Nicht weniger als die Hälfte

Gisela Notz zu den Verabredungen von Union und SPD über eine Frauenquote und patriarchale Strukturen in der Bundesrepublik

  • Lesedauer: 3 Min.

Belgien, die Niederlande, Norwegen, Frankreich haben sie, Spanien führt sie 2015 für Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigtenn ein, Rückenwind für alle EU-Mitgliedsstaaten kommt von der Europäischen Kommission. Es geht um die gesetzliche Frauenquote.

In Deutschland tobt die Auseinandersetzung um Quotierung für Frauen in den mit Macht und Einfluss versehenen Positionen seit Jahrzehnten. Obwohl die Ökonomien von Ländern wie Norwegen, in denen schon seit Jahren Quotenregelungen gelten, erkennbar nicht zusammengebrochen sind, müssen die VerfechterInnen von Quote und Gleichstellung in der Bundesrepublik immer noch beweisen, dass sich eine gleichberechtigte Beteiligung von Frauen auf dem Erwerbsarbeitsmarkt volks- und betriebswirtschaftlich sogar rechnen würde.

Erst im April hat der Bundestag mit der Mehrheit der Regierungskoalition die Einführung gesetzlicher Frauenquoten für Aufsichtsräte – damals sollten es 40 Prozent sein – abgelehnt. Dies obwohl seit 1949 die Gleichberechtigung der Geschlechter im Grundgesetz vorgeschrieben ist und seit 1994 der Staat endlich dafür zu sorgen hat, dass sie umgesetzt wird. »Es ist schlimm, dass sie heute Frauen zwingen, gegen Frauenrechte zu stimmen«, sagte Gregor Gysi (LINKE).

Was soll der Aufschrei darüber, dass eine Quote von 30 Prozent für die Aufsichtsräte von börsenorientierten Unternehmen mit mehr als 2000 Mitarbeitern – und nur für die – bis 2016 nun im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD festgeschrieben werden soll; zumal die Erfahrung zeigt, dass Koalitionsverträge nicht unbedingt dazu da sind, eingehalten zu werden. Schließlich ist es nicht viel mehr als der »Flexi-Quoten-Quatsch« als »billiger Kompromiss«, vor dem Frank-Walter Steinmeier (SPD) »seine« Frauen gewarnt hatte. Volker Kauder (CDU) sagte damals, dass man mehr Frauen in Führungspositionen wolle. »Aber wir lassen der Wirtschaft bis 2020 Zeit, selbst dafür zu sorgen.« Nun kann er sich die 30-Prozent-Quote bzw. die 70-prozentige Männerquote vorstellen. Wird sie nicht erreicht, bleiben die Stühle für die Aufsichtsratsposten unbesetzt. So what? Man kann die patriarchalen Hierarchien auch auf weniger Personen verkleinern. Die für 2015 für bestehende Unternehmen vorgesehenen selbst zu bestimmenden »Flexi-Quoten« werden genauso wirkungslos sein wie die »freiwillige Selbstverpflichtung«, die seit 2001 besteht. Eine Revolution in Sachen Frauenrechten hat sie nicht vor, die Große Koalition.

Auch wenn der Beweis, dass durch mehr Frauen in Führungspositionen eine Veränderung der Arbeitskultur einhergeht, menschenwürdiger produziert und humaner geleitet wird, bisher ebenso wenig erbracht ist wie der Gegenbeweis, weil die empirische Basis fehlt, ist das kein Argument gegen die Quote. Frauen stellen mit 51 Prozent die Mehrheit der Bevölkerung in der Bundesrepublik. Sie haben vor über 100 Jahren erreicht, dass sie studieren können, und seit fast 95 Jahren dürfen sie sich an Wahlen beteiligen. Sie sind zu etwa 70 Prozent erwerbstätig und immer mehr haben das Bedürfnis, ihre Existenz aus eigener Arbeit zu sichern. Frauen sind heute selbstbewusst, gut ausgebildet und hoch qualifiziert. Dennoch sind sie kaum in Führungspositionen, dafür aber zu einem hohen Anteil auf den unteren betrieblichen Ebenen vertreten. Zwar ist die Frauenbewegung einmal angetreten, um die patriarchalen Hierarchien in Frage zu stellen, aber so lange sie sind, wie sie sind, ist es aus frauenpolitischer Sicht schwer, einen Grund gegen die verbindliche 50-Prozent-Quote auf allen Ebenen zu finden.

Mit der »Hälfte der Macht für Frauen« sind die patriarchalen Strukturen freilich nicht verschwunden. Zunehmende Prekarisierung und Armut, Zuweisung von Sorgearbeiten an Frauen, Ehegattensplitting, Lohnungleichheit, Refamilialisierung, Privatisierung und Verlagerung von vor allem Frauenarbeit auf »ehrenamtliche« Gratisarbeit, fehlende Infrastruktur für Kinder und Alte und Diskriminierung von anderen Lebensformen werden nicht automatisch der Vergangenheit angehören. Aber das hat ja auch niemand behauptet.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal