Stromwende beginnt in den Kommunen

Die Energie-Zukunft liegt nicht im Ökostromtarif, sondern im öko-sozialen Stadtwerk

  • Uwe Witt
  • Lesedauer: 7 Min.
Das Kernstück der deutschen Energiewende ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Viele Politiker wollen es wegen der hohen Strompreise stark beschneiden. Dabei greift das EEG viel zu kurz, da es lediglich das Aufstellen von Windrädern und Solaranlagen sowie den Verkauf des produzierten Stroms fördert. Eine echte Energiewende hätte weit umfangreichere Aufgaben, die nur die Kommunen und ihre Stadtwerke bewältigen können.

Greenpeace Energy, die Elektrizitätswerke Schönau oder Lichtblick reden nicht gern darüber: Der Strom der bekannten Ökoanbieter kommt fast vollständig aus dem Ausland, vor allem aus Wasserkraftwerken in Norwegen und Österreich. Dass er dort produziert wird und nicht vom Windrad oder Solardach um die Ecke kommt, ist nicht ihre Schuld. Der gesetzliche Rahmen und der Wettbewerb geben kaum etwas anderes her.

Auch Stadtwerke würden für ihre Kunden gern Ökostrompakete schnüren, mit »echtem«, zertifiziertem Grünstrom aus der Region statt von weit her. Oder wenigstens aus Deutschland, möglichst dezentral und verbrauchsnah erzeugt. Vielleicht sogar zu einem hohen Anteil selbst gemacht, wie es unter anderem Ziel des erfolgreichen Bürgerentscheids in Hamburg und des gescheiterten in Berlin war. Doch auch Kommunalbetriebe können nicht zaubern.

Der Haken steckt im deutschen Fördersystem, dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Im Grundmodell sind die Übertragungsnetzbetreiber verpflichtet, den Ökostrom von den Anlagenbetreibern aufzukaufen. Und zwar nach festen Vergütungssätzen, die wegen der höheren Erzeugungskosten deutlich über den Börsenpreisen für Strom liegen. So wird Solarstrom von Dachanlagen beispielsweise je nach Größe mit 9,7 bis 14,1 Cent je Kilowattstunde (kWh) vergütet, Windstrom an Land mit einer Anfangsvergütung von 8,9 Cent.

Der teure EEG-Strom wird dann von den Netzbetreibern an der Strombörse zu seinem Marktwert verkauft. Die Kilowattstunde kostet hier zurzeit rund vier Cent. Denn der Börsenpreis für Strom wird hauptsächlich durch die aktuell im Vergleich niedrigen Kosten von Steinkohlekraftwerken für ihren Brennstoff und für die fälligen CO2-Zertifikate bestimmt. Die Differenz zwischen Einkauf und Verkauf holen sich die Netzbetreiber aus der bekannten EEG-Umlage zurück, momentan 5,3 Cent je kWh. Letztere zahlen alle Verbraucher, sofern sie nicht von umstrittenen Industrieprivilegien profitieren.

Gehandelt wird Strom unbekannter Herkunft

In diesem System versinkt der Grünstrom nicht nur im großen Stromsee, aus dem die übergroße Mehrzahl aller Verbraucher beliefert wird. Er verwandelt sich rechtlich auch in sogenannten Graustrom - also elektrische Energie unbekannter Herkunft. Man kann ihn nun nicht mehr als Grünstrom im Paket kaufen, denn er verliert für die Weitervermarktung das begehrte Ökosiegel. Die Bundesregierung begründet dies in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage so: Das Siegel solle allein »denjenigen Stromverbrauchern zugeordnet« werden, »die über die EEG-Umlage die finanzielle Förderung bezahlen«. Eine Auffassung, die schlüssig ist.

