Plastik ist Leben

Zu seinem 50. Geburtstag veröffentlicht Andreas Dorau ein neues Album und eine Werkschau

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 7 Min.

Im Jahr 1981, als die Möglichkeiten des Pop unendlich schienen, schraubte ein 16-jähriger Jüngling namens Andreas Dorau ein paar simple, eingängige Elektrotakte zusammen, die nach Heimcomputer klangen, und scharte ein paar 11- bis 14-jährige Mitschülerinnen um sich, die sich die »Marinas« nannten und glockenhellen Gesang zum Besten gaben. Sie sangen keine Protestsongs gegen Atomkraft und keine schmalzige Herzilein-Schunkelware, sondern folgende Verse, von den pubertierenden Mädchen verfasst für eine Projektwoche an ihrer Schule (»Wie entsteht ein Pop-Titel?«): »Er hatte gold’nes Haar, das glänzte wunderbar, sein Blick der war so scharf, a-ha / Er war sehr attraktiv und auch sehr muskulös, er war ein Traum von einem Mann.«

Der Popsong über einen drolligen, mit blecherner Stimme sprechenden Außerirdischen und Charmebolzen, der die Frauen auf der Erde verführt, hieß »Fred vom Jupiter« und wurde ein Hit, obwohl das nie beabsichtigt gewesen war. Dem Lied war etwas gelungen, was deutschsprachiger Unterhaltungsmusik selten gelingt: nicht schwerfällig zu sein. Es vereinte Simplizität mit Stilbewusstsein. Bedauerlicherweise jedoch wird das Stück bis heute von vielen noch immer der Sorte dümmlicher Schlager zugerechnet, die sich ein halbes Jahr später unter dem Produkt- und Markennamen »Neue Deutsche Welle« (NDW) in den bundesdeutschen Hitparaden festsetzte, wo sich inzwischen Hubert Kah (»Sternenhimmel«), UKW (»Sommersprossen«) und Frl. Menke (»Hohe Berge«) tummelten.

Im Video zu »Fred vom Jupiter« disco-swingt der junge Dorau im weißen John-Travolta-Anzug vor einer Kulisse aus Pappe, die ein wenig an die Augsburger Puppenkiste und ein wenig an die Dadaisten des Cabaret Voltaire erinnert. Der Glaube an so etwas wie Authentizität beruht auf einem Mangel an Information. Der Rock ’n’ Roll oder das, was ihr dafür haltet, ist tot. Plastik ist Leben.

Seither gibt es den Künstler Andreas Dorau, der mitten in der Phase des deutschen Post-Punk mit popkulturellen Versatzstücken und Formen spielte, den subversiven Disco-Schlager erfand und logischerweise sofort missverstanden wurde.

»Ohne das Stück ›Fred vom Jupiter‹ säße ich heute nicht hier«, sagt Dorau, der, ordentlich gekleidet und mit akkuratem Scheitel, mir in einer Buchhandlung in Berlin-Mitte gegenübersitzt. »Es gibt eben manche Hits zur rechten Zeit am rechten Ort, die in einer sozialen oder kulturellen Umbruchphase entstanden sind.« Weiter erklärt er: »Im Grunde waren wir ja nichts weiter als die deutsche Version von New Wave. Irgendwann sprach man ja bei Bands wie Palais Schaumburg oder mir zum Glück nicht mehr von NDW, sondern von Post-Punk, was es auch viel besser trifft, denn ohne Punk hätte es all das nicht gegeben. Punk war ja im Grunde noch Rock. Und dann kamen ein paar Leute darauf, sich zu fragen: Was sind denn die Versprechungen von Punk? Lass uns doch mal den Rock weglassen und da eine andere Musik drunterschieben und versuchen, dadurch eine ganz neue Form der Musik zu schaffen - also nicht nur eine inhaltlich andere, sondern auch musikalisch andere.«

Von Dorau, der nie Verkaufsrekorde mit seinen Platten erzielte, erschien in den vergangenen 30 Jahren nur etwa alle vier bis sechs Jahre ein neues Album. Der Verwertungsmaschinerie der Musikindustrie versucht er sich, so weit das möglich ist, zu entziehen: Er tritt nicht in 80er-Jahre-Retro-Shows auf und weigert sich konsequent, auf Provinzbühnen für ein erinnerungswütiges Publikum den abgehalfterten NDW-Onkel zu geben.

Einmal, so der Sänger und Musiker, habe er an einem sogenannten Interview-Training teilgenommen. »Da hatte ich dann so eine Dame vor mir, die normalerweise Boy-Bands coacht«, lacht er. »In erster Linie achtete die Dame auf meine Körpersprache, auf so simple Dinge wie die Beinhaltung. Jetzt habe ich zum Beispiel offiziell eine unentspannte Beinhaltung. Stumpfste Laienpsychologie.«

