Anonyme Bewerbung in Frankreich jetzt Gesetz

Die Diskriminierung von Minderheiten soll abgebaut werden

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
Während die Proteste gegen die Lockerung des Kündigungsschutzes in Frankreich Schlagzeilen machen, bleibt ein Gesetz, das der Chancengleicheit dienen soll, fast unbemerkt.
Was haben der junge Mohammed, der 56-jährige Henri, der querschnittsgelähmte Patrick und die übergewichtige Sylviane gemeinsam? Sie gehören Minderheiten an, die bei der Besetzung offener Stellen nur zu oft diskriminiert werden. Um dem entgegenzuwirken, wurde in Frankreich die Forderung nach »anonymen Bewerbungen« immer lauter. Name, Alter, soziale und ethnische Herkunft sowie das Wohnviertel werden unkenntlich gemacht, und die Bewerbung enthält auch kein Foto. So wird verhindert, dass Bewerber von vornherein aufgrund rassistischer oder anderer Vorurteile »aussortiert« und erst gar nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen werden, wie es oft geschieht. Vor Monaten haben sich bereits alle Arbeitsämter in Frankreich, zahlreiche Behörden sowie 185 staatseigene und private Großunternehmen verpflichtet, in ihrem Bereich »anonyme Bewerbungen« einzuführen. Jetzt ist dies sogar Gesetz. Die linke Opposition im Senat, unterstützt durch die Senatoren der Zentrumspartei UDF, brachte eine entsprechende Änderung mit knapper Stimmenmehrheit in das Gesetz über Chancengleichheit ein, und die Regierung verzichtete darauf, die Einfügung mittels ihrer Mehrheit in der Nationalversammlung wieder zu tilgen. Schließlich ist die Forderung nach »anonymen Bewerbungen« äußerst populär. Allerdings sorgte die Regierungskoalition dafür, dass der Passus nur für Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten Anwendung findet. »Das ist ein erster Schritt, und der fiel der Regierung sicher leichter, als Quoten oder "positive Diskriminierung" für Minderheiten zu akzeptieren«, glaubt der UDF-Senator Nicolas About. In seinem Wahlkreis im Departement Yvelines liegen einige große Sozialwohnsiedlungen. »Wer eine solche Adresse in der Bewerbung hat, knapp über 20 ist und vielleicht Ali oder Faoud heißt, der hat es um ein Vielfaches schwerer, einen Job zu finden.« Die anonyme Bewerbung, die nur Qualifikation, Erfahrungen und Motivation des Bewerbers enthält, löst natürlich noch nicht das Problem der Diskriminierungen, aber sie kann zumindest die Hürde vor einem ersten Vorstellungsgespräch abbauen helfen. Dabei muss der Kandidat dann durch sein Auftreten und die Argumente hinsichtlich seiner Qualifikation für die ausgeschriebene Stelle überzeugen. Bei einem Test, den im vergangenen Jahr eine Bürgerrechtsorganisation und eine Pariser Universität anstellten, wurden auf 325 Stellenausschreibungen für Vertreterjobs je sechs verschiedene Bewerbungsschreiben eingereicht. Zwei weiße Männer mit französisch klingenden Namen und »seriöser« Adresse erhielten 82 beziehungsweise 64 Antworten mit der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Bei einem farbigen Franzosen waren es 56, bei einem nach dem Foto sichtlich übergewichtigen Mann nur 28, bei einer jungen Frau arabischer Herkunft trotz ausgezeichneter Diplome lediglich 25 und bei einem Mann über 50 ganze 17 Antworten. Die Linksparteien wollen aufmerksam verfolgen, ob und wie die Rechtsregierung die neue gesetzliche Verpflichtung durch konkrete Anwendungsbestimmungen in die Praxis überführt. Auch die Gewerkschaften haben bereits angekündigt, dass sie das Thema in den Verhandlungen mit Unternehmern und Regierung im Auge behalten und notfalls Druck ausüben werden. Die Organisation SOS Racisme fordert von der Regierung, »mit gutem Beispiel voranzugehen und dafür zu sorgen, dass es bei Einstellungen im öffentlichen Dienst und in Staatsbetrieben keinerlei Benachteiligung nach Geschlecht, Alter, Hautfarbe und nationaler Herkunft mehr gibt«.

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