Kräfte zu einer gemeinsamen Front gegen das »verhasste System« zu bündeln versucht. Als Greger wegen seines Engagements erneut verhaftet werden soll, flüchtet er über Kontakte in den Niederlanden und London nach Südafrika.
Die Entscheidung, nach Südafrika zu gehen, kam nicht von ungefähr. Greger sieht dort ein Potenzial an Gleichgesinnten, um für einen »rassistischen Volksstaat« zu kämpfen. Eine seiner ersten Stationen in Südafrika ist der »Orania Volksstaat«, eine von Rassisten und Rechtextremisten verwaltete Siedlung in der Karoowüste in der Provinz Nordkap. Dort gelangt Greger in den inneren Kreis der rassistischen »Widerstandsbewegung« Südafrikas. Deren militanteste Organisation, die »Burenmacht«, plant gar den politischen Umsturz, um die Abschaffung der Apartheid rückgängig zu machen. Greger wähnt sich am Ziel. In seinem Buch schreibt er: »Ich war um die halbe Welt gereist, um an vorderster Front gegen den verhassten Neger' zu kämpfen« (...) »Mehr denn je war ich auf Kampf eingestellt und fühlte mich im Glauben an die Sache unerschütterlich.«

Das schönste Gesicht Afrikas
Greger meldet sich freiwillig, Waffen für den Aufstand zu organisieren. Er begibt sich auf die Reise nach Angola, um dort von ehemaligen UNITA-Rebellen Sturmgewehre zu erwerben. An der Grenze zu Namibia blüht seit dem Ende des Bürgerkrieges in Angola der Schwarzhandel mit Waffen. Eine Kalaschnikow ist umgerechnet für zirka 7,50 Euro zu haben. Das Township Otjiwarongos, einer 100 000 Einwohner zählenden Stadt im nördlichen Namibia, soll die Ausgangsbasis für Gregers Plan werden. Hier, so hofft er, würde er die nötigen Kontakte zu den Waffenhändlern herstellen können.
Um an erste Informationen zu kommen, liest Greger in Otjiwarongo einen schwarzen Anhalter von der Straße auf. Er gibt sich als Journalist aus, der eine Story über die Menschen des südlichen Afrika schreiben möchte, um den Mitfahrer aushorchen zu können. Doch es kommt anders. Bereits nach wenigen Minuten muss Greger feststellen, dass dieser Mann, der ihm so offenherzig und ganz ohne Berührungsängste begegnet, überhaupt nicht in sein Konzept vom »hässlichen Schwarzen« passt.
Ein Besuch bei der Familie seines neuen Bekannten ein paar Tage später bringt sein rassistisches Weltbild ins Schwanken. Hier ist er der Ausländer, der sich von der großen Masse der Einheimischen sichtbar unterscheidet. Aber anders als in seiner Heimat ist er als Fremder willkommen, wird von Anfang an in eine Gemeinschaft integriert, die er eigentlich bekämpfen wollte. Greger kann sich der Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit dieser Menschen nicht mehr entziehen. »Das erste Mal in meiner Laufbahn als Neonazi kam in mir das Gefühl von Scham auf. (...) wie konnte ich eine derartige Politik und Weltanschauung noch propagieren, nach dem ich ein so herzliches und unvoreingenommenes Verhalten im Township vorgefunden habe?« schreibt er.
Selbst als seine Gesinnung offenbar wird, als ihn seine Tätowierungen wie »Blut und Ehre« oder »Alles für Deutschland« verraten, ändert sich nichts an der Einstellung dieser Menschen ihm gegenüber. Greger muss sich eingestehen, wie wenig Bedeutung dieser Unterschied in Haut- und Haarfarbe im Zwischenmenschlichen hat, wie weltfremd seine rassistische Ideologie ist und wie wenig sie mit seinen eigenen Idealen von Kameradschaft und Freundschaft zu tun hat.
Der endgültige Auslöser, der ihn die Idiotie seiner Weltanschauung begreifen lässt, ist die Begegnung mit der Schwester seines neuen Freundes. Greger ist hin- und hergerissen zwischen seinem bisheriges Leben, der Sache, für die er »gekämpft« hat, und dem »schönsten Mädchen, das ich bis dahin in Afrika zu Gesicht bekommen hatte«. Greger entscheidet sich für die Liebe, gegen den Hass. Als seine Liebe erwidert wird, siedelt er ins Township zu seiner Freundin und deren Eltern um.
Für die weiße, immer noch im Apartheiddenken verwurzelte Gesellschaft von Otjiwarongo ist Greger nach diesem Tabubruch nicht mehr existent. Aber das ist ihm nur recht. Denn seine 13-jährige Nazikarriere, und die Begegnungen mit den weißen Rassisten des südlichen Afrikas kommen ihm unwirklich, ja wie ein langer Albtraum vor, »aus dem mich diese Menschen, ohne es zu wissen, nun langsam wachrütteln«.
Greger geht einige Wochen später wieder zurück nach Deutschland, um seine Gefängnisstrafe abzusitzen, wohl wissend, dass er anschließend nach Namibia zurückkehren wird, wo eine Liebe und eine Zukunft auf ihn warten. Mit Hilfe von »Exit Deutschland«, einer Initiative für aussteigewillige Neonazis, gelingt ihm die Trennung von seiner rechtsextremen Vergangenheit. Nick W. Greger wird voraussichtlich noch in diesem Jahr aus der Haft entlassen.

Nick W. Greger: Verschenkte Jahre, Books on Demand, Norderstedt 2005, in Zusammenarbeit mit der ZDK Gesellschaft Demokratische Kultur GmbH Berlin und der Amadeu Antonio-Stiftung, ISBN 3-8334-3809-6, 160 S., 12 EUR.
www.exit-deutschland.de
www.amadeu-antonio-stiftung
.de

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