Erdogan im Clinch mit der Justiz

Der türkische Ministerpräsident sieht eine Verschwörung gegen seine Regierung

  • Lesedauer: 3 Min.
Angesichts der Korruptionsermittlungen in seinem Umfeld hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan der Justiz eine Verschwörung gegen seine Regierung vorgeworfen.

Istanbul. »Man hat in der Türkei einen richterlichen Putsch versucht«, sagte Erdogan am Wochenende bei einem Treffen mit regierungsnahen Intellektuellen, Schriftstellern und Journalisten in Istanbul. Erdogan bezeichnete die Ermittlungen in seiner im Fernsehen übertragenen Ansprache als einen »versuchten Mordanschlag auf den Volkswillen« und gab sich kämpferisch: »Wir werden uns dieser Operation entgegenstellen, dieser Verschwörung vom 17. Dezember, die auf die Zukunft, die Stabilität unseres Landes zielt.« Der Regierungschef äußerte sich zuversichtlich, die derzeitige Krise in den Griff zu bekommen. Er werde nicht zulassen, »dass sich ein Schatten auf die Zukunft der Türkei legt«, betonte Erdogan. Die Kommunalwahlen im März bezeichnete er als eine Bewährungsprobe.

Präsident Abdullah Gül versprach unterdessen eine konsequente Aufklärung der Vorwürfe. Wenn Korruptionsfälle vertuscht würden, würde dies die Gesellschaft spalten, warnte er im Fernsehen. Wer sich nichts habe zuschulden kommen lassen, habe auch nichts zu befürchten. Im Zuge der Ermittlungen im Umfeld der islamisch-konservativen Regierung waren am 17. Dezember zahlreiche Verdächtige festgenommen worden, darunter die Söhne von drei Ministern, die daraufhin im Zuge einer Kabinettsumbildung ausgetauscht wurden. Bei dem Skandal sollen Politiker bestochen worden sein, um illegale Goldgeschäfte der staatlichen Halkbank mit Iran zu verdecken und um Genehmigungen für Bauvorhaben zu erwirken.

Hinter der Affäre wird ein Machtkampf zwischen Erdogan und den Anhängern des in den USA lebenden islamischen Predigers Fetullah Gülen vermutet. Die Gülen-Bewegung gilt als besonders einflussreich in Justiz und Polizei. Sie steht eigentlich Erdogans Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) nahe, doch der Regierungschef brachte die Bewegung mit der Ankündigung auf, Hunderte ihrer Schulen zu schließen. Für Verwirrung sorgten am Wochenende Aussagen des Journalisten Fikret Bila, der an dem Treffen mit Erdogan teilnahm. Der Ministerpräsident habe nach eigener Aussage einen »vermutlich von Gülen selbst« geschriebenen Brief erhalten, in dem zur Versöhnung beider Seiten aufgerufen wird, erklärte Bila. Die Gülen-Bewegung wies dies zurück. »Der Brief war nicht an den Ministerpräsidenten adressiert, und von Feilschen ist darin nicht die Rede«, hieß es in einer Stellungnahme.

Derweil zeigt sich die Regierung jetzt offen für eine Neuverhandlung von Verfahren gegen verurteilte Verschwörer im Militär. Ministerpräsident Erdogan denke über einen solchen Vorschlag nach, zitierte die Nachrichtenagentur Anadolu den Präsidenten der Anwaltskammer, Metin Feyzioglu, nach einem Treffen mit dem Regierungschef.

Über den aktuellen Streit, der Erdogans Macht ins Wanken bringen könnte, sind alte Auseinandersetzungen der AKP mit der säkularen Elite im Militär in den Hintergrund getreten. In den vergangenen Jahren waren Offiziere verurteilt worden, weil sie einen Putsch gegen Erdogans Regierung vorbereitet haben sollen. In der vergangenen Woche hatte der türkische Generalstab wegen der Verfahren in Ankara Klage wegen Verschwörung gegen die Streitkräfte eingereicht. Beweise gegen Offiziere seien manipuliert worden. Früher hatte Erdogan mutmaßliche Putschpläne gegen seine Regierung immer wieder scharf verurteilt. Wegen der Korruptionsaffäre liegen er und seine Gefolgsleute aber selbst im Streit mit der türkischen Justiz. Agenturen/nd

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