Mit dem ICE 3 auf Kollisionskurs
Piko gegen Märklin - der Kampf der Modellbahnbauer
Im Musterzimmer findet sich auch eines der Paradeexemplare der Firma: der seit August letzten Jahres vertriebene ICE 3, der inzwischen zum Zankapfel geworden ist. Konkurrent Märklin, der einen ICE 3 schon seit dem Jahr 2000 anbietet, hatte Piko vor der Spielwarenmesse in Nürnberg eine Abmahnung zugestellt und darin gefordert, das Modell aus chinesischer Produktion nicht mehr zu verkaufen. Zeitgleich reichte das schwäbische Unternehmen beide Modelle bei dem Verein Plagiarius e.V. ein, der den Diebstahl geistigen Eigentums in Deutschland anprangert. Auf Betreiben Märklins erhielt Piko prompt den diesjährigen Negativpreis »Plagiarius«.
Gerichtsbeschluss zugunsten von Piko
Die Vorwürfe seien purer Unfug heißt es dagegen bei Piko. Per Gerichtsbeschluss schmetterten die Sonneberger die Attacke ab. Plagiarius darf danach unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250 000 Euro nicht mehr behaupten, Piko habe das Modell des Triebwagenzuges ICE 3 der Firma Gebr. Märklin & Cie. GmbH (Göppingen) nachgeahmt. Beide Züge würden das Vorbild der Deutschen Bahn AG im Modell abbilden und seien deshalb zwangsläufig sehr ähnlich. Märklin mag allerdings nicht aufgeben. Die Klage gegen das Sonneberger Unternehmen laufe weiter, teilte Pressesprecher Roland Gaugele auf Anfrage mit.
Auf einer Modellbahnanlage hätte ein vergleichbarer Zusammenstoß zu folgenschweren Entgleisungen geführt. Bei Piko nimmt man die Kollision mit dem Branchenprimus Märklin dagegen locker und reagiert höchst unaufgeregt. Geschäftsführer René Wilfer lehnt sich beim Gespräch entspannt zurück. Der Plagiatvorwurf, der in den Medien für Schlagzeilen gesorgt habe, sei eine glänzende Werbekampagne für Piko gewesen, freut er sich. 25 Millionen Deutsche seien mit der »Aktion« erreicht worden. Etwa, indem der Konkurrent verkündet habe, das ICE-3-Modell von Piko sehe genau so aus, werde aber zu einem Drittel des Märklin-Preises angeboten. »Und wer uns noch nicht kannte, weiß jetzt, dass es uns gibt«, konstatiert Wilfer und verweist darauf, dass sein Unternehmen vielen westdeutschen Modellbahnern bis dato unbekannt gewesen sei. Dies beziehe sich freilich nur auf den Namen. Piko-Modelle hätten bereits zu DDR-Zeiten den westdeutschen Markt erobert, sagt der Geschäftsführer, allerdings wie viele DDR-Produkte nicht unter eigenem Markennamen.
Piko war 1948 in Chemnitz auf Anweisung der Sowjetischen Militäradministration als Reaktion auf die separate Währungsreform in den Westzonen gegründet worden, weil dadurch keine Modellbahnen mehr in gemeinsamer Währung gekauft werden konnten. Im gleichen Jahr präsentierte die Firma unter der Produktbezeichnung »Pico Express« zur Herbstmesse die ersten Modelle. Ab 1952 wurden sie dann unter dem Namen Piko angeboten. Der Handelsname war aus den Worten Pionier Konstruktion abgeleitet worden. Später erfolgte die Verlagerung nach Sonneberg. Nach der Wende drohte die Abwicklung durch die Treuhand, bevor René Wilfer die Firma 1992 kaufte.
In Modellbahnkreisen hat der Streit über das vermeintliche Plagiat Kopfschütteln ausgelöst. Schließlich ist es erklärtes Ziel bei der Entwicklung von Modellbahnen, dass sie dem Vorbild möglichst nahe kommen. Das führt zwangsläufig dazu, dass sie schwer zu unterscheiden sind. Aus Sicht von Märklin sehen sich beide Modell aber »zu ähnlich«. Das Unternehmen verweist auf firmenspezifische Details, für die es keine Gründe gebe. So würden beide Modelle von dem genormten H0-Maßstab von 1:87 abweichen und seien im Längenmaßstab 1:88,8 gehalten. Märklin begründet das damit, dass der Zug nur so bestimmte Weichen unfallfrei passieren könne. In Sonneberg wird auf »optische Gründe« verwiesen und darauf, es komme öfter vor, dass im Maßstab Zugeständnisse gemacht würden.
