Konjunktur für Kirchenfenster

Drei Jahre des Suchens und Experimentierens - Imi Knoebel gestaltete hochsymbolische Fenster für die Reimser Kathedrale

  • Martina Jammers
  • Lesedauer: 5 Min.

Pünktlich zur 800-Jahrfeier der Kathedrale von Reims hat der 1940 in Dessau geborene Maler Imi Knoebel 2011 sechs große Fenster künstlerisch gestaltet. Zweifellos bedeutete es eine enorme Herausforderung, sich nicht zuletzt als Deutscher in der prächtigen Nationalkathedrale Frankreichs zu messen mit den besten Baumeistern, Künstlern und Kunsthandwerkern, die hier gearbeitet haben, von gotischen Baumeistern bis hin zu Chagalls berühmten Fernstern im Jahre 1974.

Hinzu kommt natürlich die politische Dimension dieses Auftrags ausgerechnet an einen Deutschen. Die barbarische Zerstörungswut deutscher Artillerie während des Ersten Weltkriegs erfuhr erst am 8. Juli 1962 durch einen Versöhnungsgottesdienst, an dem de Gaulle und Adenauer teilnahmen, späte Genugtuung. Fünfzig Jahre später bekräftigen François Hollande und Angela Merkel diesen hochsymbolischen politisch-moralischen Akt, wobei Hollande bewusst, im Einklang mit den Prinzipien eines laizistischen Staates, auf einen Gottesdienst in der Kathedrale verzichtet hat. »Was der Parthenon den Archäologen, ist vielen Kunsthistorikern die Kathedrale von Reims«, haben einmal treffend Dieter Kimpel und Robert Suckale, Verfasser eines Standardwerks über französische Gotik, über die Krönungskirche der französischen Könige resümiert. Mit großem Aufwand zeigen nun die Chemnitzer Kunstsammlungen sämtliche Glasentwürfe Knoebels für Reims: Sie wurden in fünf Metern Höhe aufgestellt, um die richtige Perspektive der anvisierten Untersicht zu gewähren. Hinzu kommen 54 so genannte »Messerschnitte« des Künstlers, die ihn zu seinen Kathedralfenstern inspiriert haben.

»Allein der technische Aufwand zur Herstellung von Kirchenfenstern, bei dem die Glasstücke durch Bleiruten miteinander verbunden werden, verlangt einen dafür geeigneten künstlerischen Entwurf«, bemerkte die Chemnitzer Museumsdirektorin Ingrid Mössinger. Die Farbpracht der Knoebel-Fenster in ihrer Gelb-Rot-Blau-Orchestrierung mit weißen Einsprengseln ist überwältigend und kann sich durchaus neben denjenigen von Chagall mit ihrem dominierenden Tiefblau behaupten. Denn die nunmehr seit zwei Jahren eingebauten Fenster wurden in den beiden Seitenkapellen links und rechts der Chagalls im Hauptchor angebracht - also an prominenter Stelle. Während jedoch der ältere Kollege figürliche Motive der Geschichte Abrahams sowie die letzten Momente im irdischen Leben Christ schildert, entwickelt Knoebel alles aus geometrisch-splittrigen Formen, die zunächst an den Blick durch ein Kaleidoskop denken lassen.

Das Entwerfen von Kirchenfenstern durch Maler hat in den letzten Jahren auffallende Konjunktur. War Henri Matisse noch 1951 einer der ersten Pioniere mit seiner Chapelle du Rosaire de Vence, so schuf in der jüngeren Zeit Gerhard Richter 2007 ein durchaus umstrittenes riesiges Fenster für den Kölner Dom, Neo Rauch im gleichen Jahr sein dreiteiliges, rubinrotes Fenster für die Elisabethkapelle im Naumburger Dom anlässlich des 800. Geburtstages der Heiligen. Es folgte dann 2011 Markus Lüpertz für die gotische Dominikanerkirche St. Andreas in Köln. Unterschiedlicher hätten die künstlerischen Lösungen kaum ausfallen können. Während Rauch drei Episoden aus dem Leben der Elisabeth wählte, segmentierte Lüpertz die Geschichte der Macchabäer-Brüder in fast mosaikartige Ornamentik. Im Kontrast zu ihrer beider Figürlichkeit hat sich Richter auf einer Fensterfläche von 113 Quadratmetern für abstrakte 11 263 Farbquadrate in 72 Farben entschieden, die er mit dem Computer generierte.

Richters geometrischer Glasteppich hat bei der Einweihung durchaus polarisiert: Waren die einen fasziniert vom Fluten der Farben, so monierte die Kölner Dombaumeisterin den »Badezimmer-Touch« und fühlte sich an eine »Wirtshausverglasung« erinnert. Und Kardinal Joachim Meisner glaubte eine inadäquate Beliebigkeit auszumachen: »Das Fenster passt eher in eine Moschee oder ein anderes Gebetshaus. Wenn wir schon ein neues Fenster bekommen, soll es auch deutlich unseren Glauben widerspiegeln. Und nicht irgendeinen.«

Ursprünglich sollte übrigens Gerhard Richter die Reimser Fenster ausführen. Doch wegen seiner Arbeit im Südquerhaus des Kölner Doms lehnte er das Angebot ab. Dafür erhielt Imi Knoebel 2008 nun durch das französische Ministerium für Kultur und Kommunikation den Auftrag, sechs Fenster mit den Maßen von je 10,30 mal 2,50 Meter zu gestalten. Es soll Unmut bei ortsansässigen Handwerkern angesichts dieser Vergabe gegeben haben.

Drei Jahre des Suchens und Experimentierens vergingen, bis die fertigen Fenster aus mundgeblasenem Echt-Antikglas 2011 installiert werden konnten. Knoebel ließ sich von seiner »Messerschnitt«-Serie »Rot Gelb Blau« (1977-1980) inspirieren. In diesen 54 Collagen setzte er zufällig gefundene freie Formen splitterartig zusammen. Ebenso bildeten die Messerschnitte die praktische Grundlage der Entwürfe: Durch Vergrößerung oder Verkleinerung, Drehung, Ausschnitt und Kombination wurden sie vom Künstler neu verdichtet und die Grundfarben durch Abstufungen erweitert. Neben dem Weiß verwandte Knoebel vier Blautöne, drei Rottöne und zwei Gelbtöne.

Besonders das intensive Kobaltblau verbindet die flankierenden Chorfenster mit jenen zentralen von Marc Chagall. Ganz anders als bei Gerhard Richter ordnen sich die einzelnen Splitter strudelartig an und stieben wieder auseinander. Sie wecken einerseits Assoziationen an das konzentrierte Sich-Sammeln während einer Meditation und dem daraus resultierenden befreienden Loslassen. Andererseits gemahnen sie in ihrer Form und Farbe an die im Ersten Weltkrieg berstenden und brennenden mittelalterlichen Glasfenster.

Somit hat Knoebel mit seinem vordergründig abstrakten Werk eine eindringliche Ikonographie der Detonation vorgelegt, die überdies gemahnt an Caspar David Friedrichs »Eismeer« - und dies an jenem Ort, wo am 7. Mai 1945 bezeichnenderweise die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht nicht ohne Symbolkraft stattfand.

Imi Knoebel - Fenster der Kathedrale von Reims. Bis 9. Februar in den Kunstsammlungen Chemnitz. Katalog

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