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  • Politik
  • TV-Kritik: Johnsons »Jahrestage« als Fernsehroman (ARD)

Zu korrekt, um wahr zu sein

  • Lesedauer: 5 Min.

Von Peter Hoff

Ja, sicher, es gibt Filme von minderem künstlerischem Wert im Fernsehprogramm als dieser Vierteiler. Wertet aber diese Feststellung Margarethe von Trottas Verfilmung des Romans »Jahrestage« von Uwe Johnson auf? Doch wohl eher nicht, denn was weniger misslungen ist, ist deshalb noch lange nicht gut.

Es geht bei der Beurteilung von Literaturverfilmungen nicht darum, ob durch den Film die Erwartungen erfüllt werden, die sich ein Leser bei der Lektüre von den Figuren und Umständen, den Handlungsorten und Stimmungen gemacht hatte. Die werden bekanntlich fast immer enttäuscht, jeder liest für sich allein und hat seine ganz eigenen Assoziationen. Bear beitungen von epischen Werken für den Film führen notwendig immer zu Veränderungen. Das Bild, das sich der Leser bei der Lektüre gemacht hat, entspricht nur selten dem Filmbild.

Es geht auch nicht in erster Linie darum, ob durch die Adaption jetzt Menschen mit einem, zugegeben dickleibigen, Roman bekannt gemacht werden, vor dessen Lektüre sie zurückschrecken. Es geht darum, was von den Intentionen des Originalautors, der im Vorspann benannt ist, in der Verfilmung noch übrig geblieben ist und ob seine ideellen Intentionen noch den Filmzuschauer erreichen. Wer nur die Adaption von Uwe Johnsons Roman »Jahrestage« kennt, hat von Johnsons Werk nichts kennengelernt. Bei Margarethe von Trotta und ihren Autoren Christoph Busch und Peter Steinbacher gibt es Johnson light, »Jahrestage« als Fast Food für schnelle Fernsehfresser, zubereitet nach dem Geschichts- und Gesellschaftsbild der Nachwendezeit.

Hätten die Autoren des Drehbuches und die Regisseurin sich entschlossen, ihrem Film einen anderen Titel zu geben, »Gesine sucht ihr Glück« beispielsweise, und hätten sie im Untertitel geschrieben, dieser Film verwende »Motive aus Uwe Johnsons Roman« - nichts wäre gegen das Unternehmen einzuwenden gewesen. Doch wer sich uneingeschränkt auf Johnson beruft, muss sich auch uneingeschränkt an Johnson messen lassen. Und damit ist der Maßstab sehr hoch gelegt.

Der Schriftsteller Johnson, der »Dichter der beiden Deutschländer«, saß Zeit seines Lebens zwischen allen Stühlen. Als er im Sommer 1959 die DDR verließ und seinen Roman »Mutmaßungen über Jakob« in der Bundesrepublik veröffentlichte, wurde er mit dem Theodor-Fontane-Preis ausgezeichnet, ein Jahr später wegen angeblicher Rechtfertigung des Mauerbaus in der BRD politisch heftig attackiert. Auf Grund seiner Republikflucht wurde er in der DDR nicht publiziert, das Stipendium der Villa Massimo in Rom erhielt er 1962 jedoch gegen den Protest des bundesdeutschen Außenministers zugesprochen. Ehrungen und Diffamierungen von Seiten der Herrschenden hielten in seiner Biographie einander die Waage. Mehrmals nahm er Urlaub von Deutschland und zog 1974 ganz ins englische Sheerness-on- Sea, wo er 1984 starb, ohne Heimat auch dort noch, einsam, sein Todesdatum kann nur gemutmaßt werden.

Uwe Johnson war zeitlebens political incorrect. Sein wichtigstes literarisches Werk »Jahrestage« und sein poetisches Alter ego Gesine Cresspahl political cor rect zu interpretieren, heißt den Dichter in eine Position zu zwingen, die zu beziehen er sich stets geweigert hat. Nicht weniger als dies versuchen jedoch die Autoren der Filmfassung.

