»Ich bin ich, einmal und für alle Zeiten«

Der Künstlerin und Künstler-Gattin Caitlin Thomas zum 100. Geburtstag

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 8 Min.

Mehr als dreißig Jahre sind verstrichen und immer noch trage ich in mir eine schreckliche Wut. Sie ist dauernd vorhanden, nicht bewusst, doch vorhanden, und Depressionen bringen sie an die Oberfläche.» Das sagt Caitlin Thomas 1985 in einem Gespräch mit dem englischen Biografen George Tremlett. Grollende Wortgesten, Wuttrauben tiefschwarz. Was mag sie bewogen haben, sich so zu äußern? Wie viel Untergründiges mögen die Worte mitführen? Ihre Biografie steckt wahrlich voller Gründe und Abgründe.

Caitlin Macnamara wird am 8. Dezember 1913 in London als Tochter irischer und walisischer Eltern geboren. Sie ist das vierte, das jüngste und lebhafteste Kind der Familie. Das Mädchen liebt Pferde und verbringt seine Tage oft mit Ausritten durch den New Forest. «Wir waren wagemutig, galoppierten durch die Felder und setzten über Hecken hinweg», schreibt sie in ihrem Buch «Riss im Himmel quer» («Leftover Life to Kill», 1957), der Titel zitiert eine Verszeile ihres Mannes Dylan Thomas. Um der Wahrheit willen, und sei sie noch so bitter, geht sie darin mit sich und den jäh sie begleitenden Umständen ins Gericht. Ihr Mann, der Dichter wie der Mensch, scheint in jeder Zeile präsent, im Guten wie im Bösen.

Bisweilen schreibt sie, als würde sie im «walisischen Morast» liegen und nur der Kopf schaut noch heraus. Caitlin wird schon als Kind wegen ihrer Schönheit bewundert. Klein von Wuchs, schlank, rosiges Gesicht, lodern auf ihrem Kopf lockige blonde Haare. Verehrer lassen nicht lange auf sich warten. In London nimmt sie mit einer Freundin Tanzunterricht. Sie hat eine hohe Meinung von sich und große Erwartungen. Sie glaubt, dass sie eine der größten Tänzerinnen der Welt werden würde. «Ich war auf die Bühne versessen.»

Caitlin Macnamara trifft Dylan Thomas in einem Londoner Pub zu Beginn des Jahres 1936. Er ist 21, sie zehn Monate älter. Es funkt sofort. Eine außergewöhnliche Beziehung bricht sich Bahn. Dylan und Caitlin heiraten im Juli 1937. Die Liebe ist ungestüm, voller Leidenschaft. Aus ihr gehen in größeren Abständen drei Kinder hervor, ein Junge, zwei Mädchen: Colum, Llewelyn und Aeronwy. Zeitweise ist das Ehepaar bitterarm. Schulden drücken. Dylans anspruchsvolle, sprachlich ungewöhnliche Gedichte «verkaufen» sich nicht, sollen es auch nicht. Die Ideale der beiden verbieten so etwas wie Geschäft mit Kunst. Allabendlich sitzen sie, wo immer sie sich aufhalten, in Pubs und vertrinken ihr bisschen Geld. Es kommt wiederholt zu Auseinandersetzungen, sie giften einander unversöhnlich an.

Die Sache mit dem Rohrbruch, der das Paar in seinem «Boat House» in Laugharne überrascht, spricht Bände. Caitlin schöpft verzweifelt Wasser, während Dylan in seinem Stübchen seelenruhig an unruhevollen Texten arbeitet. Caitlin: «Wir lebten, als wären wir nicht mehr als vertraute Gegenstände unter dem Mobiliar unseres Geistes. Ausgenommen die Zeiten, vorwiegend nachts, wenn das Haus klapperte und knallte und dröhnte und stöhnte, während wir uns gegenseitig umbrachten.»

Die ersten Jahre sind Jahre eines Nomadendaseins. Das Paar wechselt seine Aufenthaltsorte beinahe, wie es seine Kleider wechselt. Es zieht von Ort zu Ort, von einer billigen, von Freunden abgeschnorrten Wohnung in die andere. Schon fast neun Jahre verheiratet, können sie endlich das allseits bewunderte «Boat House» in Laugharne, reine Idylle, weiß getüncht, auf Pfeilern am Flussufer ruhend, beziehen. Anfänge eines wirklichen Zuhauses.