Im Ergebnis können allerdings weder Stadtwerke noch Ökostromhändler an der Börse reinen EEG-geförderten Strom ersteigern, um ihn zuzüglich aller Umlagen, Steuern und Vertriebskosten als Ökostromtarif ihren Kunden anzubieten. Selbst wenn sie den Grünstrom in eigenen Anlagen produzieren, muss er aus Gründen der Wirtschaftlichkeit in den anonymen Stromsee fließen statt direkt an die eigene Kundschaft. Denn nur so können sie sich die Mehrkosten der Erzeugung über die EEG-Vergütung zurückholen. Würden sie darauf verzichten, hätten sie zwar eigenen Ökostrom im Angebot. Sie müssten einen Ökostromtarif jedoch je nach Bezugsquelle zwischen vier und zehn Cent teurer machen als den üblichen Graustrom der Grundversorgung, der für private Verbraucher knapp 29 Cent je kWh kostet.

Nicht »öko« oder nicht konkurrenzfähig

Ebenfalls keinen Ausweg bietet die alternativ mögliche Direktvermarktung von Ökostrom. Hier können beispielsweise Windmüller oder Biogasbauern die Elektrizität an den Netzbetreibern vorbei verkaufen, direkt an ihre Kunden. Dadurch könnte bilanziell eigentlich Ökostrom aus der Region an Stadtwerke oder Stromhändler fließen. Doch das Geschäft klappt nur zu Preisen, die konkurrenzfähig sind. Damit es zustande kommt, erhalten die Betreiber im Marktprämienmodell die Mehrkosten der Erzeugung aus dem EEG-Konto erstattet, zuzüglich einer Managementprämie. Mit den Prämien verschwindet aber wiederum die Ökostromeigenschaft. Inzwischen werden auf diesem Weg über Stromhändler 80 Prozent des deutschen Windstroms verkauft - lukrativ, aber eben als Grau- statt als Ökostrom.

Ein weiteres Direktvermarktungsmodell, das »Grünstromprivileg«, führt ebenso in die Sackgasse, obwohl hier der grüne Herkunftsnachweis erhalten bleibt. Es rechnet sich nicht mehr, unter anderem, weil die den Ökostromanbietern gewährte Ermäßigung bei der EEG-Umlage 2011 auf zwei Cent je kWh begrenzt wurde.

Kurzum, Erzeuger, die den Herkunftsnachweis »Ökostrom« erhalten wollen, müssen in der Direktvermarktung auf jede Förderung verzichten. Doch ungeförderter heimischer Ökostrom ist nur konkurrenzfähig, wenn er aus größeren Wasserkraftwerken stammt, die preislich mit Kohle- oder Atomstrom mithalten können. Weil es die in Deutschland kaum gibt, bleibt am Ende als wirtschaftliches Angebot für Ökostrom nur preiswerter Wasserkraftstrom aus Skandinavien oder Österreich.

Gelegentlich mixen Stromhändler am EEG vorbei teuren heimischen Ökostrom mit preiswertem Auslands-Grünstrom. So haben sie neben dem Ökostrom-Label ein zusätzliches »regionales« Verkaufsargument zu einem akzeptablen Preis. So wirbt etwa das Hamburger Unternehmen Grünstromwerk mit einem Anteil von 25 Prozent Solarenergie in seinem Ökostrom-Cocktail, und zwar regional produziert, in Direktvermarktung ohne Marktprämie. Dieser wird mit billigem Wasserkraftstrom aufgefüllt - auch hier also wieder überwiegend Importe.

Ein anderer gangbarer Weg, den inländischen Ökostromanteil zu erhöhen, ist der Eigenverbrauch von Ökostrom. Hierbei müssen Erzeuger und Verbraucher identisch sein - damit fällt das Modell für Stadtwerke oder Ökostromhändler aus. Ohnehin ist es nur für wenige nutzbar und überdies ziemlich unsolidarisch. Die Erzeuger erhalten zwar keine Einspeisevergütung, dafür entfallen die EEG-Umlage, Netzentgelte und -umlage, Konzessionsabgabe, Kraft-Wärme-Kopplungs- und Offshore-Umlage sowie die Stromsteuer. So wird Elektrizität vom eigenen Dach oder eigenen Windrad um die Ecke unschlagbar billig. Eigenverbraucher sparen heute bis zu 17 Cent je Kilowattstunde gegenüber einem Strombezug aus dem öffentlichen Netz. Doch alle anderen Stromkunden zahlen dafür zusätzlich. Kein Wunder, dass auch immer mehr Großunternehmen Erzeugungsanlagen pachten oder bauen, statt Strom zu kaufen, um (selbst mit Kohlekraftwerken) in den lukrativen Eigenverbrauch zu rutschen. Alle ernst zu nehmenden Vorschläge zur Reform von EEG und Netzentgeltsystem wollen darum nicht nur die ungerechten Ausnahmen der energieintensiven Industrie bei der EEG-Umlage begrenzen, sondern auch das Bündel der Eigenstromprivilegien.

