Internetprovider als Hilfssheriffs

EuGH-Gutachten für Sperrung illegaler Webseiten durch Internetanbieter / Ein Drittel der Europäer hält illegale Downloads für gerechtfertigt

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Dürfen Internetanbieter ihren Kunden den Zugang zu bestimmten Seiten verwehren? Hierzu nahm der EuGH am Dienstag Stellung.

Das verbotene Filmportal kino.to war bei Nutzern sehr beliebt. Auch aktuelle Filme oder Serien ließen sich dort kostenlos ansehen. Naheliegend, dass das die Rechteinhaber auf den Plan rief - die Seite gibt es seit 2011 nicht mehr, die Betreiber sind verurteilt. Freilich existieren aber längst neue Seiten mit ähnlichem Modell.

In Zukunft könnte es allerdings sein, dass Internetnutzer anstelle eines Blockbusters ein rotes Stoppzeichen zu Gesicht bekommen. Das am Dienstag beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorgetragene Gutachten des zuständigen Generalanwalts plädiert nämlich dafür, dass Internetanbieter zur Sperrung illegaler Webseiten verpflichtet werden können.

Anlass hierfür war die Klage des Filmstudios Constantin Film sowie der Wega Filmproduktionsgesellschaft. Diese hatten bei österreichischen Gerichten beantragt, dass der österreichische Internetanbieter UPC Telekabel die Webseite kino.to für ihre Kunden zu sperren habe. Der Provider UPC hielt dagegen: Sie stünden mit den Betreibern von kino.to in keinerlei Beziehung. Vielmehr vermittelten sie lediglich ihren Kunden Zugang zum Internet. Der Urheberrechtseingriff liege in der Bereitstellung der Filme durch die Betreiber von kino.to. Die aber unterstütze UPC Telekabel nicht.

In diesem Fall steht Recht gegen Recht. Auf der einen Seite das der Urheberrechtsinhaber und jenes der unternehmerischen Freiheit. Auf der anderen das Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit der Bürger. Dem EuGH kommt die Aufgabe zu, zwischen diesen Rechten ein Gleichgewicht herzustellen. In dem Gutachten wird versucht, dem Rechnung zu tragen. So sollen sich die Filmfirmen zunächst an die Betreiber der rechtswidrigen Webseiten wenden. Nur wenn diese nicht zu ermitteln sind, sollen nationale Gerichte die Internetprovider auffordern können, Sperren für bestimmte Seiten zu verhängen. »Der Rechteinhaber darf nicht gegenüber einer massiv seine Rechte verletzenden Website schutzlos gestellt werden«, heißt es. Vergleichbares war in Deutschland vor Kurzem für Internetseiten mit Kinderpornografie diskutiert - und verworfen worden.

Die EuGH-Stellungnahme ordnet sich ein in die Copyright-Diskussion von geistigen Gütern. Das herkömmliche Argument lautet dabei: Ohne ein gesichertes Urheberrecht würden keine neuen Bücher, Filme oder Softwareprogramme mehr entstehen. Weil durch das illegale Kopieren den geistigen Urhebern Einkünfte entgingen und somit keine Motivation mehr etwa zum Drehen von Filmen bestünde. Vorgetragen wird dieses Argument indes zumeist nicht von den geistigen Urhebern, sondern von den Rechteverwertern, also großen Firmen.

Eine EU-Studie aber hat in Bezug auf Musik gezeigt, dass die illegale Verfügbarkeit von Songs nicht mit einem Rückgang von Umsätzen für die großen Plattenfirmen einhergehen muss. Im Gegenteil: Durch die Klicks auf Piraterie-Seiten würden auch die Klicks auf legale Musikshops um rund 0,2 Prozent steigen. Einer am Montag in Brüssel vorgestellten Studie des Harmonisierungsamtes für den Binnenmarkt zufolge hält im Übrigen insgesamt rund ein Drittel der Europäer illegale Downloads für gerechtfertigt, wenn es keine rechtmäßige Alternative gibt. Bei den 15 bis 24-Jährigen sind es sogar 57 Prozent.

Ob der EuGH den Empfehlungen des Gutachtens folgt, wird sich erst in einigen Monaten zeigen. In der Regel halten sich die Richter aber an die gemachten Vorschläge. So könnte eintreten, was der Verband der Internetwirtschaft eco bereits vor knapp zehn Jahren befürchtete, als die Urheberrechtsrichtlinie der EU in der Diskussion stand: Dass die Provider bald nicht mehr nur als Hilfssheriffs für den Staat, sondern auch für die Contentindustrie herhalten müssen.

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