Dylans politische Einstellung sei immer äußerst links gewesen, berichtet die alte Caitlin mit Sympathie für diese Feststellung. Die Freundschaft mit dem KP-Mann Bert Trick bringt ihn dazu, ernsthaft daran zu denken, Mitglied der kommunistischen Partei zu werden. Was nicht geht. Es hätte sein radikales Dichtertum in Frage gestellt. Nicht erst seit der Bombardierung britischer Städte hätte er den Krieg angeklagt, erinnert sich die Witwe, und über geschickte Manöver hätte er sich den Einberufungen entzogen. 1933, in einem Brief an seine Jugendliebe Pamela Hansford Johnson, sieht er sich als ein «körperlicher Pazifist und geistiger Militarist», der einem «Ideenkadaver» Schläge versetzen kann. Einmal sagte er: «Ich glaube an Dichtung, und zu viele Dichter verleugnen sie.» - Sie ihrerseits scheint in politischer Hinsicht fast noch radikaler, mindestens kritischer und realistischer zu sein als er. Wie Dylan glaubte sie nicht an ein Heldentum, an Patriotismus und all den Quatsch. Krieg habe nichts Ruhmreiches an sich, und Dylan hätte es nicht über sich gebracht, Gedichte über die Gründe und den Nutzen des Krieges zu schreiben.

Reisen führen die beiden später bis in die USA. Sein BBC-Hörspiel «Unter dem Milchwald», in England und den USA inszeniert und gesendet, wird schlagartig berühmt. In Städten Nordamerikas liest er daraus, solo, obwohl das Stück unzählige Rollen hat. Plötzlich haben sie Geld. Aber sie können damit nicht umgehen. Bei ihren Shopings während seiner zweiten Amerikareise 1952 - Caitlin begleitet ihren Mann - zerrinnt Dylans wohlverdientes Geld wie Wasser im Sand. Das Schlimmste: Ihre Ehe droht zu scheitern, als Dylan 1953 zu seiner letzten Reise in die USA aufbricht und eine Affäre mit der Amerikanerin Liz Reittel eingeht.

Caitlin erfährt davon und ist bitter enttäuscht. Voller Reue fleht ihr Mann brieflich um Vergebung. Jahrzehnte nach seinem Tod glaubt sie, sagen zu müssen: «Ich war der Ansicht, dass Amerika ihn verdorben und er durch seine Reisen dorthin alles, was ihm kostbar war, verloren hatte. Beifall und Erfolg passten überhaupt nicht zu ihm. Er war zu schwach, um dem Alkohol und den Schmeicheleien zu widerstehen. Diese Versuchungen reichen aus, um jeden Mann zu zerbrechen - und, nebenbei gesagt, auch jede Frau, mich eingeschlossen.»

Selbstbewusst ist die Frau, immer auch den Fröhlichkeiten des Daseins wie häufig genug der Verzweiflung nahe, ihr Leben hindurch. Schon die junge Mutter gestattet es nicht, sich auf Kinder und Küche reduzieren zu lassen. Sie will ihrem Manne ebenbürtig sein. Sie streiten über geistige Fragen, was zu scharfzüngigen Bemerkungen, auch Verletzungen führt. Und Caitlin benennt klar auch die Unterschiede, nämlich was zwischen ihnen nicht geht, was sie trennt. «Er brauchte eine einfach gestrickte Person, die für den Zuflucht gewährenden, sicheren, tödlich langweiligen und anheimelnd schützenden, kleinstädtischen, walisischen, häuslichen Hintergrund sorgte, vor dem seine besten Arbeiten entstanden sind, und die war ich nicht.»

Die «ganze Plackerei» mit den Kindern und den vielen Scherereien des Alltags, über die sie nicht ohne Zorn redet, dürfte ihr das ganze Eheleben versauert haben. Irgendwann betrügen sie einander, bereuen, finden wieder zusammen. Ein unlösliches Paar, das aneinander hängt wie siamesische Zwillinge, lebendige, eigensinnige Wesen, die sich lieben und aufeinander losgehen, wie es nur Wildkatzen können. Caitlin schreibt 1957: «Welcher Gedanke kann mehr beunruhigen als dieser: Ich bin ich, einmal und für alle Zeiten.»

