»Wir brauchen keine Tankstelle«

Im sächsischen Rabutz betreiben junge Motorsportbegeisterte einen ganz besonderen Rennstall - sie bauen solar- und elektrobetriebene Kleinrennwagen. Das Projekt erregt internationale Aufmerksamkeit

  • Stefan Tesch, Delitzsch
  • Lesedauer: 7 Min.
An der »Teichschikane« wird es eng. Tom nimmt zu spät den Speed raus, muss unnötig bremsen, versteuert sich etwas. Und schon ist Felix heran. Nervenstark zieht er innen vorbei, beschleunigt noch einmal kräftig eingangs der 80-Meter-Geraden entlang der Pflanzenkläranlage. Tom sieht's nicht weiter tragisch. Es ist eine der zahllosen Übungsrunden, die die Jungs auf ihrer neuen Rennstrecke drehen. Mal ist er vorn, mal Felix, mal Christian, Kevin oder einer der anderen.
Keine gute Tagesform hat heute der Rennwagen von Felix. Zum zweiten Mal schon muss er in die Boxengasse, weil wohl der Anlasser muckt. Dr. Elk Messerschmidt nutzt dies gleich zu einer kleinen Lehrunterweisung. Er ruft die Truppe zusammen, kniet sich vor den glasfaserverkleideten Flitzer nieder und wirft nur so mit Fachbegriffen um sich. Es geht um Pulsweiten und Ampère-Zahlen. Die Jungs hören begierig zu, fragen nach. Sie hatten vorhin in der Werkstatt etwas am Drehzahlmesser gefriemelt und sind nun selbst neugierig, wie sich das auswirkt. Schließlich rollt der Wagen wieder in die Pole Position. Ganz leise schnurrt er den Asphalt entlang, auch als Felix beschleunigt, heult der Motor nicht nervend auf.
»Ist halt Formel E«, meint Elk Messerschmidt. Formel was? »Formel E wie Elektro! Das gibt es nur in Sachsen, das haben wir uns sogar patentieren lassen«, lacht er zufrieden, derweil er mit einem Auge stets das Geschehen auf dem 300-Meter-Rundkurs im Blick behält. Trotz seiner 64 Jahre wirkt der promovierte Technikpädagoge in seiner Latzhose selbst noch wie ein großer Junge. Temperamentvoll, witzig und doch unaufdringlich Autorität verströmend, agiert er zwischen den 10- bis 18-Jährigen. Er ruft dem einen etwas zu, gibt einem anderen ein Zeichen - und schimpft nebenher kräftig auf »diese Ignoranten in Politik und Wirtschaft«. Denn während Sprit teurer und teurer werde und Erdöl immer knapper, sei absolut keine Trendwende zu mehr solargetriebenen E-Fahrzeugen zu bemerken, wie sie durchweg die Rabutzer Remisen füllen. »Sogar Rasenmäher laufen immer häufiger mit Benzin«, schüttelt er den Kopf.
Bei einem Rundgang durch den Rennpark, der eigentlich ein Verkehrsgarten ist, ein ökologischer zudem, versichert er leidenschaftlich: »Wir brauchen keine Tankstelle, keine Steckdose, keine Abwasserleitung! Wir sind völlig au-tark.« Den Strom liefere die Sonne über eine 600-Watt-Photovoltaikanlage. Deren Kollektoren haben sie auf das Dach des schnieken Sanitär- und Technikhäuschens montiert; über Akkus wird die Energie gepuffert.

