Absturz ins Himbeerreich

Das Freie Schauspiel in Frankfurt am Main befasst sich mit dem Schicksal geschasster Ex-Banker - ohne Mitleid

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Wie verarbeiten aus den Chefetagen verstoßene Top-Banker ihre Rollen in den Schaltzentralen des »Kasinokapitalismus«? In Frankfurt am Main nimmt sich das Freie Schauspiel des Themas an.

Zeitkritik hat in der Frankfurter Basaltstraße 23 Tradition. Hier hielt hier Rosa Luxemburg im Jahr 1913 einen flammenden Appell zum Massenstreik gegen den drohenden Krieg und handelte sich damit eine Gefängnisstrafe wegen »Aufwiegelung zum Ungehorsam gegen die Obrigkeit« ein. Ein Drama mit O-Tönen aus dem Leben der Revolutionärin lockte hier vor zwei Jahren viele Besucher an. Derzeit steht im Freien Schauspiel in Frankfurt-Bockenheim Andreas Veiels neues Theaterstück »Das Himbeerreich« auf dem Programm, ein Stück mit großem Realitätsbezug.

Veiel, bekannt durch den Film »Black Box BRD«, hat in der Mainmetropole gewissenhaft recherchiert. Er hat Ex-Chefbanker interviewt, die nach dem Verlust ihrer Posten tief und weich zugleich gefallen sind. Viele der auf 1500 Manuskriptseiten festgehaltenen O-Töne sind 1:1 in das von Regisseur Reinhard Hinzpeter inszenierte Stück eingeflossen.

Die Schauspieler, zunächst korrekt mit Anzug und Kostüm gekleidet, lassen die überzeugend dargestellten Protagonisten den Spekulations- und Rendite-Rausch im »Kasino« Revue passieren und verarbeiten auf ihre Weise den persönlichen Absturz. Ein bewusst schlicht gehaltenes Bühnenbild fördert die Konzentration der Zuschauer auf das gesprochene Wort und die Inhalte des Stückes.

Dabei wird das spekulative Treiben mit Verweisen auf »die Natur« und »Selbstheilungskräfte« gerechtfertigt. Schließlich entspreche die Renditejagd dem Wunsch eines Zahnarztes nach einem »anspruchsvollen Renditemodell« ebenso wie der Zielsetzung eines Stadtkämmerers, der die Wasserversorgung privatisiert. »Beim ersten Unwetter steht alles unter Wasser«, heißt es warnend. Schlechte Aussichten auch für den Euro: »Die drucken schon die neue Währung, morgen gibt’s die an den Bankomaten.«

Wie konnte es so weit kommen? Um die Jahrtausendwende, so erfährt der Zuschauer, wurden die Bankchefs »nach Berlin ins Ministerium zitiert«. Ihnen wurden »die Leviten gelesen, dass der Finanzplatz Deutschland immer mehr gegenüber London und New York zurückfällt und dass wir mehr ins Risiko gehen müssen«.

Die Politik habe »die Brandbeschleuniger legalisiert«, so lautet eine markante Aussage: »Hohes Risiko, hoher Ertrag, den Song haben wir gemeinsam gesungen!« Später stehen die gedemütigten Bänker zwar noch mit Jackett und Krawatte, aber ohne lange Hosen auf der Bühne - ein sichtbares Zeichen ihrer Vertreibung aus den Chefetagen und des Versuchs, Form zu wahren. Ihr erzwungenes Nichtstun versüßen sie mit Himbeeren. Kurzzeitig weht ein Hauch von Revolution und Blockupy-Blockaden durch die City der Bankenmetrole, als die Geschäftsleitung zur Sicherheit ihren Angestellten das Tragen von Freizeitkleidung empfiehlt.

Die fünf geschassten Banker verarbeiten ihr Handeln im »Kasino« durchaus analytisch, präzise und gründlich. Zu fortschrittlichen Schlussfolgerungen können sie sich indes nicht durchringen. Mitgefangen, mitgehangen. Zwar klagt einer lautstark an: »Ihre ehrenwerte Gesellschaft raubt kontinentübergreifend ganze Bevölkerungen aus.« Doch die bestimmt auftretende Personalchefin verpasst ihm eine kalte Dusche: »Auf den Barrikaden, die Sie da errichten, werden Sie als erster verbrannt. Vergessen Sie nicht, wie viele Jahre Sie in der Verantwortung standen und nichts gesagt haben. Warum sprechen Sie erst jetzt?«

Hinzpeter und sein Team wollen es nicht beim Theaterkonsum belassen, sondern die Botschaft des Stücks zur Diskussion stellen. Dabei helfen viele in einem Faltblatt zusammengestellte Zahlen und Fakten über die Deregulierung der Finanzmärkte, über die Wirtschafts- und Finanzkrise. Anfang Dezember wollen Gewerkschafter mit ver.di-Chefökonom Dierk Hierschel über das Drama diskutieren. Für Januar ist eine Veranstaltung mit Parlamentariern, für März eine Debatte mit Frankfurter Bankern geplant.

Freies Schauspiel Ensemble Frankfurt im Titania; Basaltstr. 23, 60487 Frankfurt am Main; Tel.: 069 - 71 91 30 20; Informationen zum Programm im Internet unter: www.freiesschauspiel.de

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