Olympia inkognito

Bei den ersten Olympischen Winterspielen vor 90 Jahren sammelten jene Länder die meisten Medaillen, die die Spiele gar nicht wollten

  • Oliver Händler
  • Lesedauer: 3 Min.
Heute vor 90 Jahren begannen in den französischen Alpen die ersten Olympischen Winterspiele, nur hießen sie damals noch nicht so.

Die Flagge mit den fünf Ringen wehte am Start der Bobbahn, zur Eröffnung zogen die Athleten hinter ihren Landesfahnen durchs Dorf und sogar der Eid wurde gesprochen. Allen Anwesenden war klar: Hier im französischen Alpen-Kurort Chamonix wurden genau am 25. Januar vor 90 Jahren die ersten Olympischen Winterspiele eröffnet - nur durften sie noch nicht so heißen.

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) wagte sich unter ihrem Präsidenten Pierre de Coubertin lange Zeit nicht an den Wintersport heran, obwohl Wettbewerbe im Eiskunstlauf schon 1908 Teil des Programms der Spiele in London gewesen waren. Zu regional, zu touristisch, zu kommerziell sei der Skisport, hieß es im von der französischen Aristokratie dominierten IOC.

Doch Skilaufen wurde in den Alpen immer populärer und die Skandinavier feierten schon seit Jahrzehnten ihre eigenen Nordischen Spiele. Der Anspruch des IOC, alle Sportarten zu vereinen und anzuführen, war bedroht. Norweger, Finnen und Schweden sträubten sich im IOC jedoch gegen Olympische Winterspiele, um ihre eigenen Veranstaltungen nicht zu gefährden. Ein Kompromiss sah dann lediglich eine »Internationale Wintersportwoche« vor, von der die Skandinavier ausgingen, sie austragen zu dürfen. Doch die Franzosen setzten schließlich Chamonix für die Premiere 1924 durch.

Baron de Coubertin traute dem Treiben immer noch nicht: »Es gibt Leute, die sich nur zu gern über uns lustig machen wollen, wenn Chamonix nicht funktioniert«, schrieb er in einem Brief an den belgischen Grafen Henri de Baillet-Latour, der später sein Nachfolger als IOC-Chef werden sollte. Coubertin blieb gar der Eröffnung fern und kam erst zur Abschlussfeier, als klar war, dass die Spiele ein Erfolg geworden waren. Zwei Jahre später schrieb das IOC die Winterspiele als Programmteil der Olympiade fest. Da die Ausgabe 1928 in St. Moritz die zweiten Spiele genannt wurden, waren die von Chamonix nun offiziell die ersten. Dabei hatte Deutschland schon 1916 vor den Spielen in Berlin Skiwettbewerbe im Schwarzwald abhalten wollen, doch der 1. Weltkrieg ließ beide Veranstaltungen ausfallen.

In Chamonix durften die Deutschen dann gut fünf Jahre nach Kriegsende nicht mitmachen. Bob, Curling, Eishockey, Eiskunstlauf, Eisschnelllauf, Militärpatrouille (der Vorläufer des heutigen Biathlons) sowie die auch heute noch ausgetragenen drei Disziplinen des Nordischen Skisports standen auf dem Programm. Außer im Eiskunstlauf starteten überall nur Männer, und die besten von ihnen kamen aus Norwegen und Finnland. Beide Nationen teilten 28 von 49 Medaillen unter sich auf sowie acht der 16 Olympiasieger. Der Finne Clas Thunberg gewann gleich drei Goldmedaillen im Eisschnelllauf und wurde erfolgreichster Athlet der Spiele.

Den nachhaltigsten Eindruck sollte jedoch eine Letzte hinterlassen. Elf Jahre jung war die Norwegerin Sonja Henie, als sie Achte im Eiskunstlaufwettbewerb der Damen wurde. Angeblich fiel sie gleich zu Beginn ihres Kürauftritts aufs Hinterteil, rief kurz »Hoppla!« und begann noch einmal neu. Fortan nannte sie jeder »Fräulein Hoppla«. Mehrmals soll sie zu ihrem Trainer gelaufen sein, um nachzufragen, was sie als nächstes tun solle. Man stelle sich eine solche Darbietung in ein paar Tagen in Sotschi vor. Bei den folgenden Spielen in St. Moritz, Lake Placid 1932 und Garmisch-Partenkirchen 1936 gewann Henie jeweils Gold.

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