Verdrängung in kleinen Schritten

Viermal mehr neue Haushalte als neue Wohnungen pro Jahr in Berlin

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Angebotsmieten stiegen in Berlin 2013 um sieben Prozent und haben in der Innenstadt Düsseldorfer Niveau erreicht. Die Kaufkraft der Hauptstadt kann damit aber nicht mithalten.

Wer nach Friedrichshain-Kreuzberg zieht oder im Bezirk eine neue Wohnung sucht, darf sich seit letztem Jahr eines weiteren Superlativs rühmen: Nicht mehr nur im Gebiet mit der höchsten Späti-Dichte zu leben, sondern auch im teuersten Bezirk der Stadt. 2013 knackte der Bezirk die Schallmauer von zehn Euro pro Quadratmeter im Schnitt bei Neuvermietungen. Das geht aus dem Wohnungsmarktreport 2014 hervor, den die GSW Immobilien AG zusammen mit dem Immobiliendienstleister CBRE gestern vorstellte.

Aus Sicht der Immobilienwirtschaft ist der Berliner Markt gesund: Preise und Mieten stiegen zwar, aber nicht mehr so stark wie 2012. Die Kaufkraft in Berlin hätte sich analog zu den Mietpreisen erhöht, Preisblasen bei Kaufpreisen seien nicht auszumachen. Aber der Report zeigt für Mieter in Berlin auch: Die Mieten in Berlin kennen weiter nur eine Richtung: nach oben. Und immer mehr Mieter kennen beim Umzug nur einen Weg: raus aus der Innenstadt.

Der Berliner Wohnungsmarkt hat sich in den letzten Jahren dem Niveau anderer deutscher Großstädte angeglichen. In den zentralen Lagen innerhalb des S-Bahnrings mit dem Postleitzahlenbeginn 10 liegt der Mittelwert der Angebotsmieten bereits bei 9,95 Euro pro Quadratmeter und damit weit über dem Wert Düsseldorfs (9,07 Euro) oder Kölns (9,25 Euro). Der statistische Mittelwert bei Neuvermietungen in Berlin von 8,02 Euro sinkt durch die niedrigeren Preise in den Außenbezirken, in anderen Ballungsräumen sind diese Angebote in die Vororte verlagert. Die »Vororte« des Berliner Wohnungsmarkts sind beispielsweise Spandau oder Marzahn-Hellersdorf. Gleichzeitig liegt die durchschnittliche Kaufkraft der Berliner Bevölkerung bei rund 93 Prozent und damit unter dem Bundesschnitt. In Düsseldorf liegt er beispielsweise bei 120 Prozent.

Die hohen Quadratmeterpreise in den Innenstadtbezirken können teilweise durch die geringeren Wohnungsgrößen kompensiert werden, in Friedrichshain-Kreuzberg sind die Wohnungsangebote mit 61 Quadratmetern im Schnitt elf Quadratmetern kleiner als der Berliner Durchschnitt. Die Innenstadtlagen werden aber meist von Zuzüglern von außerhalb bevorzugt, fast die Hälfte von ihnen sucht eine Wohnung dort. Bewohner von dort ziehen nach außen, besonders stark nach Buch (gehört zu Pankow) oder Lichtenberg. Allerdings ziehen auch verstärkt Zuzügler direkt dorthin, Lichtenberg verliert wiederum Einwohner an Marzahn-Hellersdorf. Die Verdrängung an den Rand, für die GSW und CBRE keinen statistischen Beleg sehen wollen, findet also nicht in einem großen Sprung, sondern schrittweise statt.

Lichtenberg sticht mittlerweile noch in einem anderem Segment hervor: Innerhalb eines Jahres stiegen die Quadratmeterpreise bei Angeboten für Eigentumswohnungen um mehr als 30 Prozent und liegen nun bei rund 2300 Euro. Dies ist nicht nur der weiterhin gestiegenen »Attraktivität« des Berliner Immobilienmarktes für Investoren, sondern auch der immer weiter klaffenden Lücke zwischen Angebot und Nachfrage geschuldet.

Die Haushaltszahl Berlins wächst im Schnitt jährlich um 20 000 Haushalte, und auch wenn sich die Bautätigkeit zuletzt deutlich belebte, wächst die Haushaltszahl immer noch ungefähr viermal so schnell wie die der neuen Wohnungen. Und diese werden vor allem im Hochpreissegment gebaut, aktuell sind zwar mehr als 18 000 in 250 Projekten in den zwölf Bezirken geplant, davon sind aber 80 Prozent als Eigentumswohnungen ausgelegt. Und auch wenn sie vermietet würden: Mietpreise unter zehn Euro pro Quadratmeter sind bei Kaufpreisen zwischen drei- und viertausend Euro nicht zu erwarten.

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