460 000 Soldaten für die Freiheit

Andreas Koristka weiß, wie man Jugendliche für die Bundeswehr begeistert

  • Andreas Koristka
  • Lesedauer: 3 Min.
Ziehung der Bundeswehrrekruten – ist das die Zukunft?
Ziehung der Bundeswehrrekruten – ist das die Zukunft?

Die Bundeswehr soll in den nächsten Jahren auf eine Gesamtstärke von 460 000 Soldaten anwachsen. 460 000! Das ist genau die Antwort auf Putins Aggression in einer Sprache, die der Mann im Kreml versteht. 459 999 würden ihm nur ein amüsiertes Grinsen abringen und die offen zur Schau gestellte Schwäche ließe ihn umgehend die prorussischen Gebiete zwischen Elbe und Oder annektieren. 460 001 Soldaten hingegen würden die ansonsten rational und kühl agierende Super-Hete zu einer Überreaktion provozieren: Ein atomarer Erstschlag gegen die Erde, den Mond und die Nachbarplaneten wäre die direkte Folge.

460 000 ist also eine grundvernünftige Zahl, mit der man arbeiten muss — da sind sich alle freiheitsliebenden Menschen einig, die unser Grundgesetz einer Hegemonie aus Borschtsch und Balalaika-Gedudel vorziehen. Aber wie man diese Zahl erreichen kann, darüber herrscht Uneinigkeit. Noch zieht die verwöhnte Generation Z eine ausgewogene Work-Life-Balance mit Homeoffice und Vier-Tage-Woche einem Lebensmodell vor, in dem man mit den eigenen Gedärmen in der Hand im Schützengraben fürs Vaterland den Heldentod stirbt.

Boris Pistorius hat versucht, sich in die jungen Menschen hineinzudenken. Er möchte sie mit allerlei kleinen bis mittelgroßen Annehmlichkeiten für die Bundeswehr gewinnen. Wenn sie erst einmal ihren Führerschein bei der Armee machen können und wenn ihnen in der Musterung Spreizfüße attestiert werden, dann werde das schon genug junge Menschen für die Armee begeistern, meint der Verteidigungsminister von der SPD.

Andreas Koristka
Autorenfoto von Andreas Koristka am Donnerstag, den 10. Oktober ...

Andreas Koristka ist Redakteur der Satirezeitschrift »Eulenspiegel«. Für »nd.DieWoche« schreibt er alle zwei Wochen die Kolumne »Betreutes Lesen«. Alle Texte unter dasnd.de/koristka.

Den Unionsparteien reicht das aber nicht. Sie schlagen spielerische Elemente vor: Wenn sich nicht genügend Personen eines Jahrgangs für die Grundausbildung verpflichten, soll das Los entscheiden, wer eingezogen wird. Die Vorstellung ist reizvoll: Einmal im Jahr versammeln sich alle 18-Jährigen vor den Fernsehgeräten (oder eben vor ihren Smartphones), um der Ziehung der nächsten Bundeswehrsoldaten beizuwohnen. Eine Glücksfee greift in einen riesigen Bottich mit Namensschildchen und zieht dann zum Beispiel Max Musterungsmann aus der Musterungsstraße 1 in Musterungshausen.

Spannung wäre garantiert und die Überraschung groß, wenn einige Jugendliche auf diese Weise erfahren würden, dass sie ihr Work-and-Travel-Jahr in Australien gegen einen viel besser bezahlten Aufenthalt im »Land der drei Meere« rund um Torgelow tauschen dürfen.

Doch die Lotterie ist dem Verteidigungsminister ein Dorn im Auge. Zu Recht! Denn es gibt Verfahren, die junge Leute viel mehr begeistern könnten. Wie wäre es mit einer Deo-Challenge auf Tiktok, bei der nur Diejenigen eingezogen werden, die nach intensiver Inhalation von Deodorant-Spray nicht ohnmächtig werden? Vielleicht bekäme man dabei sogar mehr Soldatinnen und Soldaten, die gegenüber chemischen Kampfstoffen immun sind? Oder man lässt die potenziellen Rekruten wie bei »Squid Game« in Kinderspielen gegeneinander antreten. Wer sich noch bewegt, nachdem die Roboterpuppe aufgehört hat zu singen, kommt zu den Feldjägern. So würde es garantiert mit den 460 000 klappen!

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