Sächsischer Exportschlager
Elk Messerschmidt fuhr einst selbst Autorennen, wurde 1960 gar DDR-Meister. Dann studierte er Pädagogik, unterrichtete Polytechnik. Später leitete er in De- litzsch eine staatliche Station Junger Techniker und Naturforscher. Hier konnte er seine Passionen bündeln - die Liebe zum Motorsport, seinen geradezu missionarischen Eifer, junge Leute an Technik heranzuführen, und zunehmend seinen Ökonerv. Doch die Wende machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Zwar überlebte die Station, doch nun ging es nicht mehr um Tiefe, eher um unverbindliche Breite. Etwas im Groll erinnert er sich: »Man wollte vor allem Massenfez, Disko und so ...«
Also ging er in die Wirtschaft. Er arbeitete als IT-Experte für eine große Bank und widmete sich seinen Plänen halt nach Feierabend. 1996 begann so alles in seinem Garten im 64-Seelen-Dörfchen Rabutz, einem Ortsteil von Wiedemar. Mit fünf Burschen, von denen erste heute selbst ihre Technikfirma haben, stellte er einen alten Kleinrennwagen auf Elektroantrieb um. Stolz drehten sie ihre Runden durch den Ort. Fortan »elektrisierte« Messerschmidt nun auch viele andere - weitere Kinder, deren Eltern, heimische Firmen, Bildungsträger, schließlich auch erste Mitdenker in Dresden. Denn für das, was dem Ingenieur vorschwebte, war Rabutz schon jetzt viel zu klein: eine eigene Rennwagenklasse - jene Formel E. Bald entstanden sachsenweit weitere Elektro-Rennställe, denen man anfangs unter die Arme griff, so in Bautzen, Delitzsch, Dresden, Papstdorf, Radebeul und Schneeberg. Schon seit 1998 küren diese in zwei Altersklassen auch ihre Sachsenmeister.
Doch Messerschmidt ist halt kein Mann für leichte Lösungen. Wer zur Formel E antreten will, darf nur im selbstgebauten Gefährt starten, schrieb er in die Wettkampfordnung hinein. Außerdem bedürfe es einer Lizenz, und die gebe es nur nach raffinierten Fahrprüfungen, nach gründlichen Technikchecks der Wagen durch den TÜV sowie einem kleinen Polizeitest in Verkehrskunde. Zum Abschluss der Rennsaison treffen sich die Teams dann stets vier, fünf Tage zu einem »Techniker-Wochenende« mit viel Fachsimpelei.
Immerhin wandelte er so die Arbeitsgemeinschaft 2000 in eine Schülerfirma um, in der die rund 25 Mitglieder nicht nur Solarmobile konstruieren, sondern auch ihren Rennstall selbst führen, Rennen organisieren, ihre Finanzen verwalten, Kontakte zu regionalen Firmen anbahnen und Drähte in die Öffentlichkeit knüpfen. Für jedes dieser Arbeitsgebiete steht ihnen allerdings eine Art Fachbetreuer zur Seite, so vom Verein der Ingenieure, Techniker und Wirtschaftler in Sachsen e. V. (VITW).
Mittlerweile ist es Viertel vor fünf. Wie verabredet rollen die Gefährte auf der Startgeraden ein, formieren sich zu einer lustigen Parade. Vorn, noch vor den Rennwagen, postiert sich das »Security-Car« mit rotierender Rundumleuchte. Es sieht skurril aus, wie eine aufgepeppte Seifenkiste mit Riesenspeichenrädern. Den Schluss bildet ein umgebauter Gepäcktransporter, wie sie einst auf großen Bahnhöfen rollten. Insgesamt elf Fahrzeuge bauten die Rabutzer bereits um, vom Motorroller bis zum Schlepper, für den sie in ihrem Computerkabinett ein komplett neues Armaturenbrett ertüftelten. »Alle laufen mit Gleichstrommotor. Die Batteriekapazität beträgt 1500 VAh, die Maximalspannung 42 Volt. Vorn haben wir Scheibenbremsen, hinten aber keinen starren Achsantrieb, damit die Räder in Kurven unterschiedliche Drehzahlen entwickeln«, klärt Christian Cybik auf. Der 18-Jährige gehört zu den Urgewächsen, nun absolviert er in Rabutz ein berufsvorbereitendes Jahr.
1999 stellte die Gemeinde der Truppe ein Gehöft zur Verfügung, die verwaiste Stellmacherei. Wiedemars Bürgermeisterin Karin Bödemann, die sich auch selbst mal in einen Flitzer wagt, regte dann 2002 den Bau des Rennparks an. Sie half auch beim Auftreiben von EU-Geldern über das »Leader+«-Programm. Die meisten Bauarbeiten besorgte die Truppe dann selbst, zusammen mit Eltern, Freunden, Sympathisanten. Auch Fachleute stellten dort, wo sie unverzichtbar waren, keine Maximalrechnung aus.
Im Frühjahr 2003 wurde die Strecke eingeweiht. Seither ist sie fast täglich genutzt, auch für ungewöhnliche Wege der Verkehrserziehung. Denn Schüler aus Delitzsch und Wiedemar gestalten hier in Projektwochen eigenständig Verkehrskonzepte. Diese müssen sie dann in dem Garten, der auch über ein Ampelsystem verfügt und von einer kleinen E-Bahn durchquert wird, praxisnah testen. Überdies lädt der Rennstall Technikfreaks zu Kindergeburtstagen oder Feriencamps ein. Hierzu werde aber das Tempo auf 20 km/h gedrosselt, erzählen die Jungs. Schließlich hätten die Gäste ja noch keine Lizenz!

Nächstes Projekt: Brennstoffzelle
Bis nach Portugal, Frankreich, Russland oder jüngst Chile drang bereits der Ruf von Rabutz. Denn wiederholt vertraten die Sachsen Deutschland auf den Weltleistungsschauen »Jugend, Wissenschaft und Technik«.
Es dämmert, die Jungs rollen gen Stützpunkt, wollen noch an ihren PC's spielen. Dr. Messerschmidt bleibt noch einen Moment zurück, weist auf einen Mast: »Hier soll ein Windgenerator dran, den wir uns selbst bauen. Genehmigt ist er schon«, verrät er. Noch suchten sie aber Partner, Firmen oder Ingenieure, die sie unterstützen. Auch eine Anlage zur Erzeugung und Speicherung von Wasserstoff sowie den Bau geeigneter Brennstoffzellen spukt ihm längst im Kopf herum.
Vorerst bäckt man noch kleinere Brötchen. »Gut 80 Prozent aller kommunalen Fahrzeuge rollen nur wenige Kilometer am Stück«, fand er heraus. Auch Rasentraktoren und kleine Arbeitsmaschinen hätten ein sehr begrenztes Aktionsfeld. »Warum nur«, fragt Messerschmidt, »stellt man die nicht alle auf Solar- oder Windstrom um?« So prescht denn wieder mal der Rennstall vor: Er rüstet demnächst ein erstes Fahrzeug der örtlichen Feuerwehr um.

Kontakt: Dr. Elk Messerschmidt, Dorfstraße 16, 04509 Rabutz,
Tel. (03 42 07) 722 68,
www.vitw-sachsen.de

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