Die Opfer des Nazi-Fallbeils

Eine Guillotine erregt jene Aufmerksamkeit, die die Toten längst verdient hätten

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Debatte um einen Fund in einem Münchner Museumsdepot weist auf Defizite in der Gedenkpolitik hin.

Das Bayerische Nationalmuseum in München war bisher dafür bekannt, sich mit dem Tafelsilber und anderen Haushaltsgegenständen der Wittelsbacher zu beschäftigen. Mit der Ehrentafel des bayerischen Herrscherhauses von 1726 etwa. Oder mit den barocken Jagdwaffen des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz. Nicht ausgestellt hat das Museum dagegen ein moderneres Tötungsgerät: das Fallbeil, mit dem in der Nazizeit Tausende Menschen legal ermordet wurden, darunter die Geschwister Scholl. Jahrzehnte lagerte die Guillotine im Museumsdepot und kam erst jetzt ans Licht der Öffentlichkeit. Nun gibt es eine Diskussion, ob die Mordmaschine ausgestellt werden soll.

Anfang der 1970er Jahre warenziemlich spezielle Stücke an das Museum geliefert worden: Es handelte sich um »fünf schwere, tischartige Unterbauten« und einen einzelnen »senkrechten, eisernen Rahmen zur Führung des Fallbeils« sowie weiteren Zubehörteile. Ein Unterbau kam aus der Justizvollzugsanstalt Augsburg, der Rest aus dem Gefängnis in Regensburg. Lange Jahre lagen diese Teile in Holzkisten verpackt im Depot der Sammlung Straf- und Rechtsaltertümer, neben Schandmasken und alten Richtschwertern. Bis ein Rundfunkjournalist bei verzweigten Recherchen auf die Guillotine-Teile stieß. Daraufhin öffnete das Museum die Kisten und baute das Fallbeil zusammen - für ein Foto. Inzwischen ist die Guillotine wieder zerlegt und zurück im Depot.

Eine der Fragen war, ob die Maschine wirklich jenes Fallbeil ist, mit dem der amtliche Scharfrichter Johann Reichhart in der Nazizeit 2805 Hinrichtungen vornahm, mehr als 1000 davon im Münchner Gefängnis Stadelheim. Dort wurden 1943 auch Hans und Sophie Scholl sowie andere Mitglieder der Widerstandsgruppe »Weiße Rose« hingerichtet. Diese Frage, so das Museum in einer Presseerklärung, sei noch nicht mit Sicherheit geklärt, doch es gebe »verschiedene Hinweise«. So zeichnet sich eine der Unterbauten durch eine bauliche Veränderung aus, die Henker Reichhart zugeschrieben wird. Er entfernte das Kippbrett, auf dem die Delinquenten stehend angeschnallt und danach in die Waagerechte gedreht wurden. Stattdessen wurden die Opfer von Helfern auf die Richtbank niedergedrückt, das sparte Zeit.

Für den bayerischen Scharfrichter Reichhart waren mit Beginn der Nazidiktatur goldene Zeiten angebrochen. Zuvor war das Töten nur ein Zubrot gewesen, seinen Lebensunterhalt verdiente er mal als Gastwirt, mal als Tanzlehrer. Nach 1933 wurde stieg sein Jahresgehalt als Henker auf 3000 Reichsmark, er wurde mit einem Opel Blitz und der Guillotine im Gepäck Geschäftsreisender in Sachen Tod: Außer in Bayern waltete er später auch in Sachsen, Hessen, Böhmen und Österreich seines Amtes. Obwohl 1941 die Sonderzahlungen für Hinrichtungen von 60 auf 40 Mark gesenkt wurden, brachte es Reichhart zu ansehnlichen Wohlstand: Allein 1942 enthauptete er 764 Menschen und erhielt dafür neben seinem Grundgehalt noch 35 790 Mark Sondervergütungen.

Wurde dieses Geld mit jenem Fallbeil aus dem Nationalmuseum »erwirtschaftet«? Fachleute gehen von einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit aus. »Der Unterbau ist an der Seite mit «M Nr. 1» und am unteren Ende mit einem A gekennzeichnet, was als Hinweis auf die Vorrangstellung interpretiert werden könnte, welche die Stadelheimer Guillotine hatte, so das Museum. Und: «Auf die Zusammengehörigkeit mit dem senkrechten Rahmen könnte die Markierung M verweisen, die sich an den Bolzen, mit denen das Messer im Schlitten fixiert wird, und am Transportkasten des Messers befindet.»

