Dramatisches Fest

»Stille Nacht« in der Theaterkapelle

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Weihnachtsmann, der nicht an Gott glaubt, dafür aber junge Blondinen anbaggert. Ein engagierter junger Mann, der beim ersten Date an den Feiertagen unbedingt in einer Suppenküche helfen will. Ein pedantisches Mutter-Sohn-Paar beim Weihnachtsbaum-Schmücken. Und ein Josef, der überhaupt keine Lust hat, über einen Namen für das bald erwartete Kind nachzudenken, schließlich »gibt’s noch ein paar andere Probleme auf der Welt!«

Lauter skurrile Figuren versammelt das Theaterstück »Stille Nacht« der Murkelbühne in der Theaterkapelle - Verlorene und Verirrte, Einsame und Ratlose. Da gibt es den ganz in Schwarz gekleideten Jüngling, der sich beim Tanzen mit der Braut andauernd übergeben muss; da ist der übergenaue Sohn, der die Lamettafäden einzeln auf dem Weihnachtsbaum drapiert und dies als »Schmücken mit System« bezeichnet; woanders singt eine junge Frau einer Sektflasche, die sie wie ein Baby im Arm hält, aufopferungsvoll Schlaflieder vor. Überhaupt wird viel gesungen in dem aus lauter Einzelszenen bestehenden Weihnachtsstück der anderen Art; unterstützt werden die Jugendlichen dabei vom hinter einem Vorhang versteckten Jedermann-Aktionschor, der den Liedern Körper und Struktur gibt.

Ausgedacht hat sich die Inszenierung der - von Ramona und Matthias Kubusch geleitete - Murkelbühnen-Projektkurs der über 16-Jährigen, ohne Vorgaben und Richtlinien. Alle Szenen entstanden frei im Probenprozess, wurden verdichtet und gekürzt, bis aus zufälligen Improvisationen eine Reihe Mini-Dramen entstand, die sich alle um das »Fest der Liebe« drehen, um »die schönste Zeit des Jahres« und was es noch so gibt an Euphemismen für die jährlich wiederkehrende Weihnachtszeit, die alle irgendwie gleichermaßen lieben und hassen. Scheue, liebevolle Szenen wechseln sich ab mit eher derben oder auch mal witzigen Einlagen, die meisten Figuren sind originell, aber nicht wirklichkeitsfremd. Die blasierte Jungsängerin zum Beispiel kann man in jeder zweiten Schulklasse treffen, den ach so emphatischen Schauspieler tausendfach in Berlin. Und auch die Reihenfolge der Szenen, die sich vor und auf einem Baugerüst auf der Bühne der Theaterkapelle abspielen, ist recht gelungen.

Gegründet wurde die Murkelbühne, die mit Kindern und Jugendlichen zwischen vier und 18 Jahren Theater macht, vor nunmehr zwei Jahrzehnten. Damals kam die Tochter von Theaterwissenschaftler und Dramaturg Matthias Kubusch und seiner im Atelier der Volksbühne arbeitenden Frau Ramona mit einer Handvoll Freundinnen auf das Paar zu und bat die beiden, sie bei einem Theaterstück zu unterstützen. Gesagt, getan - mittlerweile gibt es ein Probenhaus in der Greifswalder Straße und zehn Kurse für verschiedene Altersgruppen, inszeniert werden klassische und eigene Stücke, Operetten, Kabarett. Am 14. Dezember wird in der Theaterkapelle der 20. Geburtstag mit einer großen Party begangen.

Nächste Aufführungen am 12. und 14.12., 20 Uhr, und am 13.12., 22 Uhr. Theaterkapelle, Boxhagener Str. 99, Friedrichshain, Kartentel.: (030) 68 07 63 14 oder ticket@theaterkapelle.de.

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