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  • Politik
  • Erinnerung an Marguerite Duras

Schreiben, um nicht zu sterben

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 4 Min.

Alles, was ihr in die Finger kam, ver wandte sie für ihr Schreiben. Sich selbst und nächste Freunde gab sie einem schonungslosen Voyeurismus preis, und doch bleibt vieles im Dunkeln. Menschen und Dinge umgab sie mit einer Aura des Geheimnisvollen. In ihren Romanen besteht die Geschichte oft aus dem, «was ausgespart wird». Ihr großes Thema: die Erlebnisse der Kindheit in Indochina (das «Zentrum ihres Schmerzes», Alain Vircondelet). In einer einfachen Sprache und einem knappen, zuweilen kargen Stil umkreiste sie elementare menschliche Leidenschaften, Liebe, Begehren, Schmerz, Erinnern und Vergessen, sie mystifizierte, schuf- in Romanen wie in Filmen - imaginäre, dunkle Räume, inszenierte sich als Seherin und irrte selbst ein Leben lang durch den Dschungel ihrer Fiktionen.

Marguerite Donnadieu, 1914 in Gia Dinh, einem kleinen Vorort von Saigon, als Kind französischer Eltern geboren, und vor fünf Jahren am 3. März 1996 gestor ben, verbrachte ihre Kindheit an fernen, uns fremden Orten des «weißen Indochina», in Saigon (der «von verbotenen Lastern brodelnden Chinesenstadt», Laure Adler), in Phnom Pen, Sadec und Vinh Long, nahe ungesunder Wälder, im Schwemmland des Mekong. «Meine Heimat ist eine Heimat aus Wasser.» Ihre Kindheit war voll von Mandelblütengeruch und dem Pestgestank der Cholera. In «Heiße Küste» erzählte sie erstmals von den Traumata, durch die eine Bettlerin geistert. Zunehmend wurden *die Erinnerungen und der ferne Osten ihr Thema, in «India Song», «Der Vize-Konsul», «Hiroshima mon amour», «Eden cinema» oder in «Der Liebhaber».

Mit achtzehn kam sie (endgültig) nach Frankreich. Seit dem Erscheinen ihres ersten Romans «Les Impudents» 1943 nannte sie sich Marguerite Duras. Seitdem schrieb sie, unentwegt, schrieb gegen «die inneren Schatten», erfand ihr Leben neu, machte Romane zu Drehbüchern und Theaterstücken, Drehbücher zu Romanen. Sie schrieb, «um nicht zu sterben», verfasste Hörspiele und Zeitungsartikel, gab Interviews und wurde mit «Der Liebhaber» (1984) zur berühmtesten Schriftstellerin der Welt. Ihre Arbeiten riefen Begeisterung hervor oder wurden als Kitsch und Skandalgeschichten geschmäht. Mit «der Duras» beschäftigen sich Literaturwissenschaftler, Frauenrechtlerinnen und Biografen. Schon Alain Vircondelet hat von der Unmöglichkeit gesprochen, ihrem Leben mit herkömmlichen Techniken der Biografie zu folgen. «Ich hätte gern, dass man so über mich schreibt, wie ich schreibe. Das wäre ein Buch, in dem es alles zugleich gäbe», hat Marguerite Duras 1990 gesagt.

Was rechtfertigt also diese neue umfangreiche Biografie? Warum hat Laure Adler, die langjährige Kulturberaterin Francois Mitterrands, sich auf eine so immense Arbeit eingelassen? Im Anfang, so schreibt sie, war da ein Bändchen in ir gendeiner Ferienwohnung. Das machte sie neugierig, und die Neugier wurde zur Herausforderung, die Duras hinter der «Duras-Legende» zu finden. Am Ende muss auch sie gestehen: «Dem Biographen bleiben die Türen verschlossen.»

Laure Adler hat sich auf Spurensuche gemacht, zuerst in Gesprächen mit Marguerite Duras selbst. «Mit ihrer rauhen und unnachahmlichen Stimme, in ihrer abgehackten Sprache erzählte sie mir von Indochina, von all dem Verrat, den sie während ihres ganzen Lebens erfahren, und vor allem von der Angst, die sie niemals verlassen hat.» Die Schriftstellerin zeigte ihr Fotografien. Bilder sind wie die Texte Schlüssel und Verschlüsselung zugleich: die Gesichter der Mutter, des «kleinen Bruders», ihre eigenen, das verführerische Kindergesicht mit dem weichen Filzhut (wie sie es im «Liebhaber beschreibt) oder das von den Trinkexzessen gezeichnete der alternden Frau.

Laure Adler hat die Orte der Kindheit gesucht; hat in den Archiven der Kolonialbibliotheken gestöbert, hat mit allen Menschen, die sie erreichen konnte, gesprochen, vor allem mit dem Sohn Jean Mascolo, mit dem Vater ihres Kindes Dionys Mascolo, mit der zweiten Frau ihres Mannes Robert Antelme und dem letzten Gefährten Yann Andrea. Sie hat unveröffentlichtes Archiv- und Briefmaterial ausgewertet - bis hin zu Kochrezepten. Sie hat versucht, bis in die letzten Winkel vorzudringen.

Mit sehr viel Genauigkeit beschreibt sie die Familiengeschichte, die Pariser Jahre, die Arbeit der Duras in der Resistance, sucht nach der historischen Wahrheit des Buches »Der Schmerz«, dem politischsten und wohl auch substanziellsten Buch. Sie beschreibt die Auseinandersetzungen in der FKP das Engagement für Algerien, für die 1968er, ihren »Feminismus« und ihre Männerbeziehungen (»Ich liebe dich; ich töte dich«). Sie berichtet von der Zusammenarbeit mit Regisseuren und Schauspielern und über die Duras als »exzellente Managerin ihrer Person«. Auch diese Biografie ergibt ein unentwirrbares Geflecht von Leben, Werk und »politischen Strudeln«, aber mehr als Alain Vir condelet bewahrt Laure Adler doch zugunsten der Genauigkeit eine gewisse Distanz.

Hat die Autorin nun das »Geheimnis« des Liebhabers gelüftet? Den gab es wirk lieh, wie auch den Vize-Konsul, so schreibt sie. Aber mehr auch nicht. »Die Duras verabscheute es, wenn man in ihrem Leben herumstöberte. Es war kein Zufall, dass sie einige Episoden ihres Lebens so geschickt verschleiert hatte - Zutritt ver boten also.«

Laure Adler- Marguerite Duras. Eine Biographie. Aus dem Französischen von Petra Willim. Suhrkamp Verlag. 716 Seiten, 26 Abbildungen, gebunden. 78 DM.

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