Die Sache mit dem Ökostrom von nebenan ist also verzwickt. Ist es nun Aufgabe der Politik, neue Modelle zu erfinden, die es Erzeugern ermöglichen, zertifizierten Ökostrom auch regional zu vermarkten? Vielleicht stellt sich stattdessen die grundsätzliche Frage, ob die Zeit reiner Ökostromangebote nicht abgelaufen ist. Heimischer regenerativer Strom ist betriebswirtschaftlich bis auf Weiteres teuer. Wer ihn in reiner Form zum selben Preis haben will wie dreckigen Kohlestrom, möchte sich entweder mit Federn schmücken, die andere bezahlen, oder fördert Wasserkraftunternehmen im Ausland statt die Energiewende zu Hause.

Es geht in der jetzigen Phase um den Wandel zu Hause

Das Ökostrom-Zertifikat als Qualitätsmaßstab sollten Kunden und Umweltverbände darum besser vergessen. Ob und wie nachhaltig ein Versorger der Energiewende verpflichtet ist, bemisst sich keinesfalls an diesem unverdient aufgeladenen Label. In der Regel weist es lediglich auf langweilige Grünstromimporte hin. Ein grenzüberschreitender Stromaustausch gehört zwar auch zu einem regenerativen Stromsystem. Deutlich herausfordernder ist in dieser Phase der Energiewende aber der Wandel zu Hause.

Für die Stadtwerke stellt sich also die Frage nach neuen Parametern für ihr Energiewende-Engagement: Etwa, wie viel Strom aus regenerativen Energien produziert das kommunale Unternehmen selbst oder mit Beteiligungen? Und zwar egal, ob ins überregionale Netz eingespeist oder vor Ort verbraucht. Was tut es dafür, das schwankende Ökostromangebot ins Energiesystem zu integrieren? Dies kann die Stromnachfrage beeinflussen oder kurzzeitige Erzeugungsspitzen in Form von Wärme speichern. In einigen Jahren sind auch saisonale Stromspeicher in kommunaler Regie vorstellbar. Und was tut der Gemeindebetrieb für die regenerative Wärmeversorgung? Wie sozial steuert er die energetische Gebäudesanierung? Nutzt das Stadtwerk seine Kundennähe, um Energiesparen zu fördern? Treibt es den Einsatz der klimafreundlichen Kraft-Wärme-Kopplung sowie Nahwärmenetze voran? Und existieren Beratungsangebote und Tarifstrukturen, die einkommensschwachen Familien Energiearmut ersparen?

Kommunen sowie ihre Stadt- und Gemeindewerke könnten sich künftig zu zentralen Akteuren der Energiewende aufschwingen. Ihre Kundennähe prädestiniert sie genauso dafür, wie vielerorts ihre Hoheit über wichtige Erzeugungsanlagen und über regionale Strom- und Wärmenetze. Damit können sie den Weg der Region in eine regenerative Vollversorgung umfassend steuern: als Produzenten, Händler, Netzbetreiber, Versorger, Regelknoten sowie als Partner unzähliger unabhängiger Erzeuger der Gemeinde und des Umlands. Als Nebeneffekt sorgen sie für kommunale Einnahmen zugunsten von Bibliotheken, Nahverkehr oder Sozialtarifen.

Das ist der Grund, warum Netze und wichtige Teile der energetischen Infrastruktur in die öffentliche Hand gehören, warum Energiewende-Stadtwerke eine Zukunft haben.

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