Dylan Thomas stirbt am 9. November 1953 im Alter von nur 39 Jahren in New York infolge einer Reihe exzessiver Trinkgelage. Caitlin reist von London per Flugzeug zu ihm, sie sieht den Sterbenden noch im Klinikum, aber dieser sieht und hört sie nicht mehr. Sie rebelliert, trinkt Whisky aus der Flasche. Fluch den Ärzten. Sie raucht im Sterbezimmer, reißt das Kruzifix von der Wand, verletzt mit Klauen und Zähnen einen Sanitäter, zerreißt einer Nonne die Kutte und greift Ärzte tätlich an. Zweifellos! Die zornige Gattin eines Künstlers. Per Schiff gelangt der Sarg zurück nach Wales. Im Frachtraum sieht sie, wie Matrosen darauf Karten spielen, was ihr gefällt, weil es zu Dylan passen würde. Alsdann lässt sie ihn in Laugharne, wo die Familie am längsten und wohl auch am liebsten gelebt hat, begraben. Caitlin Thomas überlebt ihren Mann um 41 Jahre.

Zehrt sie in der Zeit von seiner Größe, drückt sie lediglich ihre Bewunderung aus? Viel später - der tote Dichter ist unterdes weltberühmt - revidiert sie manche ihrer früheren, widrigen Umständen geschuldeten Ansichten und Urteile, auch gewisse Abfälligkeiten oder besser Ungenauigkeiten im Blick auf seine Dichtung.

Bald nach Dylans Tod verlässt die Witwe Laugharne, wo noch eine Gedenkplatte zu Ehren Dylans in der Dichterecke der Westminster Abbey und eine ähnliche Platte in der St. Martinskirche angebracht wird. Caitlin geht zuerst nach London, dann reist sie mit ihrem Sohn auf die Insel Elba. Dort schreibt sie romanförmig nieder, woran sich ihre Erinnerung klammert. Von Elba führt ihr Weg nach Rom. Dort lernt sie ihren späteren Mann, den Schauspieler und Regisseur Giuseppe Fazio kennen. Sie heiraten und leben über 30 Jahre zusammen. Mit 49 bringt sie sogar noch einen Sohn namens Francesco zur Welt. Giuseppe Fazio hätte sie vor einem vorzeitigen Ende bewahrt, sagt George Tremlett, Co-Autor ihres Buches «Mein Leben mit Dylan Thomas», dessen englische Originalausgabe 1986 erscheint. Während zwanzig Jahren der Alkoholabhängigkeit, langer Klinikaufenthalte, wiederholter Depressionen und mehrerer Suizidversuche hätte er sich gerade in schwierigen Lagen um sie gekümmert und sie gepflegt.

Noch Jahrzehnte nach Dylans Tod vermeinte sie, vom Leben mit ihm schmerzlich betroffen zu sein. Sie empfände noch immer tiefes persönliches Leid. Was hatten die beiden und vor allem Dylan angerichtet? «Sie müssen verstehen, dass unser beider Leben wie rohes, rotes, blutendes Fleisch war. Und ich möchte, dass sie eines wissen: ich hatte während all meiner Jahre mit Dylan nie einen Orgasmus, und das ist der eigentliche Grund unserer Probleme ...»

Ihr Leid hatte in Wirklichkeit viel Tieferes zur Ursache als diesen sexuellen Querstand. «Dylan ist mir tagtäglich bewusst, obwohl ich nicht willentlich über ihn nachdenke. Ich kann ihn gleichsam in mir spüren. Seine Persönlichkeit. Innen in meinem Kopf. Das zu beschreiben, ist schwierig. Ich vermute, dass ich ihn immer noch liebe. Ja, ich liebe ihn wirklich, doch könnte ich nicht sagen, dass ich die Liebe fühle. - Ich begreife ihn jetzt mehr als damals.»

Die tapfere, empfindliche, stolze Caitlin Thomas stirbt 1994 auf Sizilien. Sie wurde 80 Jahre alt.

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