Die Pleite der Wohnungsbaugesellschaft Leipzig-West AG könnte sich zum größten Anlageskandal in Ostdeutschland auswachsen.
Für Beobachter der mit hohen Renditeversprechen agierenden Szene am Grauen Kapitalmarkt kam die Meldung über den Insolvenzantrag der Wohnungsbaugesellschaft Leipzig-West AG (WBG-West) Anfang letzter Woche nicht überraschend. Gegen das ursprünglich 1926 gegründete und in den 90er Jahren wiederbelebte Unternehmen ermittelt inzwischen die Leipziger Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Insolvenzverschleppung. Bis zu 30 000 Investoren, die Inhaberschuldverschreibungen im Volumen von 250 bis 300 Millionen Euro gezeichnet haben, sollen betroffen sein.
Seit längerem warnen Verbraucherschützer vor den Geschäftspraktiken des Unternehmens. Laut dem Deutschen Institut für Anlegerschutz (DIAS) hatte die WGB-West bereits Ende 2005 erste Probleme, fällige Anleihen fristgerecht zurückzuzahlen. Den verunsicherten Anlegern, die sich aus dem gesamten Bundesgebiet gemeldet hatten, war in einem Rundschrieben erklärt worden, es gebe EDV-Probleme. Die Rechnungsdaten müssten deshalb »von Hand« bearbeitet werden, was zu den Terminverzögerungen führe. Für die DIAS war das indes ein sicheres Signal, dass das in der Leipziger Antonienstraße residierende Unternehmen hochverschuldet ist; es mahnte deshalb die Anleger zur »absoluten Vorsicht«.
Derartige Warnungen führten dazu, dass Investoren die Leipzig-West AG fortan mieden. Ihr offenbar auf einem Schneeballprinzip beruhendes Finanzsystem musste daraufhin unausweichlich zusammenbrechen. Als am 16. Juni eine weitere Tranche an Rückzahlungen in Höhe von 20 Millionen Euro fällig geworden war, die nicht mehr finanziert werden konnte, gab es keine Möglichkeit mehr, den Skandal unter der Decke zu halten. Vorstand Pierre Klusmeyer zog die Reißleine und stellte Insolvenzantrag.
In die Irre führend war offenbar bereits der Titel Wohnungsbaugesellschaft. Zwar gab die Leipzig-West AG vor, ihr Gegenstand seien »der Erwerb, die Verwaltung und der Verkauf von Grundstücken«. Tatsächlich, so das Ergebnis einer Bilanzanalyse des DIAS, waren die Investitionen in Gebäude- und Sachanlagen viel zu gering, um die hohen Renditen zwischen 5,5 und 7 Prozent jährlich für die Anleger zu erwirtschaften. Statt dessen floss ein erheblicher Teil der akquirierten Gelder in ein intransparentes Geflecht von Firmenbeteiligungen, die nun ebenfalls in den Sog der Pleite gezogen werden könnten. Nach Informationen der Stiftung Warentest stehen hinter der Leipzig-West AG die Axtmann Baubetreuungs AG und die J. S. Immobilienbeteiligungen e. K. des Nürnberger Geschäftsmannes Jürgen Schlögel, die im Westen durch zweifelhafte Bauherrenmodelle von sich reden gemacht hatten und die Gewinne der WBG-West einkassiert haben sollen. Vorsichtige Anleger hätte allerdings bereits der Emissionsprospekt von 2004 stutzig machen müssen, in dem angekündigt wurde, neue Anleihen würden ausgegeben, um fällige Inhaberschuldverschreibungen auszuzahlen.
Anwalt Peter Hahn, der verschiedene Anleihegläubiger der Leipzig-West AG vertritt, sieht den dringenden Verdacht des Anlagebetruges als gegeben an. Zivilrechtlich stelle sich die Frage, ob Hauptinitiator Schlögel nicht wegen Kapitalanlagebetruges hafte. Rechtsanwälte raten den betroffenen Anlegern, sich bereits bestehenden Interessengemeinschaften anzuschließen.
Der vom Amtsgericht Leipzig eingesetzte Insolvenzverwalter Lucas F. Flöther prüft derweil, ob genügend Masse vorhanden ist, um ein Insolvenzverfahren zu eröffnen. Er erklärte, zunächst solle die Lohnzahlung an die 120 Mitarbeiter der WBG-West sichergestellt werden.
Das DIAS macht den betroffenen Anlegern derweil wenig Hoffnung, da der Immobilienbesitz bei weitem nicht den hohen Einlagen entspricht. Selbst ein Totalverlust könne für viele von ihnen nicht ausgeschlossen werden.
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