Nun, heißt es seitens des Museums, sei im Umgang mit diesem «historisch bedeutsamen Stück» ein «Höchstmaß an Sensibilität und Pietät» geboten. Auch der für Kunst zuständige bayerische Staatsminister Ludwig Spaenle (CSU) mahnte einen «sensiblen und pietätvollen» Umgang mit dem Fund an. Lokalzeitungen diskutieren das Für und Wider einer öffentlichen Zurschaustellung.

Die Sensibilität, die man der Tötungsmaschine zukommen lassen will, wurde allerdings tausenden Opfern, die auf dieser Guillotine ihr Leben verloren, lange verwehrt. Gemeint sind jene Hingerichteten, die im Schatten der als Vorzeige-Widerständler behandelten «Weißen Rose» stehen und öffentlich kaum wahrgenommen werden. Man hat im wahrsten Sinne des Wortes Gras über sie wachsen lassen.

Das Gefängnis an der Stadelheimer Straße 12 liegt am südlichen Münchner Stadtrand, dahinter beginnt der Perlacher Forst. Die Strafvollzugsanstalt diente in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem als Mordanstalt, in der politische Gegner - in Bayern also meist Linksstehende - umgebracht wurden. Es ist der Ort, an dem während der Räterevolution der Anarchist Gustav Landauer erschlagen und Arbeiter erschossen wurden, auch der Kommunist Eugen Levine fand hier durch Gerichtsurteil den Tod. Ganz ohne Urteil ging es 1934, als Hitler in Stadelheim einige Mitglieder der aufmüpfig gewordenen SA - darunter seinen früheren Kampfgefährten Ernst Röhm - erschießen ließ. Danach wurden in Stadelheim durch Justizmord mindestens 1000 Menschen mit dem Fallbeil hingerichtet; die heute bekanntesten Opfer der faschistischen Justizmaschine waren die Geschwister Scholl. Unter den getöteten waren auch Widerstandskämpfer verschiedener Nationalitäten, Sozialdemokraten, Kommunisten, Gewerkschafter.

Diese, im Nazijargon politischen «Verbrecher» sollten auch nach ihrem Tod ausgelöscht bleiben, die Herausgabe und Bestattung der Leichname wurde verweigert. Sie mussten stattdessen der Anatomie übergeben werden; wenn diese überfüllt war, wurden sie in Massengräbern eingescharrt, ohne Kreuze und Namen.

1954 wurden auf Beschluss des Münchner Stadtrates auf dem Friedhof am Perlacher Forst die sterblichen Überreste von 95 Opfern der politischen NS-Justiz, die von 1942 bis 1945 in Stadelheim hingerichtet wurden, aus Reihengräbern in ein Sammelgrab umgebettet, das die Bezeichnung «Sammelgrab II/KZ Ehrenhain» erhielt. Dieses Sammelgrab, das nur durch Bepflanzung markiert war, geriet schnell in Vergessenheit. Es blieb ein Rasenstreifen ohne jeglichen Hinweis auf die Opfer. Erst 1996 erreichte eine Bürgerin, dass die Namen der Toten auf einem Grabstein festgehalten und damit der Anonymität entrissen wurden, die ihnen das NS-Regime zugedacht hatte.

Die meisten waren Mitglieder von Widerstandsgruppen. Zum Beispiel Jaroslav Dolak: Von Beruf Buchdrucker, war er seit seiner Jugend Mitglied der tschechoslowakischen kommunistischen Partei. Nach der Besetzung seiner Heimat durch deutsche Truppen war er im Geheimen für seine Partei tätig. Am 31. Mai 1940 wurde er verhaftet, am 31. August 1942 wurde der 32-Jährige in München-Stadelheim mit zwölf weiteren Gruppenmitgliedern hingerichtet.

Scharfrichter Reichharts Karriere war 1945 nicht zu Ende. Er wurde in Landsberg am Lech als Henker für 156 verurteilte Kriegsverbrecher eingesetzt. Sein Sohn beging 1950 Suizid, Reichhart selbst starb 1972. Die Todesstrafe stand übrigens bis 1998 in Bayerns Verfassung. Immerhin forderten einflussreiche CSU-Granden immer wieder mal die Loslösung vom Bund, was die bayerische Verfassung in diesem Teil wieder in Kraft gesetzt hätte, der ansonsten vom Grundgesetz überlagert wird. Minister Spaenle will jetzt einen Runden Tisch einrichten, der über den Umgang mit dem Fallbeil aus dem Nationalmuseum beraten soll.

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