Das Spiel mit Zahlen und Modellen

Der Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Schneider warnt, die Große Koalition könnte Schattenwirtschaft stärken

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Schattenwirtschaft geht in Deutschland seit Jahren zurück. Die Pläne der Großen Koalition könnten eine Trendumkehr einleiten, warnen Ökonomen. Doch Schätzungen über das Ausmaß variieren.

Überschriften setzen Akzente, geben Interpretationsrichtungen vor. Ein neues Beispiel hierfür ist die Wiedergabe der Ergebnisse einer am Dienstag veröffentlichten Studie des Ökonomen Friedrich Schneiders von der Universität Linz und des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) in Tübingen. Dabei besonders interessant: Der Titel der IAW-Pressemitteilung »Beschlüsse der Großen Koalition treiben die Schattenwirtschaft an« widerspricht tendenziell den inhaltlichen Aussagen derselben. Denn die Kernaussage der Studie lautet, dass durch die absehbar gute konjunkturelle Entwicklung die Schattenwirtschaft im Jahr 2014 weiter abnehmen werde. Erst danach werden nach Aussagen Schneiders die Beschlüsse des Koalitionsvertrags zu einem Anstieg der Schattenwirtschaft führen, weil steigende Sozialbeiträge und die nicht gebremste kalte Progression die Anreize verstärken würden, eine nicht legale Arbeit aufzunehmen.

Schneider, der als Experte für Schattenwirtschaft gilt, hat mit seinen Modellschätzungen herausgefunden, dass für das Jahr 2014 »die Schattenwirtschaft um ca. zwei Milliarden Euro auf 338,5 Milliarden Euro zurückgehen wird«. Dieser Wert entspräche einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 12,2 Prozent - der niedrigste Wert seit mehr als 20 Jahren. 2013 lag die Schattenwirtschafts-Quote noch um 0,2 Prozentpunkte höher, im Jahr 2003 belief sich der Anteil auf den Höchstwert von 17,3 Prozent. Seitdem ist den Zahlen der Ökonomen aus Linz und Tübingen zufolge der Anteil der Schattenwirtschaft am BIP kontinuierlich zurückgegangen. Mit einer Ausnahme: Im Krisenjahr 2009 stieg der Wert auf zwischenzeitlich 14,8 Prozent.

Den Grund für den prognostizierten weiteren Rückgang liegt der Studie zufolge in der guten Konjunkturaussicht für Deutschland (+1,7 Prozent) - und zwar ausschließlich. Die politischen Absichten der Großen Koalition würden hingegen die Abnahme der Schwarzarbeit verlangsamen. Auch das wird in der Studie genau beziffert. So hätte die beabsichtigte Absenkung der Rentenbeiträge von 18,9 auf 18,6 Prozent die Schattenwirtschaft um eine weitere Milliarde Euro gesenkt. Andere Beschlüsse der Koalition aus CDU und SPD würden die Schattenwirtschaft tendenziell verstärken. Der viel diskutierte Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro könnte ab 2015 zu weniger regulärer Arbeit führen. Auf 1,2 Milliarden wird dieser Wert geschätzt. Ebenso verhält es sich mit der geplanten Erhöhung des Beitrages zur Pflegeversicherung um 0,5 Prozent sowie mit der von der Koalition nicht beabsichtigten Beseitigung der kalten Progression. Die diesen Prognosen zugrunde liegende Annahme ist altbekannt und wird auch in der Studie genannt: Steuern und Sozialabgaben bestimmen die Attraktivität unregulierter Arbeit. Das heißt, je weiter die Schere zwischen Brutto- und Nettoentlohnung aufklafft, desto mehr Anreize bestünden zur Schwarzarbeit.

Genau diese Annahme ist indes umstritten - wie auch die Methodik Schneiders. Eine Studie von Ulrich Thießen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hatte 2010 gezeigt, dass der Umfang der Schattenwirtschaft vermutlich viel geringer ist als angenommen. Thießen, der die Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung erstellte, kritisierte die auch vom IAW und der Universität Linz benutzte Methodik mit Hilfe der Analyse der Bargeldhaltung - je mehr Bargeldbedarf, desto mehr unregulierte Arbeit. Das erlaube aber keine sicheren Rückschlüsse auf die absolute Höhe der im Halbdunkel erbrachten Wirtschaftsleistung. Der DIW-Forscher schätzt den Umfang der Schattenwirtschaft in Deutschland nur auf drei Prozent des BIP. Auch der Wirtschaftsweise Lars P. Feld hatte 2012 in einer Studie für die Rockwool-Stiftung den Anteil der Schattenwirtschaft viel geringer eingeschätzt: »Das Ausmaß gemessen in geleisteten Arbeitsstunden fiel von etwa 4 Prozent des BIP im Jahre 2001 auf etwa 2¼ Prozent im Jahre 2008.« Zudem geben beide Forscher andere Motive für die Aufnahme einer nicht regulären Arbeit an. Zentral sei etwa das Ausmaß der politischen Korruption oder die persönliche Zufriedenheit.

Entsprechend bezeichnete der Deutsche Gewerkschaftsbund am Dienstag die Prognose der Forscher als »unseriös« und reine Spekulation sowie als Stimmungsmache gegen den Mindestlohn. Kommentar Seite 4

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