Harmonie der Naturkonstanten

Deutsche Forscher haben die Masse des Elektrons mit bisher unerreichter Genauigkeit bestimmt

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.

Elektronen sind negativ geladene Elementarteilchen, die täglich aus unseren Steckdosen strömen und somit die Grundlage dessen bilden, was man die moderne Zivilisation nennt. Ohne Elektronen gäbe es keine Chemie und damit auch keine Materie in der uns bekannten Form. Obwohl das Elektron weder Ausdehnung noch Struktur besitzt und daher als punktförmiges Teilchen behandelt wird, hat es eine Masse, die etwa 1/1836 der Masse des Protons beträgt.

Auch wenn diese Zahl nicht sonderlich aufregend erscheinen mag, ist sie doch eine wichtige Voraussetzung dafür, dass es überhaupt Leben auf der Erde gibt. Denn wäre die Elektronenmasse etwas größer, könnten sich beispielsweise keine stabilen Kettenmoleküle bilden, ohne die es wiederum nicht möglich wäre, biologische Strukturen zu formen.

Die Masse des Elektrons ist zudem ein wichtiger Bestandteil des sogenannten Standardmodells der Elementarteilchenphysik, das (von der Gravitation abgesehen) alle heute bekannten Grundkräfte der Physik beschreibt. Obwohl dieses Modell derzeit hervorragend funktioniert, deutet vieles darauf hin, dass es irgendwann in einer weit umfassenderen Theorie aufgehen wird. Noch aber weiß niemand, wo die Grenzen des Standardmodells liegen. Um diese zu bestimmen, hoffen Physiker auf genauere physikalische Messungen, bei denen die präzise Kenntnis der Elektronenmasse durchaus hilfreich sein könnte.

Doch wie misst man eine so extrem kleine Masse? Ein Wissenschaftlerteam um Sven Sturm und Klaus Blaum vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg hat dazu ein höchst kompliziertes Experiment entworfen, das hier nur in groben Zügen geschildert werden soll. Zunächst schossen die Forscher einem Kohlenstoffatom (C-12) fünf seiner sechs Elektronen weg. Dann schickten sie das so erzeugte Gebilde durch die Vakuumröhre einer sogenannten Penning-Falle, in deren Innern ein gleichmäßiges Magnetfeld das fünffach geladene Kohlenstoffion auf eine Kreisbahn zwang. Durch die Analyse der Eigenschaften dieser Bewegungen und ausgehend von der Tatsache, dass die Masse des C-12-Kerns bekannt ist, gelang es den Forschern, die Elektronenmasse mit hoher Genauigkeit zu bestimmen. (»Nature«, doi: 10.1038/nature13026)

Gewöhnlich braucht man in der Präzisionsphysik zehn bis zwanzig Jahre, um den Wert einer fundamentalen Konstante um eine Größenordnung zu verbessern. So gesehen haben Sturm und seine Kollegen eine schier unglaubliche Leistung vollbracht. Denn der von ihnen ermittelte Wert für die Elektronenmasse ist gleich um den Faktor 13 genauer als der bisherige Rekordwert. Das Elektron wiegt demnach 1/1836,15267377 der Protonenmasse. Das sind, absolut ausgedrückt, knapp 10-30 Kilogramm. Um die Empfindlichkeit der neuen »Waage« anschaulich zu illustrieren, führt Sturm einen Vergleich an: »Umgerechnet auf einen Airbus A-380 könnten wir allein durch Wiegen feststellen, ob eine Mücke als blinder Passagier an Bord ist.«

Warum das Elektron so viel leichter ist als das Proton, weiß niemand. Aber wie das Verhältnis der Massen beider Teilchen sind auch andere Naturkonstanten so fein austariert, dass schon die geringste Veränderung ihrer Werte eine lebensfeindliche Welt zur Folge hätte. Zur Deutung dieses erstaunlichen Sachverhalts bedient man sich gern des sogenannten anthropischen Prinzips, dessen schwache Version schlicht lautet: »Das Universum ist so beschaffen, dass es die Existenz eines Beobachters zulässt.« Demnach könnte es auch andere kosmische Bereiche (oder gar andere »Universen«) geben, in denen die Werte der Naturkonstanten die Entstehung von Leben prinzipiell verhindern. Denkbar wäre dies allemal. Dagegen ist die starke Version des anthropischen Prinzips: »Das Universum muss so beschaffen sein, dass es irgendwann einen Beobachter hervorbringt«, zu sehr teleologisch angelegt und gleichsam eine Neuauflage des anthropozentrischen Denkens.

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