Weltrekord auf der Kanonenbahn

Von Zossen nach Jüterbog auf der längsten Draisinenstrecke Deutschlands

  • Matthias Ende
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit der Draisine auf die Hochgeschwindigkeitsstrecke? Das kann doch nicht gut gehen. So ein altertümliches Gefährt für den Antrieb per Muskelkraft stört schließlich nur die schnellen Züge. Als Nervenkitzel eignet sich so eine Tour wohl auch nur bedingt. Jan Jähnke, einer der drei Chefs über die längste Draisinenstrecke Deutschlands, lacht über die Zweifel. Da habe er sich wohl in der Eile etwas undeutlich ausgedrückt. Es stimme zwar, dass die 40 Kilometer lange Strecke zwischen Zossen und Jüterbog in den Rekordlisten der Eisenbahnen steht. Aber die Höchstgeschwindigkeit von 210 Kilometern pro Stunde liegt hier schon mehr als 100 Jahre zurück. Am 28. Oktober 1903 raste zwischen Berlin, Zossen und Kummersdorf ein AEG-Versuchswagen mit jenem Wahnsinnstempo. Kein anderes damals existierendes Verkehrsmittel war zu diesem Zeitpunkt schneller unterwegs. Seit 1998 ist die Strecke stillgelegt, fünf Jahre später rollten die ersten Draisinen mit Touristen auf der »Kanonenbahn«. Der Begriff löst erneut ungläubiges Kopfschütteln aus. »Kanonenbahn«? Jan Jähnke hebt sofort die Hände. »Das ist keine Erfindung von uns«, sagt er. »Schon 1875 eröffnete die Königliche Militäreisenbahn die Strecke vom damals selbstständigen Schöneberg zum Schießplatz in Kummersdorf.« Soldaten hätten sie gebaut, geleitet und betrieben. Bahnhofsbauten und Gleisanlagen wurden mit besonderem Aufwand gebaut. »Die Draisinenfahrer von heute erleben also eine historisch äußerst interessante Strecke«, schwärmt der studierte Sozialwissenschaftler, der sich mit zwei Freunden in die Unternehmerlaufbahn gestürzt hatte. Bereut haben sie den Schritt nicht. Im Eröffnungsjahr 2003, das für sie allerdings wegen des späten Starts nur sechs Monate zählte, kamen 7000 Gäste. 2004 verkauften sie 20 000 Karten und im Vorjahr sogar 30 000. Sicher liegt ein Teil dieses Erfolges in der Historie diese Strecke vor den Toren Berlins begründet. Eine Fahrt auf einer »Kanonenbahn« mit dem Status eines Weltrekords besitzt einfach einen größeren Reiz als eine Tour auf einem beliebigen Wald- und Wiesenabschnitt. Doch dies allein kann natürlich nicht die große Freude bewirken, die auf den Gesichtern der Teilnehmer abzulesen. Wir wollen die Probe aufs Exempel machen und stehen vor einem kleinen Rätsel. Denn der Draisinenfuhrpark bietet an den Start- und Zielbahnhöfen eine große Vielfalt. Die Wahl für das jeweilige Fahrzeug hängt von der Personenzahl, der Kondition und der eingeplanten Zeit ab. Zehn bis 14 Personen passen auf die Großdraisine. Sechs Leute können sich an den beiden Hebeln zu schaffen machen, während es sich die Mitfahrer auf der Bank bequem machen. Langeweile kommt aber nicht auf. Der Tourenbegleiter erzählt von Land und Leuten und an den Bahnübergängen müssen die Autos auf Distanz gehalten werden. Etwas anders läuft das Programm auf den Fahrraddraisinen. Zwei Fahrer treten in die Pedalen. Die Begleiter sitzen in der Mitte. Wo es schön ist, wird die Draisine einfach aus den Schienen gehoben und neben dem Gleis abgestellt. Lust auf ein Picknick im Grünen, einen Sprung in den See oder eine Pilzpirsch bieten dafür genügend Anlässe, genau wie reizvolle Restaurants am Wegesrand. Wer an einem Ausflugstag von vornherein lieber ein voll gepacktes Programm buchen will, ist mit der Drei-Muskel-Tour am besten beraten. Auf das anfängliche Kopfschütteln der Gäste können sich die Draisinenmitarbeiter fast immer verlassen. Drei Muskeln? Die Kleindraisine für sechs bis acht Mitfahrer beansprucht beim »Hebeln« oder »Pumpen« höchstens die Armmuskeln. Aber an die Draisinenfahrt schließen sich noch weitere Herausforderungen an. Nach fünf Kilometern wird von Zossen aus der Bahnhof Mellensee erreicht. Hier heißt es umsteigen. Eine seltsam anmutende Fahrradkonstruktion wartet auf die Gruppe. Sechs Personen sitzen im Kreis und radeln fröhlich darauf los. Nur einer lenkt dieses »Konferenzfahrrad«. Am Ufer des Sees steht für die Schlussetappe noch eine weitere Überraschung bereit. Mit Hydrobikes geht es zur Rundfahrt über den See oder auf dem Kanal zurück zum Ausgangsbahnhof Zossen. Umkippen können diese Wasserfahrräder nicht. Und: Die Beinmuskeln erfahren eine ausgiebige Trainingseinheit. Wer eine Fahrt mit den besonderen Fahrzeugen unternehmen möchte, sollte sich rechtzeitig einen Platz reservieren. Infos und Buchung: Erlebnisbahn Zossen-Jüterbog, Tel. (03377) 330 08 50, Internet: www.erlebnisbahn.de, Reservierung erforderlich. Schnuppertour ab 6,50 Euro pro Person (Kinder ab fünf Euro), individuell kombinierbare Angebote auch für Gruppen, Vereine, Betriebsausflüge Öffnungszeiten: täglich, ganzjährig geöffnet Informationen über die Region gibt es beim Tourismusverband Fläming e.V. ,Tel. (033204) 628 70 , www.reiseregion-flaeming.de Anreise: Abfahrtsbahnhöfe sind je nach Tour Zossen, Mellensee oder Jüterbog. Mit dem Regionalexpress ist Zossen und Jüterbog erreichbar.

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