Dorau, der selbst von sich behauptet, kein guter Sänger zu sein, trägt seine Texte seit jeher mit quakender Stimme vor, hat aber ein unfehlbares Händchen für Melodien. »Dass ein Stück mit einem guten Inhalt getragen und in Moll sein muss, lehne ich ab«, sagt er. »Mir geht es in meiner Arbeit darum, dass ich dieses Schwarzweißdenken aufbrechen möchte. Man kann ein ernstes Thema auch in Dur abhandeln.« Auf seinem neuen, dieser Tage erscheinenden Album »Aus der Bibliotheque«, das er mit der Hamburger Band Liga der gewöhnlichen Gentlemen aufgenommen hat, hört man wie gewohnt viel Dur, viel sonnige Mitsingharmonien. »8, 15, 25 Cent / Ein jeder diese Zahlen kennt / Die Kinder rufen im ganzen Land: / Fli-Fli-Fla-Fla-Flaschenpfand.« Und man hört auch, was musikalische Vorbilder gewesen sein könnten: der unbeschwerte Sorglosigkeitspop der 60er und 70er Jahre. »Ich bin großer Beach-Boys- und auch großer Elec᠆tric-Light-Orchestra-Fan. Mit denen würde ich mich aber niemals messen wollen. Ich messe mich doch nicht mit Göttern.«

Dorau macht Popmusik. Und entzieht sich damit auch den Ansprüchen, die von einem Pop gern mit Predigt oder Humpapa verwechselnden, unkundigen Publikum beständig an Künstler herangetragen werden: Diese sollen entweder den moralischen Zeigefinger heben oder die totale Gemütlichkeit herstellen. Beidem verweigert sich Dorau: »Da ist der amüsante Unterhalter oder der Poet, ich möchte keiner dieser Archetypen sein.«

Wer, wie es Michael Sailer in der Zeitschrift »Konkret« tut, Dorau vorwirft, dieser singe »doofen, aufdringlich harmlosen Kinderkram« und seine Musik bestünde aus »banalen Akkordfolgen«, hat nicht verstanden, dass sich darin die Kunst versteckt. Bisher ist ja auch niemand auf die Idee gekommen, etwa den Beatles vorzuwerfen, sie besängen in »Yellow Submarine« mit banalen Akkordfolgen harmlosen Kinderkram.

Dorau ärgert sich darüber, dass Tanzmusik hierzulande rasch unterstellt wird, von vornherein debil zu sein. »Tatsächlich heißt es immer: Entweder es ist kritisch, dann muss in der Musik gefälligst diese Kritik eindeutig zu erkennen sein, oder es ist Unterhaltung, dann muss der Text eben dementsprechend das Gehirn bitte ausgeschaltet lassen.« Dorau hat Vergnügen daran, die Sache dialektischer anzugehen. Im Song »Tannenduft« etwa geht es um einen Serienmörder. Im Stück »Bienen am Fenster« heißt es: »Bienen am Fenster / Sie sagen Hallo / Sie machen uns froh / Sie saugen Nektar aus Blütenkelchen / und jubeln Hurra«. Doch so possierlich und aufgeräumt sich das Bienendasein auch zu gestalten scheint, die Wirklichkeit schaut anders aus: »Endet der Sommer, fallen sie tot um.« Fröhlich summten sie soeben noch, die Bienen, und im nächsten Moment ist ihre Zeit gekommen. Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen. Existentialismus? Kosmische Sinnlosigkeit? Ihnen kommt es sogar schon länger so vor, als schwänge »das Leben gleich einem Pendel hin und her zwischen dem Schmerz und der Langeweile« (Schopenhauer)? Bitteschön, im Song »Der Monat« ist nur eine einzige, beständig wiederholte Textzeile zu hören, ein Gedicht über den Horror der immerwährenden Gleichförmigkeit des Daseins: »Mo-Di-Mi-Do-Fr-Sa-So / Ich fürchte, das bleibt den ganzen Monat noch so.«

»Das einzig Komische, das ich persönlich mag«, sagt Dorau, »ist, wenn in dem Komischen auch gleichzeitig eine ganz tiefe Traurigkeit ist.«

Am 19. Januar wird Dorau, der eigentlich den Beruf des Filmregisseurs gelernt hat - auf Youtube ist seine großartige Filmhochschulabschlussarbeit »Schlag dein Tier« zu sehen -, 50 Jahre alt.

Immer noch umweht seine Songs ein Hauch von Kinderzimmer, und es scheint auch zuweilen, als habe der Musiker sich die ungestüme Neugier der Adoleszenz bewahrt. Man mag ihm vorwerfen, dass er in seinem Alter Platten macht, auf denen es um Flaschenpfand, summende Bienen und den Zauber der Leihbibliothek geht. Gäbe es heute nicht gesellschaftlich relevantere Themen? »Wer macht denn das: vernünftig, gesellschaftlich Relevantes in erträglicher Form verarbeiten? Wenn das möglich ist, höre ich mir die Musik dieser Person gerne an, die sollen Sie mir aber mal zeigen. Entweder sind die Texte pathetisches Oberschülerzeug oder die Musik ist der letzte Schweinemainstreamrock«, antwortet Dorau. Ganz Unrecht hat er da nicht.

Immerhin habe Andreas Dorau »es uns erspart, den Blixa oder den Campino zu geben«, schreibt Michael Sailer. Das stimmt. Und dafür kann man ja auch mal dankbar sein.

Andreas Dorau: Aus der Bibliotheque (Bureau B) Andreas Dorau: Hauptsache ich (Retrospektive 1981-2014) (Bureau B) Dorau bestreitet gemeinsam mit weiteren Künstlern - darunter Der Plan und Justus Köhncke - zwei Jubiläumsgalas: 18.1. Hamburg - Knust (mit Egotronic), 25.1. Berlin - Bi Nuu (mit Wolfgang Müller und Maurice Summen)

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