Die Daniel 
Düsentriebs 
der Polizei

Die Europäische Union will mit Hilfe einer 
»Technologiebeobachtungsstelle« 
Sicherheitsbehörden aufrüsten

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Sattelschlepper rast über die Autobahn. Die Polizei versucht ihn zu stoppen. Doch das Kraftpaket lässt sich von keiner Straßensperre aufhalten. Soweit der Alltag. Nun die Fiction: Noch bevor der 40-Tonner zum Rammbock werden kann, verliert der Motor seine Kraft, das Fahrzeug bremst auch gegen den Willen des Lenkers. Gleiches lässt sich bei jedem »nicht kooperativen Fahrzeug« - so der Polizeijargon - erreichen.

Der Trick funktioniert aber nur, wenn man den Planungen des »European Network of Law Enforcement Technology Services« (ENLETS) freie Bahn lässt. ENLETS ist ein im September 2008 gegründetes Netzwerk. Zunächst arbeiteten Experten aus Belgien, Griechenland, Zypern, den Niederlanden, Polen, Finnland und Großbritannien mit. Inzwischen sind bei den Expertentreffen Delegationen aus 19 EU-Ländern, darunter aus Deutschland, vertreten. Deutsche »Nationale Kontaktstelle« ist die Hochschule der Polizei in Münster. ENLETS kooperiert bestens mit der Europäischen Kommission, die europäische Polizeibehörde Europol sowie die Grenzüberwachungsagentur Frontex sind beteiligt.

Im vergangenen Jahr hatte die EU beschlossen, die »sicherheitsbezogene Forschung und Industriepolitik« besser zu verzahnen, was einer Aufwertung von ENLETS als Verbindungsglied zwischen Wirtschaft und Anwendern, also den nationalen Polizeibehörden, gleichkam.

ENLETS plant unter anderem, dass demnächst in alle in der EU zugelassenen Fahrzeuge serienmäßig ein ferngesteuertes Anhaltesystem (Remote Stopping Vehicles) eingebaut werden soll. Genutzt werden können unter anderem Chips, die von den Automobilherstellern beispielsweise aus Servicegründen eingebaut werden. Die Fahrzeughersteller treten - ähnlich wie die Mobilfunkanbieter - als eine Art Provider auf. Will die Polizei ein Fahrzeug stoppen, bekommt sie bei der Halteranfrage eine PIN mitgeliefert. Die wird eingetippt und so das Fahrzeug stillgelegt. Das klingt zwar zunächst ganz simpel, doch es hat einige rechtliche Klippen, die man versucht zu umschiffen.

Es gibt weitere Projekte, um »nicht kooperative Fahrzeuge« antriebslos zu machen. Eines heißt »Safe control of non cooperative vehicles through electromagnetic means« (SAVELEC). Im kommenden Jahr will man es anwendungsbereit haben. Mittels künstlich erzeugten elektromagnetischen Impulsen soll die Elektronik von Fahrzeugen blockiert werden.

Fahrzeuge? Das sind nicht nur Autos, auch Schiffe fallen in die Rubrik. Man liegt sicher nicht falsch, wenn man aus der Einbindung der EU-Grenzschutzagentur Frontex auf die Entwicklung auch neuer Flüchtlingsabwehrtaktiken schließt.

Die notwendige Technologie wird vom Militär abgeguckt. Das Problem: Auf dem Schlachtfeld spielen Massen und Größe dieser Geräte keine so wichtige Rolle. Für den Polizeieinsatz müssen sie jedoch in eine handhabbare Form gebracht werden.

Das Finanzvolumen von SAVELEC beträgt 4,2 Millionen Euro, hat der LINKE-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko ermittelt. Rund 3,3 Millionen werden von der EU-Kommission übernommen. Bei der Entwicklung spielt die Technische Universität im spanischen Valencia eine Hauptrolle. Auch das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt sowie die Otto-Von-Guericke-Universität Magdeburg, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt und die Firma IMST sind in das Projekt eingebunden.

Die Technik gilt offiziell als »nicht-tödliche Waffe«. Man darf daran zweifeln. Gerade Personen, die einen Herzschrittmacher haben, sind angeblich gefährdet, meint die britische Bürgerrechtsorganisation »Statewatch«. Sie macht darauf aufmerksam, dass auch fraglich ist, wie Fahrer nach einer elektromagnetischen Attacke reagieren. Was, wenn sie die Kontrolle über das Fahrzeug verlieren?

Was sagen Praktiker? Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sah sich bislang noch kaum mit derartigen Überlegungen konfrontiert. Zwar würden auch schon jetzt verdächtige Fahrzeuge so präpariert, dass sie - wenn es notwendig wird - abgeschaltet werden können. Doch für die ENLETS-Planungen haben Polizeiexperten nur ein Wort: »Abenteuerlich!«

Man solle nicht glauben, dass das, was da in Brüssel geheim vorangetrieben wird, nur krude Ideen von einzelnen »Daniel Düsentriebs« seien, meint Hunko. »Die Forschungsprojekte erinnern zwar an Fantasien aus Entenhausen, aber sie sind von hoher bürgerrechtlicher Brisanz.« Kritik an solchen Einsatzplanungen kommt nicht nur von ihm. Auch der europapolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen, Ingo Wolf, meint: »Hier hört Prävention auf. Das Missbrauchspotenzial der Fernabschaltung ist enorm.« Nicht alles, was technisch möglich ist, sollte auch gemacht werden.

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