Märklin hat allerdings womöglich noch einen ganz anderen Grund für seine Attacke. Das Unternehmen wird häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, seinen Kultstatus behalten zu wollen, das »Made in Germany« aber zu Gunsten des Billigstandorts Fernost aufzugeben. Die Behauptung, auch der ICE 3 werde in China gebaut, weist Firmensprecher Gaugele mit Nachdruck zurück. Der ICE 3 werde in Baden-Württemberg gebaut, wo im Metallbereich mit die höchsten Löhne der Welt gezahlt würden.
Wilfert plagen solche Sorgen nicht. Er realisiert etwa die Hälfte seiner Produktion über Kooperationspartner in China und hat in Hongkong ein Entwicklungsbüro. Dort ist auch der ICE 3 nach Originalunterlagen der Bahn entwickelt worden. Man könne natürlich stolz verkünden, alles in Deutschland zu produzieren und dann in die Pleite schlittern, sagt er nicht ohne einen Seitenhieb auf den Konkurrenten in Baden-Württemberg. Piko habe sich frühzeitig auf die Veränderungen in der Welt eingestellt und damit auch 150 Arbeitsplätze in Thüringen auf eine sichere Basis gestellt. 42 Prozent betrage die Eigenkapitalbasis, bei Märklin seien es nur 7 Prozent. Wilfer plaudert munter über die wirtschaftlichen Daten des Konkurrenten, mit den eigenen ist er dagegen höchst zurückhaltend. Das vergangene Jahr sei mit einem soliden Umsatzplus von 20 Prozent abgeschlossen worden. Im deutschen Facheinzelhandel habe sogar ein Plus von fast 40 Prozent erzielt werden können. Auf welcher Basis, lässt Wilfer allerdings offen.
Auch Märklin ging nach Thüringen
Indes produziert auch Märklin nicht nur dort, wo hohe Löhne fällig sind, sondern setzt eben so wie Piko auf Standorte mit niedrigeren Arbeitskosten. So wurde handarbeitsintensive Produktion in den zurückliegenden Jahren nach Thüringen und Ungarn ausgelagert. An diesen Standorten sind die Lohnkosten in den Märklin-Werken zwischen 40 und 80 Prozent günstiger als in Göppingen, wo die Verlagerung Hunderte Arbeitsplätze kostete. Trotzdem geriet das Unternehmen in heftige Turbulenzen und eine tiefe Krise. Berichten zufolge brachen die Umsätze seit 2002 um 25 Prozent auf 123 Millionen Euro 2005 ein. In den vergangenen beiden Jahren hat die Firma einen Verlust von 20 Millionen Euro nach Steuern eingefahren und 55 Millionen Euro Schulden angehäuft.
Vor diesem Hintergrund war wochenlang über die Zukunft der Traditionsfirma spekuliert worden. Schließlich verkauften die 22 Märklin-Altgesellschafter im Mai dieses Jahres ihre Anteile an den britischen Finanzinvestor Kingsbridge Capital. An diesen sollen zuvor bereits zwei Banken ihre Kredite mit einem Abschlag verkauft haben. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. Im Vorfeld war aber schon vermeldet worden, Kingsbridge sei bereit, den Eigentümern des angeschlagenen Unternehmens insgesamt rund 30 Millionen Euro zu zahlen. Allerdings soll nur knapp die Hälfte sofort fließen, der Rest erst nach einem Weiterverkauf in drei bis sieben Jahren. Der britische Finanzinvestor will mit dem Modellbahnhersteller Märklin eine Rendite von 20 Prozent erzielen. »Unsere Investoren, darunter Pensionskassen, erwarten von uns, dass wir eine bessere Rendite bringen als die, die sie an den Aktienmärkten verdienen können«, sagte Kingsbridge-Chef Mathias Hink der »Stuttgarter Zeitung«.
Was das für die Märklin-Beschäftigten bedeutet, ist völlig offen. Gaugele sieht derzeit keine Konsequenzen für die Unternehmensstruktur. Ob das so bleibt, ist fraglich. Auch in den Jahren, als noch keine Verluste geschrieben wurden, sah es keineswegs rosig bei Märklin aus. Von 2001 bis 2003 gab es bei einem Umsatz von insgesamt 483 Millionen Euro einen Gewinn von 2,3 Millionen Euro - die Rendite belief sich auf knapp 0,5 Prozent.
Piko-Geschäftsführer Wilfer sieht den Verkauf des Konkurrenten unter einem ganz anderen Gesichtswinkel. Wenn ein derart bedeutender Fonds zugreife, sei das ein Signal, dass die Branche ein Wachstumspotenzial besitzt. Derzeit bekomme kein Händler von den Banken einen Kredit für das Modellbahngeschäft. Das könne sich jetzt ändern und das Klima für den Modellbahnmarkt deutlich verbessern.
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