Der »Spatz von Paris« als Konstante einer Karriere

Katharine Mehrling singt Edith Piaf - ab heute in der Bar jeder Vernunft

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie die kleine Frau ihre Stimme zu großer Dramatik hochfährt und dann wieder auf normale Gefühlslage zurücknimmt, das gehört mittlerweile zu ihren Markenzeichen. »Singen«, sagt Katharine Mehrling, »ist mir selbstverständlich wie Atmen und Reden seit Kindertagen.«

Früh hat das bei dem in Hanau geborenen, in einer 3000-Seelen-Gemeinde aufgewachsenen Mädchen angefangen. In der Musikkneipe der Eltern hört sie Dixieland und Jazz, tritt mit der Mutter auf und lernt von ihr, wie man den Mut findet, sich fallen zu lassen, auch zu scheitern, vor allem jedoch zu experimentieren. Das Fundament als Schauspielerin holt sie sich in New York bei Lee Strasberg und in London. »New York«, erinnert sie sich, »war mit seinem Freiheitsgefühl auch Lebensschule: sich im fremden Land durchsetzen, integrieren.« Gewohnt hat sie im quirligen Harlem. Englands kosmopolitische Metropole bringt das Debüt. Unter 2000 Bewerbern erhält sie für die Produktion im West End eine Rolle in »Hair«, verlässt dafür die Schule, lebt auch privat die Hippie-Utopie. Danach spielt sie sich durch die Hauptparts der Musical-Literatur, von »Irma la douce«, »Les Misérables« oder »Evita« bis zu »Cabaret«.

Als Sally Bowles war sie rund 250 Mal in der Bar jeder Vernunft zu erleben, »eine Traumrolle«. Dort gab sie auch ihren ersten Soloabend, »Bonsoir Katharine«. Wenn sie nun mit dem Programm »Piaf au Bar« an die Stätte des Beginns zurückkommt, ist das für die Wahlberlinerin Mehrling so etwas wie eine Heimkehr - gereift und preisgekrönt nach großen Erfolgen als Schauspielerin und Sängerin.

Piaf, der »Spatz von Paris«, tauchte immer wieder auf in Mehrlings Karriere. Als sie 20 war, bekam sie eine Kassette mit Chansons der Piaf geschenkt, kam seither von den leidvollen Liedern der kleinen Grande Dame nicht mehr los. »Piaf hat mich bis in meine eigenen Lieder künstlerisch geprägt«, bekennt sie. Mit 24 spielt sie die »Piaf« im gleichnamigen Stück in Kassel, dann in Bielefeld, später in der Tribüne Berlin. Ein eigenes Programm mit französischen Chansons, »Hommages«, folgt, so im Schlosspark Theater. Dort spielte sie auch die Judy Garland in »End of the Rainbow«. Zuerst mochte sie nicht, »weil mir die Figur der Judy Garland der Piaf zu ähnlich erschien«. Doch je mehr sie sich mit beiden Diven beschäftigte, fand sie große Unterschiede. »Während Garland auf der Szene eine heile Welt aufbaute und zusammenbrach, sobald der Vorhang fiel, schrie die Piaf ihre Dramen um Tod und verlorene Liebe, Schmerz und Prostitution heraus. Doch beide brannten sie an beiden Enden, fanden keine Mitte, es gab nur Höhen und Tiefen.« Die Piaf habe sich regelrecht »zugrunde gelebt«.

In ihren Konzerten nähert sich Katharine Mehrling in Timbre und Seele der Piaf an, um sich dann wieder von ihr zu entfernen und ihre eigene Geschichte zu erzählen: das Original als musikalischer Stichwortgeber für den individuellen Zugang. Jazz bringt sie in die Arrangements ein, will die Musik ins Heute holen, »entkitschen«, »verraucht, sexy und jazzy«. Piafs Chansons sieht sie als »Liedkunstwerke, kleine Schauspiele in sich, Geschichten um tragische Figuren«. In diese Figuren will Mehrling eintauchen.

Für ihr Programm in der Bar jeder Vernunft hat sie leitmotivische Chansons wie »Non, je ne regrette rien« ausgesucht, aber auch weniger bekannte Titel. Und hat sich als Gäste das Linden Quintett aus der Komischen Oper eingeladen, mit dem gemeinsam sie auch einen Song aus »Ball im Savoy«, der vom Haus an der Behrenstraße reanimierten Paul-Abraham-Jazzoperette, singen wird. Für ihre Darstellung der Daisy Darlington im überraschend gefeierten »Ball im Savoy« sowie für die Judy Garland in »End of the Rainbow« erhielt Katherine Mehrling 2013 den Publikumspreis »Goldener Vorhang« für die beliebteste Schauspielerin: »Darauf bin ich stolz.«

Angebote für »Piaf« gebe es zwar nach wie vor, doch sie lehne bisher ab: Die Rolle sei »energetisch anstrengend, ich kriege sie danach tagelang nicht mehr los«. Allgemein möchte sie nur singen, was ihr Spaß bereitet, »was Brüche, Ecken, Kanten hat, mich interessieren Abgründe, dunkle Geheimnisse, und das gerne mit einer gewissen Selbst-Ironie«. Berühren will sie, zum Lachen und Weinen bringen, auch mit Titeln von Jacques Brel, Charles Aznavour, Barbara oder ihren eigenen. Es muss also nicht immer Piaf sein.

Vom 7. bis zum 9. Januar, jeweils 20 Uhr, in der Bar jeder Vernunft, Schaperstr. 24, Wilmersdorf, Kartentelefon: (030) 883 15 82, www.bar-jeder-vernunft.de

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