Deutschland und die Zwei-Klassen-Wahlen

Dokumentiert: Was die Wählerstudie über die soziale Spaltung in Berlin, Bremen, Chemnitz und Hamburg sagt

  • Lesedauer: 4 Min.
Die sinkende Wahlbeteiligung in Deutschland geht einher mit einer sozialen Spaltung der Wählerschaft, heißt es in einer aktuellen Studie. Die Wahlergebnisse seien, »gemessen an der Sozialstruktur der Wählerschaft, nicht mehr repräsentativ«. Vier Fallbeispiele.

Für die im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung vorgelegte Studie über das Wahlverhalten sozialer Milieus wurden Daten aus 28 deutschen Großstädten und darüber hinaus aus 640 Stimmbezirken analysiert. Wir dokumentieren die Kurzzusammenfassungen von vier Fallbeispielen - verlinkt sind jeweils Seiten, auf denen sich Kartenmaterial und weiterführende Informationen finden.

Fallbeispiel Berlin

Mit 72,5 Prozent lag die Wahlbeteiligung in der Bundeshauptstadt Berlin zwar leicht über dem Bundesdurchschnitt (71,5). Dennoch verbirgt sich auch in Berlin hinter dem gesamtstädtischen Durchschnittswert eine starke soziale Ungleichheit der Wahlbeteiligung. Obwohl für Berlin nur eine vergleichsweise grobe Stadtteilgliederung in zwölf Bezirke möglich war, zeigen sich auch hier deutliche Zusammenhänge zwischen dem sozialen Status eines Bezirks und der Höhe der Wahlbeteiligung. Selbst unter den sehr großen Berliner Stadtbezirken ergibt sich ein Unterschied in der Wahlbeteiligung von fast 15 Prozent. Diese demokratische Spreizung hat ebenfalls eine stark soziale Dimension: in den wahlmüden Bezirken gibt es rund dreimal so viele Haushalte aus den sozial benachteiligten Milieus, nur halb so viele Abiturienten und doppelt so viele Menschen ohne Schulabschluss wie in den Wählerhochburgen. - hier

Fallbeispiel Bremen

Innerhalb Bremens existiert ein demokratisches Gefälle von 36 Prozentpunkten zwischen höchster und niedrigster Wahlbeteiligung. Sinkt die Wahlfreude vor Ort auf Tiefstände, so verfünffacht sich im Schnitt die Arbeitslosigkeit, die Zahl der Menschen ohne Schulabschluss verdoppelt sich. Der Anteil der unterprivilegierten Milieus steigt im Vergleich zu den Wählerhochburgen auf das 16-fache. Mit 69,9 Prozent lag die Wahlbeteiligung in Bremen zwar nur knapp unter dem Bundesdurchschnitt (71,5). Darüber hinaus verbirgt sich auch in Bremen hinter dem gesamtstädtischen Durchschnittswert eine erhebliche soziale Ungleichheit bei der Wahlbeteiligung. Während in gut situierten Stadtvierteln nach wie vor überdurchschnittlich viele Menschen ihr Wahlrecht wahrnehmen, sind die sozial schwächeren Stadtviertel die Hochburgen der Nichtwähler. - hier

Fallbeispiel Chemnitz

Der sonntägliche Gang zum Wahllokal ist in Chemnitz eine soziale Frage. Erreichte die Beteiligung an der Urnenwahl in wohlsituierten Stadtteilen Höchstwerte, fiel sie in Quartieren mit schwierigeren Lebensverhältnissen umso niedriger aus. Wo die wenigsten ihre Stimme abgaben, stammen durchschnittlich dreimal so viele Haushalte aus ökonomisch schwächeren Milieus, der Anteil jener ohne Schulabschluss liegt um 70 Prozent höher. Zwischen vier- und fünfmal so viele Menschen sind ohne Erwerb. Mit 67,5 Prozent lag die Wahlbeteiligung in der Stadt Chemnitz unter dem Bundesdurchschnitt (71,5). Darüber hinaus verbirgt sich auch in Chemnitz hinter dem gesamtstädtischen Durchschnittswert eine stark ausgeprägte soziale Ungleichheit bei der Wahlbeteiligung, obwohl für diese Studie nur die Urnenwähler berücksichtigt werden konnten. Die Urnenwahlbeteiligung lag für die Gesamtstadt bei 53,0 Prozent. Eine Einbeziehung der Briefwähler hätte – wie die entsprechenden Analysen anderer Großstädte zeigen – die soziale Spaltung der Wählerschaft noch verschärft. Insgesamt zeigt sich auch für Chemnitz: Während in gut situierten Stadtvierteln nach wie vor überdurchschnittlich viele Menschen ihr Wahlrecht wahrnehmen, sind die sozial schwächeren Stadtviertel die Hochburgen der Nichtwähler. - hier

Fallbeispiel Hamburg

Die demokratische Schere von über 30 Prozentpunkten zwischen der Wahlbeteiligung in Rothenburgsort und Lemsahl-Mehlingstedt wird noch übertroffen von der sie begleitenden sozialen Spaltung: in den wählerschwächsten Stadtteilen Hamburgs gehören 36-mal mehr Haushalte den sozial benachteiligten Milieus an als in den wählerstärksten. Die Zahl der Menschen ohne Schulabschluss ist doppelt so hoch, die Arbeitslosigkeit erreicht den fünffachen Wert. Mit 70,3 Prozent lag die Wahlbeteiligung in Hamburg leicht unter dem Bundesdurchschnitt (71,5). Darüber hinaus verbirgt sich auch in Hamburg hinter dem gesamtstädtischen Durchschnittswert eine erhebliche soziale Ungleichheit bei der Wahlbeteiligung. Während in gut situierten Stadtvierteln nach wie vor überdurchschnittlich viele Menschen ihr Wahlrecht wahrnehmen, sind die sozial schwächeren Stadtviertel die Hochburgen der Nichtwähler. - hier

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