»Jahrestage« - das sind die 365 Tage zwischen dem 21. August 1967 und dem 20. August 1968, von Johnson wie ein Tagebuch aufgelistet. Es ist eine bewegte Zeit, der Kampf um die Bürgerrechte der Schwarzen und gegen den Völkermord der USA in Vietnam bestimmen den Alltag der Menschen. Ein christlicher Humanist, Martin Luther King, wird in aller Öffentlichkeit ermordet. Die Welt scheint aus den Fugen. - Jeder Tag dieses einen Jahres weckt bei Gesine Cresspahl Erinnerungen, die sie ihrer Tochter Marie mitteilt, die ebenso wie sie auf der Suche nach einer Heimat ist und ebenso wie sie voller Zweifel. Die Episoden der Erinnerung sind nur zu verstehen aus den aktuellen Zusammenhängen, die diese Erinnerungen wecken. Margarethe von Trotta jedoch verschiebt - political correct im Sinne unserer Zeit - die Gewichte. Der Gesinnungsterror an der Schule in der DDR der fünfziger Jahre wird von jenem an der christlichen Schule in den USA 1967/68 gelöst, wird in Klischees breit ausgespielt, die »Freiheit des Westens« wird dagegen unwidersprochen verklärt, wo sie bei Johnson stets in Frage gestellt bleibt. Denn warum hat Gesine nicht nur die DDR, sondern auch die Bundesrepublik Deutschland verlassen, und warum ver mag sie auch in den USA nicht heimisch zu werden, ebensowenig wie der Autor Johnson, der in jener Zeit, in der er seinen Roman angesiedelt hat, wie Gesine in New York lebte? Ist der Kredit, den Big Boss de Rosny den Prager Sozialismusreformern gewähren will, nicht auch ein Versuch, sich der CSSR politisch zu versichern, wie die Panzer, die am schlimmen Ende des Buches von der Sowjetunion an die Moldau geschickt werden?

Der Film bleibt die-Antworten auf diese Fragen, zu denen Johnson in seinem Buch rückhaltlos Stellung bezieht, durchgängig schuldig. Aus der poetischen Betrachtung einer deutschen Biografie zwischen 1933 und 1968, des Beginns des Naziregimes bis zum Aufbruch der dritten Generation nach der Hitlerherrschaft, wird eine sentimentale Familiengeschichte aus Generationskonflikten Frauensachen. Aus der dialektischen Sicht auf Figuren und Geschehnisse bei Johnson in den siebziger Jahren wird am Beginn des neuen Jahrhunderts die stumpfe, aber modische political correctness bei der Konfrontation der Guten mit den Bösen: mit Nazis, Kommunisten, Russen, Stasis.

Sicher, Margarethe von Trotta hat einen Film gemacht, der in seiner künstlerischhandwerklichen Qualität aus dem Rahmen des durchschnittlichen aktuellen Angebots an Fernsehspielen und -filmen herausfällt. Sie hat ihre Schauspieler zu überzeugenden Leistungen geführt, die Szenen vom Alltag im fiktiven ?Jerichow sind stimmungsvoll und poetisch, sie prägen sich ein, besonders wo sie auf aufwändigen Dialog verzichten. Suzanne von Borsody und Matthias Habich schaffen Rollengestalten von unverwechselbarer Eigenart, ebenso wie Jutta Wachowiak oder Karin Gregorek in ihren Episoden.

Der Teufel bei dieser Filmadaption eines großen Romans steckt in den Korrekturen, die die Autoren des Films an der Gesinnung des ewigen Dissidenten Uwe Johnson vornehmen zu müssen glaubten. Der sperrt sich jedoch dagegen, »korrekt« zu sein, nicht nur in der DDR und über seinen Tod hinaus. Und wer nur den Film »Jahrestage« kennt, hat den Dichter Uwe Johnson nie kennengelernt.

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