»Fukushima ist noch nicht unter Kontrolle«

Ärzteorganisation warnt vor Vertuschung der Folgen des Atomunfalls

  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin. Kurz vor dem dritten Jahrestag der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima warnt die internationale Ärzteorganisation IPPNW vor der Vertuschung gesundheitlicher Folgen. Die japanische Regierung unterbinde die Untersuchung möglicher strahlenbedingter Erkrankungen, sagte die Vertreterin der deutschen IPPNW-Sektion, Angelika Claußen, am Montag in Berlin. Der Verdacht liege nahe, dass die Behörden kein tieferes Interesse an der Aufklärung gesundheitlicher Folgen der Katastrophe hätten, sondern vertuschen wollten.

In gleich mehreren Reaktoren des japanischen Atomkraftwerks Fukushima Daiichi kam es nach einem schweren Erdbeben und einem Tsunami am 11. März 2011 zur Kernschmelze. Radioaktive Stoffe wurden in großen Mengen frei, weite Gebiete mussten evakuiert werden.

Laut Claußen werden Ärzte in Japan von Regierungsberatern, Krankenversicherungen und Fachverbänden unter Druck gesetzt, wenn sie nach medizinischen Folgen der Katastrophe suchen. Unter anderem seien dadurch spezifische Blutuntersuchungen verhindert worden, erklärten die »Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges« (IPPNW).

IPPNW befürchtet einen Anstieg der Säuglingssterblichkeit oder eine Häufung von Leukämieerkrankungen bei Säuglingen wie nach der Atomkatastrophe in Tschernobyl. Statistiken, die solche Veränderungen untersuchten, lägen aus Japan nicht vor, kritisierte Claußen. Es sei lediglich eine gestiegene Anzahl von Schilddrüsenkrebsfällen festgestellt worden. Allerdings würde die Präfektur Fukushima bestimmen, wer entsprechende Krebs-Screenings durchführen dürfe.

Scharfe Kritik an der Haltung der Behörden, kam auch von der japanischen Journalistin Oshidori Mako. »Der Unfall ist noch nicht unter Kontrolle«, sagte die Aktivistin in Berlin. Jeden Tag würde man neue Lecks entdecken. Die Journalistin steht unter Beobachtung der japanischen Regierung.

Oshidori Mako zufolge versuchen die Behörden von den Folgen der Strahlung abzulenken. Dazu würden etwa Schulen oder Einrichtungen gezwungen, Lebensmittel aus der Region Fukushima zu verwenden, um deren Unbedenklichkeit zu demonstrieren. Eine freie Berichterstattung über die Atomkatastrophe werde es auch künftig nicht geben, befürchtet die Journalistin. Sie verwies auf ein Ende 2012 verabschiedetes Gesetz zum besseren Schutz von Staatsgeheimnissen. »Dadurch wird es für Journalisten noch schwieriger über kritische Inhalte zu berichten.«

Die IPPNW-Vertreterin äußerte sich kritisch zu Zahlen über mögliche Todesopfer durch die erhöhte Strahlung. Da die meisten Arbeiter, die für die Aufräumarbeiten eingesetzt würden, nicht beim verantwortlichen Atom-Konzern Tepco angestellt seien, würden Daten über deren Gesundheitszustand nicht weitergeleitet, sagte Claußen. Sie forderte eine verbesserte Aufklärung und die sofortige Abschaltung aller Atomkraftwerke weltweit. »Dies gilt auch für Reaktoren in Deutschland. Sie könne man sofort abschalten, ohne dass etwas Schlimmes passiert.«

IPPNW ist ein Zusammenschluss von Ärzten aus mehreren Ländern, die sich unter anderem für die Abrüstung atomarer Waffen einsetzen. 1985 erhielt die Organisation den Friedensnobelpreis.

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