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Sprachvielfalt ist eine Bereicherung

  • Josef Winkler
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Diskussion um die Deutschpflicht auch außerhalb des Klassenzimmers hat sich vor allem am Beispiel der Herbert-Hoover-Realschule in Berlin-Wedding entzündet. Mir ist es wichtig, dass der Beschluss dieser Schule, Deutsch auch außerhalb des Klassenzimmers zu sprechen, durch eine Schulkonferenz gefällt wurde, in der auch Eltern und Schüler ein Mitspracherecht haben. Laut Schulleiterin Jutta Steinkamp wurde die Deutschpflicht zuvor in allen Klassen diskutiert, wobei sich von 14 Klassen nur zwei dagegen ausgesprochen hätten. Wer das Gebot übertritt, wird daran erinnert, Sanktionen gibt es nicht. Das bayerische Kultusministerium kritisierte schon diese Regelung als Einschränkung der Persönlichkeitsentfaltung. In der politischen Diskussion sind inzwischen auch bundesweite Vorschriften mit Sanktionen. Bündnis 90/Die Grünen sprechen sich klar dagegen aus, für alle Schulen eine Deutschpflicht auch außerhalb des Klassenzimmers verordnen zu wollen, die womöglich auch noch streng sanktioniert würde. Für den Erwerb der deutschen Sprache sind Modelle, die auf Anreiz und Motivation setzen, besonders erfolgreich. Nur die gute Beherrschung der deutschen Sprache eröffnet Chancen für eine erfolgreiche schulische und berufliche Bildung in Deutschland. Wenn Eltern, Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkräfte einer Schule diese Chance auf Bildungsbeteiligung durch die Benutzung der deutschen Sprache während des ganzen Schulalltages vergrößert sehen, sollte die Politik es ihnen nicht verbieten. Gerade Bündnis 90/Die Grünen fordern schon lange, dass Schulen mehr Autonomie für die Umsetzung eigener pädagogischer Konzepte haben sollen. Denn damit können sie auf besondere regionale oder soziale Gegebenheiten reagieren, so zum Beispiel auf die soziale Zusammensetzung ihrer Schülerschaft. Derartige Konzepte können den Spracherwerb zum Inhalt haben, aber beispielsweise auch interkulturelles Lernen. Im Rahmen solcherart angepasster pädagogischer Konzepte kann es die Festlegung geben, dass Deutsch als Verkehrssprache von allen anerkannt und gesprochen werden soll. Für diese Regelung gibt es auch neben der Verbesserung der sprachlichen Fähigkeiten weitere nachvollziehbare Gründe: Wenn sehr viele unterschiedliche Sprachen an einer Schule gesprochen werden, ist es praktikabel, eine Verkehrssprache für den Umgang im öffentlichen Raum zu definieren. Dies wirkt der Gruppenbildung entgegen und kann helfen, Missverständnisse zu vermeiden - zwischen Schülern unterschiedlicher Herkunft, aber auch zwischen einzelnen Jugendlichen und ihren Lehrern. Wenn ein solches Gebot angestrebt wird, ist es aber unabdingbar, dass Eltern sowie Schüler über die vorgesehenen schulischen Gremien eingebunden werden. Über die Umgangssprache Deutsch auch außerhalb des Klassenzimmers müssen die Schulen aber selbst entscheiden können. Außerdem sind natürlich auch andere Projekte möglich, wie in der Hoover-Schule beispielsweise die Einführung von Projektunterricht, fächerübergreifender Unterricht, Sexualberatung, Hausaufgabenbetreuung, die Ausbildung von Konfliktlotsen und vieles mehr. Für uns ist die Feststellung wichtig, dass Mehrsprachigkeit nicht als etwas betrachtet werden darf, das es an Schulen zu vermeiden gilt. Im Gegenteil, Kompetenzen, die aus einer anderen kulturellen und sprachlichen Herkunft resultieren, sollten vielmehr als Bereicherung verstanden, gefördert und in pädagogischen Konzepten aufgegriffen werden. Schülern mit Migrationshintergrund sollte die Möglichkeit geboten werden, ihre eigene Sprache zu lernen, und zwar gut zu lernen. Daher sollte möglichst Ergänzungs-Unterricht in der Herkunftssprache angeboten werden, zu dem auch deutsche Schülerinnen und Schüler Zugang haben sollten. Integration darf keine Einbahnstraße sein. In ihrem Papier »Integrationspolitik konkret - 15 Vorschläge für Berlin« hat die Grüne Abgeordnetenhausfraktion in Berlin auch für solchen Ergänzungsunterricht 22 Millionen Euro Integrations-Investitionen vorgeschlagen, um Personalstellen für Sprachförderung schaffen zu können. Die Diskussion über eine Deutschpflicht an Schulen außerhalb der Klassenzimmer zeigt, dass man früher ansetzen muss. Sprachförderung im vorschulischen Bereich ist zentral. Je früher Kinder im Deutschsprechen geübt sind, desto größere Chancen haben sie in ihrer Bildungslaufbahn. Sie sprechen dann selbstverständlicher, »ungezwungener« und besser deutsch, auch jenseits von formal festgelegten »Unterrichtsstunden«, und haben mehr Kapazitäten frei, auch noch andere Fremdsprachen gut zu lernen. Auch hier schlagen die Berliner Grünen Konkretes vor. Ein kostenloses KiTa-Jahr vor der Einschulung könnte bei einem Vorziehen des Sprachtests für die Schulanmeldung für gezielte Sprachfördermaßnahmen genutzt werden. Bessere Sprachausbildung und muttersprachliche Erzieherinnen und Erzieher könnten dies weiter fördern. Deutschland gelingt es bislang nur unzureichend, mit der Heterogenität der Schülerschaft angemessen umzugehen und entsprechende Bildungskonzepte auf der Basis der individuellen Förderung umzusetzen. Schüler mit Migrationshintergrund sind Teil der Gesamtschülerschaft, die wir bilden, ausbilden und qualifizieren müssen. Deutschland hat lange Zeit gebraucht, sich mit der Realität von Zuwanderung konstruktiv auseinanderzusetzen. Die teilweise an den Schulen und in den Lehrplänen immer noch bestehende Konzeptionslosigkeit im Umgang mit Heterogenität und Vielfalt muss endlich überwunden werden. Es gilt, auch im Schulalltag einen Dialog zwischen den Kulturen zu fördern und in den Curricula Zeit einzuräumen, mit interkultureller Vielfalt und individueller Förderung konstruktiv umzugehen. Wir brauchen in Zukunft jedes Kind und jeden Jugendlichen. Das bildungspolitische Leitmotiv des PISA-Siegerlandes Finnland sollte auch für Deutschland gelten: »Wir brauchen jeden hier, hoffnungslose Fälle können wir uns nicht leisten«.

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